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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Sache, wie nicht anders anzunehmen, aus einem geheimen ministe¬
riellen Gutachten -- die einseitige Aeußerung eines einzelnen Mini¬
sters, der vermuthlich eine andere Ansicht, vielleicht nicht minder gut
begründet, entgegensteht, ins Publicum geschleudert, und mit der
ausdrücklichen Versicherung, das sei die Meinung welche dieser Mini¬
ster "vertrete." Was soll das? War es Herrn Dönniges nur um
eine gewichtige Autorität für seine Ansicht zu thun? Oder wollte er
den Finanzminister auf Kosten anderer Staatsbeamten die eine ent¬
gegengesetzte Ansicht "vertreten/' populair machen? Oder ist's nur
Ehrlichkeit, um sich nicht mit fremden Federn zu schmücken? In al¬
len diesen Fallen aber ist das Verfahren unrecht. Was wollte ich lie¬
ber, als daß aus unserem Verwaltungswesen alle Heimlichthuerei
verschwände, und daß die Berathungen wichtiger, die allgemeinen
Interessen berührender Fragen am hellen Tage geführt werden könn¬
ten! Da nun dieses großartige Element eines entwickelten Staats¬
lebens uns noch fehlt, so ist es, bei der jetzt so mächtig angewach¬
senen Theilnahme Vieler für die öffentlichen Angelegenheiten erklär¬
lich und zu entschuldigen, wenn Jemand dem irgend ein bedeutungs¬
volles und geheimgehaltenes Document in die Hände gefallen, von
dessen Veröffentlichung er sich großen Nutzen für die allgemeine Wohl¬
fahrt oder Abwehr von beträchtlichem Schaden verspricht, dieses ver¬
öffentlicht; aber eine solche Ausplünderung von Staatsschriften wie
sie mir in dem angeführten Falle vorzuliegen scheint, ohne alle Noth,
ohne allen Sinn, blos aus Indiscretion, blos um -- ich weiß nicht,
Staat damit zu machen, oder was sonst? eine solche scheint mir un¬
verantwortlich. -- Unter anderm auch dem Haufen, welcher gegen die Ju-
liussche Schrift wüthet, deren ich in meinem vorigen Brief erwähnte,
tritt Herr Dönniges bei; er thut es aber in besonderer Weise, gibt
sich das Ansehen, dieselbe zu verachten, citirt sie nicht mit ihrem Ti¬
tel sondern nur andeutungsweise und nennt sie eine Broschüre "un¬
tergeordnetster Art." Was dann aber Herr Dönniges in solcher
Weise anführt als ob es in der Juliusschen Schrift stände, steht in
derselben garnicht, oder vielmehr es stehtganz anders darin, als HerrDön-
niges meint. Eine Uebereinstimmung zwischen Adam Smith und
Ricardo, wie Herr Dönniges meint, ist in derselben nicht behauptet
und wenn Dönniges sich darüber lustig macht, daß Julius Ricardo
einen Theoretiker heiße, und Julius belehrt, daß Ricardo Gründer
eines Banquierhauses gewesen sei, u. s. w., so ergiebt sich hieraus
ganz unzweideutig, daß Herr Dönniges die Juliussche Schrift nicht
gelesen haben kann, denn sonst würde er gefunden haben, daß es
eine der Tendenzen dieser Schrift ist, zu zeigen, wie sehr selbst die
größten Praktiker sich von Einbildungen beherrschen lassen und unter
dem Vorgeben praktischer Grundsätze ihren Lieblingsträumcn, ihren
Systemen nachhängen; was ihnen bei der Praxis selbst nur deshalb


Sache, wie nicht anders anzunehmen, aus einem geheimen ministe¬
riellen Gutachten — die einseitige Aeußerung eines einzelnen Mini¬
sters, der vermuthlich eine andere Ansicht, vielleicht nicht minder gut
begründet, entgegensteht, ins Publicum geschleudert, und mit der
ausdrücklichen Versicherung, das sei die Meinung welche dieser Mini¬
ster „vertrete." Was soll das? War es Herrn Dönniges nur um
eine gewichtige Autorität für seine Ansicht zu thun? Oder wollte er
den Finanzminister auf Kosten anderer Staatsbeamten die eine ent¬
gegengesetzte Ansicht „vertreten/' populair machen? Oder ist's nur
Ehrlichkeit, um sich nicht mit fremden Federn zu schmücken? In al¬
len diesen Fallen aber ist das Verfahren unrecht. Was wollte ich lie¬
ber, als daß aus unserem Verwaltungswesen alle Heimlichthuerei
verschwände, und daß die Berathungen wichtiger, die allgemeinen
Interessen berührender Fragen am hellen Tage geführt werden könn¬
ten! Da nun dieses großartige Element eines entwickelten Staats¬
lebens uns noch fehlt, so ist es, bei der jetzt so mächtig angewach¬
senen Theilnahme Vieler für die öffentlichen Angelegenheiten erklär¬
lich und zu entschuldigen, wenn Jemand dem irgend ein bedeutungs¬
volles und geheimgehaltenes Document in die Hände gefallen, von
dessen Veröffentlichung er sich großen Nutzen für die allgemeine Wohl¬
fahrt oder Abwehr von beträchtlichem Schaden verspricht, dieses ver¬
öffentlicht; aber eine solche Ausplünderung von Staatsschriften wie
sie mir in dem angeführten Falle vorzuliegen scheint, ohne alle Noth,
ohne allen Sinn, blos aus Indiscretion, blos um — ich weiß nicht,
Staat damit zu machen, oder was sonst? eine solche scheint mir un¬
verantwortlich. — Unter anderm auch dem Haufen, welcher gegen die Ju-
liussche Schrift wüthet, deren ich in meinem vorigen Brief erwähnte,
tritt Herr Dönniges bei; er thut es aber in besonderer Weise, gibt
sich das Ansehen, dieselbe zu verachten, citirt sie nicht mit ihrem Ti¬
tel sondern nur andeutungsweise und nennt sie eine Broschüre „un¬
tergeordnetster Art." Was dann aber Herr Dönniges in solcher
Weise anführt als ob es in der Juliusschen Schrift stände, steht in
derselben garnicht, oder vielmehr es stehtganz anders darin, als HerrDön-
niges meint. Eine Uebereinstimmung zwischen Adam Smith und
Ricardo, wie Herr Dönniges meint, ist in derselben nicht behauptet
und wenn Dönniges sich darüber lustig macht, daß Julius Ricardo
einen Theoretiker heiße, und Julius belehrt, daß Ricardo Gründer
eines Banquierhauses gewesen sei, u. s. w., so ergiebt sich hieraus
ganz unzweideutig, daß Herr Dönniges die Juliussche Schrift nicht
gelesen haben kann, denn sonst würde er gefunden haben, daß es
eine der Tendenzen dieser Schrift ist, zu zeigen, wie sehr selbst die
größten Praktiker sich von Einbildungen beherrschen lassen und unter
dem Vorgeben praktischer Grundsätze ihren Lieblingsträumcn, ihren
Systemen nachhängen; was ihnen bei der Praxis selbst nur deshalb


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/518>, abgerufen am 01.09.2024.