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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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eine Erinnerung an die ehemaligen Schöffen und Schwurge¬
richte, und als eine unwillkührliche Concession an das gesunde
und naturgemäße Princip derselben erscheint. Diejenigen Bürger
die am eifrigsten sich gezeigt und durch eine Reihe von Jahren häu¬
fig als Beisitzer figurirten, haben einen Anspruch auf den Titel eines
äußern.Raths.

Aber die berühmte österreichische Milde, die in dem erwähnten
Paragraphen auch gegen Verbrecher sich bethätigt, wie sollte sie zur
Strenge ausarten gegenüber wackeren Bürgern, gegen ehrsame, eiserne
Nathöcandidaten, deren Seifensiederei, Handschuhfabrik, Schneider¬
atelier und Gewürzkrämergeschäft ihre Zeit zu sehr in Anspruch
nimmt, um jedesmal auf das Rathhaus als unpartheische Crimi-
nalbeisitzer sich zu begeben. Man ist daher so nachsichtig und ge¬
stattet, daß sie die ihnen zugeschickten Acten zu Hause unterschreiben,
oder daß sie einen Stellvertreter in die Gerichtsstube senden!
Wirklich sieht man auf dem Wiener Criminalamte periodenweise
einen und denselben Menschen der für zwanzig, dreißig Kreuzer
täglich den gesetzlichen Schutzgeist der Angeklagten bildet, was
natürlich dem Untersuchungsrichter, der dieser Schmuggelei jede
Stunde ein Ende machen kann, einen ungeheuern Respect vor dem
Beisitzer einflößt, und ihn zwingt, genau auf alle Vortheile des Jn-
quirirtcn zu achten. O Gesetz! Eulenspiegel mit der wächsernen
Nase -- foppst du deinen Herren oder wirst du von ihm gefoppt?

Allein solch Blindekuhspiel kann doch nicht lange verheimlicht
bleiben, und eines Tages muß man doch die Beamten endlich zur
Rechenschaft ziehen?

Freilich, freilich! Aber die Milde, die berühmte österreichische
Milde gestattet solche Härte nicht. Dieselbe Milde, die den Ange¬
klagten nicht dem Untersuchungsrichter schutzlos überläßt und zwei
unabhängige Bürger der Untersuchung beiordnet, dieselbe Milde,
die dann durch die Finger sieht, wenn diese nicht selbst im Rath-
Hause sich einstellen, wie wollte sie den Beamten gegenüber plötzlich
ihren Charakter ändern? Dieser Magistrat ist ein so guter Mann,
ein braver Familienvater, ein treuer Unterthan, er hat fünf und
zwanzig Dienstjahre, ein Haus voll Kinder und einen so mäßi¬
gen, mäßigen, Gehalt -- soll man ihn plötzlich kränken? Und
warum? Weil er nachsichtig gegen einige Bürger war, die eben


eine Erinnerung an die ehemaligen Schöffen und Schwurge¬
richte, und als eine unwillkührliche Concession an das gesunde
und naturgemäße Princip derselben erscheint. Diejenigen Bürger
die am eifrigsten sich gezeigt und durch eine Reihe von Jahren häu¬
fig als Beisitzer figurirten, haben einen Anspruch auf den Titel eines
äußern.Raths.

Aber die berühmte österreichische Milde, die in dem erwähnten
Paragraphen auch gegen Verbrecher sich bethätigt, wie sollte sie zur
Strenge ausarten gegenüber wackeren Bürgern, gegen ehrsame, eiserne
Nathöcandidaten, deren Seifensiederei, Handschuhfabrik, Schneider¬
atelier und Gewürzkrämergeschäft ihre Zeit zu sehr in Anspruch
nimmt, um jedesmal auf das Rathhaus als unpartheische Crimi-
nalbeisitzer sich zu begeben. Man ist daher so nachsichtig und ge¬
stattet, daß sie die ihnen zugeschickten Acten zu Hause unterschreiben,
oder daß sie einen Stellvertreter in die Gerichtsstube senden!
Wirklich sieht man auf dem Wiener Criminalamte periodenweise
einen und denselben Menschen der für zwanzig, dreißig Kreuzer
täglich den gesetzlichen Schutzgeist der Angeklagten bildet, was
natürlich dem Untersuchungsrichter, der dieser Schmuggelei jede
Stunde ein Ende machen kann, einen ungeheuern Respect vor dem
Beisitzer einflößt, und ihn zwingt, genau auf alle Vortheile des Jn-
quirirtcn zu achten. O Gesetz! Eulenspiegel mit der wächsernen
Nase — foppst du deinen Herren oder wirst du von ihm gefoppt?

Allein solch Blindekuhspiel kann doch nicht lange verheimlicht
bleiben, und eines Tages muß man doch die Beamten endlich zur
Rechenschaft ziehen?

Freilich, freilich! Aber die Milde, die berühmte österreichische
Milde gestattet solche Härte nicht. Dieselbe Milde, die den Ange¬
klagten nicht dem Untersuchungsrichter schutzlos überläßt und zwei
unabhängige Bürger der Untersuchung beiordnet, dieselbe Milde,
die dann durch die Finger sieht, wenn diese nicht selbst im Rath-
Hause sich einstellen, wie wollte sie den Beamten gegenüber plötzlich
ihren Charakter ändern? Dieser Magistrat ist ein so guter Mann,
ein braver Familienvater, ein treuer Unterthan, er hat fünf und
zwanzig Dienstjahre, ein Haus voll Kinder und einen so mäßi¬
gen, mäßigen, Gehalt — soll man ihn plötzlich kränken? Und
warum? Weil er nachsichtig gegen einige Bürger war, die eben


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[0485] eine Erinnerung an die ehemaligen Schöffen und Schwurge¬ richte, und als eine unwillkührliche Concession an das gesunde und naturgemäße Princip derselben erscheint. Diejenigen Bürger die am eifrigsten sich gezeigt und durch eine Reihe von Jahren häu¬ fig als Beisitzer figurirten, haben einen Anspruch auf den Titel eines äußern.Raths. Aber die berühmte österreichische Milde, die in dem erwähnten Paragraphen auch gegen Verbrecher sich bethätigt, wie sollte sie zur Strenge ausarten gegenüber wackeren Bürgern, gegen ehrsame, eiserne Nathöcandidaten, deren Seifensiederei, Handschuhfabrik, Schneider¬ atelier und Gewürzkrämergeschäft ihre Zeit zu sehr in Anspruch nimmt, um jedesmal auf das Rathhaus als unpartheische Crimi- nalbeisitzer sich zu begeben. Man ist daher so nachsichtig und ge¬ stattet, daß sie die ihnen zugeschickten Acten zu Hause unterschreiben, oder daß sie einen Stellvertreter in die Gerichtsstube senden! Wirklich sieht man auf dem Wiener Criminalamte periodenweise einen und denselben Menschen der für zwanzig, dreißig Kreuzer täglich den gesetzlichen Schutzgeist der Angeklagten bildet, was natürlich dem Untersuchungsrichter, der dieser Schmuggelei jede Stunde ein Ende machen kann, einen ungeheuern Respect vor dem Beisitzer einflößt, und ihn zwingt, genau auf alle Vortheile des Jn- quirirtcn zu achten. O Gesetz! Eulenspiegel mit der wächsernen Nase — foppst du deinen Herren oder wirst du von ihm gefoppt? Allein solch Blindekuhspiel kann doch nicht lange verheimlicht bleiben, und eines Tages muß man doch die Beamten endlich zur Rechenschaft ziehen? Freilich, freilich! Aber die Milde, die berühmte österreichische Milde gestattet solche Härte nicht. Dieselbe Milde, die den Ange¬ klagten nicht dem Untersuchungsrichter schutzlos überläßt und zwei unabhängige Bürger der Untersuchung beiordnet, dieselbe Milde, die dann durch die Finger sieht, wenn diese nicht selbst im Rath- Hause sich einstellen, wie wollte sie den Beamten gegenüber plötzlich ihren Charakter ändern? Dieser Magistrat ist ein so guter Mann, ein braver Familienvater, ein treuer Unterthan, er hat fünf und zwanzig Dienstjahre, ein Haus voll Kinder und einen so mäßi¬ gen, mäßigen, Gehalt — soll man ihn plötzlich kränken? Und warum? Weil er nachsichtig gegen einige Bürger war, die eben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/485>, abgerufen am 01.09.2024.