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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Der österreichische Bürger wird erst vollzählig, wenn er Beamte,
Officier, Gutsbesitzer, Großhändler, Großfabrikant wird. Aller¬
dings hat der Kleinbürger bei uns auch seine Ehren und Gerecht¬
same; seinem stolzen Ehrgeize ist in der Hierarchie des Bürgermi-
litärS -- welches, bezeichnender Weise, nicht National - oder auch
nur Communal-Garde heißt -- ein weites Feld eröffnet, er
kann in stattlicher Uniform in Reih und Glied aus den Straßen
paradiren, wenn die hohen Landstände in geschmückten Carossen
zum Landtage fahren, um ihre Interessen zu verfechten, oder auch
nicht zu verfechten; bei größerer Ambition steht ihm sogar die Aus¬
sicht ans eine Corporal- und Feldwebelstelle offen, ja einige Glück¬
liche können (sogar ohne Beamte zu sein!) das (Bürger-) Lieut-
nantS und Hauptmanns-Portepee erringen. Ja, er kann sogar --
iiiK-uizUv <ki<.-er -- die erlMene Würde eines "eisernen Raths" er¬
klimmen !

Der eiserne Rath ist ein wichtiger Mann in jener Frnction
der Wiener Gesellschaft, deren unvergleichlicher Repräsentant
Ehren - Staberl ist. Der Magistrat der K. K. Haupt- und Resi¬
denzstadt Wien, Prag :c., besteht bekanntlich aus lauter studirten
Herren, die Regierungsbeamte sind, und daher auch von der Re¬
gierung ernannt werden. Diesem Magistrat ist eine Art Stadt¬
verordneten - C.ollegium beigegeben, welches als unabhängiger Re¬
präsentant der Bürgerschaft sigurirt, und bei außerordentlichen Ge¬
legenheiten zusammengerufen wird, um seine Stimme abzugeben:
ob die Stadt naß wird wenn es regnet? ob man die Laternen bei
Tag oder bei Na'ehe anzünden soll? ob man die Schornsteine in
den Keller oder auf das Dach setzen muß ? und um bei tausend ähn¬
lichen hechwichtigen und schwer zu entscheidenden Fragen mit sei¬
ner Meinung und der Leuchte seines Verstandes den K. K. Ma¬
gistrat zu unterstützen.

Diese ehrsamen Statisten unseres bürgerlichen Dramas sichren
in der Amtssprache den Titel: äußerer Rath, nicht etwa aus
Ironie, weil sie vom Innern nichts erfahren -- der Himmel be¬
wahre uns vor Ironie! -- sondern wahrscheinlich, weil es zum
äußersten kommen mußte, wenn man ihres Raths bedürfte. Das
Wiener Volk aber, welches zwar ein X von einem U sehr wohl
zu unterscheiden weiß, aber die subtilen Doppellaute in ganz ein-


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Der österreichische Bürger wird erst vollzählig, wenn er Beamte,
Officier, Gutsbesitzer, Großhändler, Großfabrikant wird. Aller¬
dings hat der Kleinbürger bei uns auch seine Ehren und Gerecht¬
same; seinem stolzen Ehrgeize ist in der Hierarchie des Bürgermi-
litärS — welches, bezeichnender Weise, nicht National - oder auch
nur Communal-Garde heißt — ein weites Feld eröffnet, er
kann in stattlicher Uniform in Reih und Glied aus den Straßen
paradiren, wenn die hohen Landstände in geschmückten Carossen
zum Landtage fahren, um ihre Interessen zu verfechten, oder auch
nicht zu verfechten; bei größerer Ambition steht ihm sogar die Aus¬
sicht ans eine Corporal- und Feldwebelstelle offen, ja einige Glück¬
liche können (sogar ohne Beamte zu sein!) das (Bürger-) Lieut-
nantS und Hauptmanns-Portepee erringen. Ja, er kann sogar —
iiiK-uizUv <ki<.-er — die erlMene Würde eines „eisernen Raths" er¬
klimmen !

Der eiserne Rath ist ein wichtiger Mann in jener Frnction
der Wiener Gesellschaft, deren unvergleichlicher Repräsentant
Ehren - Staberl ist. Der Magistrat der K. K. Haupt- und Resi¬
denzstadt Wien, Prag :c., besteht bekanntlich aus lauter studirten
Herren, die Regierungsbeamte sind, und daher auch von der Re¬
gierung ernannt werden. Diesem Magistrat ist eine Art Stadt¬
verordneten - C.ollegium beigegeben, welches als unabhängiger Re¬
präsentant der Bürgerschaft sigurirt, und bei außerordentlichen Ge¬
legenheiten zusammengerufen wird, um seine Stimme abzugeben:
ob die Stadt naß wird wenn es regnet? ob man die Laternen bei
Tag oder bei Na'ehe anzünden soll? ob man die Schornsteine in
den Keller oder auf das Dach setzen muß ? und um bei tausend ähn¬
lichen hechwichtigen und schwer zu entscheidenden Fragen mit sei¬
ner Meinung und der Leuchte seines Verstandes den K. K. Ma¬
gistrat zu unterstützen.

Diese ehrsamen Statisten unseres bürgerlichen Dramas sichren
in der Amtssprache den Titel: äußerer Rath, nicht etwa aus
Ironie, weil sie vom Innern nichts erfahren — der Himmel be¬
wahre uns vor Ironie! — sondern wahrscheinlich, weil es zum
äußersten kommen mußte, wenn man ihres Raths bedürfte. Das
Wiener Volk aber, welches zwar ein X von einem U sehr wohl
zu unterscheiden weiß, aber die subtilen Doppellaute in ganz ein-


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[0483] Der österreichische Bürger wird erst vollzählig, wenn er Beamte, Officier, Gutsbesitzer, Großhändler, Großfabrikant wird. Aller¬ dings hat der Kleinbürger bei uns auch seine Ehren und Gerecht¬ same; seinem stolzen Ehrgeize ist in der Hierarchie des Bürgermi- litärS — welches, bezeichnender Weise, nicht National - oder auch nur Communal-Garde heißt — ein weites Feld eröffnet, er kann in stattlicher Uniform in Reih und Glied aus den Straßen paradiren, wenn die hohen Landstände in geschmückten Carossen zum Landtage fahren, um ihre Interessen zu verfechten, oder auch nicht zu verfechten; bei größerer Ambition steht ihm sogar die Aus¬ sicht ans eine Corporal- und Feldwebelstelle offen, ja einige Glück¬ liche können (sogar ohne Beamte zu sein!) das (Bürger-) Lieut- nantS und Hauptmanns-Portepee erringen. Ja, er kann sogar — iiiK-uizUv <ki<.-er — die erlMene Würde eines „eisernen Raths" er¬ klimmen ! Der eiserne Rath ist ein wichtiger Mann in jener Frnction der Wiener Gesellschaft, deren unvergleichlicher Repräsentant Ehren - Staberl ist. Der Magistrat der K. K. Haupt- und Resi¬ denzstadt Wien, Prag :c., besteht bekanntlich aus lauter studirten Herren, die Regierungsbeamte sind, und daher auch von der Re¬ gierung ernannt werden. Diesem Magistrat ist eine Art Stadt¬ verordneten - C.ollegium beigegeben, welches als unabhängiger Re¬ präsentant der Bürgerschaft sigurirt, und bei außerordentlichen Ge¬ legenheiten zusammengerufen wird, um seine Stimme abzugeben: ob die Stadt naß wird wenn es regnet? ob man die Laternen bei Tag oder bei Na'ehe anzünden soll? ob man die Schornsteine in den Keller oder auf das Dach setzen muß ? und um bei tausend ähn¬ lichen hechwichtigen und schwer zu entscheidenden Fragen mit sei¬ ner Meinung und der Leuchte seines Verstandes den K. K. Ma¬ gistrat zu unterstützen. Diese ehrsamen Statisten unseres bürgerlichen Dramas sichren in der Amtssprache den Titel: äußerer Rath, nicht etwa aus Ironie, weil sie vom Innern nichts erfahren — der Himmel be¬ wahre uns vor Ironie! — sondern wahrscheinlich, weil es zum äußersten kommen mußte, wenn man ihres Raths bedürfte. Das Wiener Volk aber, welches zwar ein X von einem U sehr wohl zu unterscheiden weiß, aber die subtilen Doppellaute in ganz ein- 6»*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/483>, abgerufen am 23.12.2024.