Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

fühl über die unbegreiflichen Illusionen, welche die polnischen Jünglinge, ja
selbst erfahrne Männer zu solch gewagter Unternehmung in einerZeit hin¬
reißen konnten, wo gar Nichts ihnen die Wahrscheinlichkeit eines gün¬
stigen Erfolgs verbürgen möchte. Allein sie enthalten auch noch eine
heilsame Lehre für die Aristokratie aller Lander, die sich aus dem Ver¬
halten der Bauern die Erfahrungsregel ableiten kann, daß die Zeit
ihrer Macht und ihres Einflusses auf das Geschick der Völker vorüber
sei und die Monarchie jetzt mit den unteren Klassen direct unterhan¬
deln muß. Selbst die Bauern in Galicien haben endlich begriffen,
daß die Adelspartei nicht der beglückende Genius des Landes ist und
daß ihr ganzes Bestreben zu allen Zeiten nur dahin gerichtet war, das
Volk auszusaugen und die Staatsgewalt einzuschüchtern. Nur we¬
nige Regierungen sind noch so schwach oder blödsichtig, um das ade¬
lige Parteispiel nicht zu durchschauen und es nicht lieber vorzuziehen,
mit der demokratischen Menge in freundschaftliche Berührung zu
treten, denn das Volk ist leicht zu gewinnen und ist von jeher dank¬
barer gewesen als die stolze Aristokratie. Auch das Volk wird im¬
mer besser fahren, wenn es sich der Negierung anschließt und sich
nicht von dem selbstsüchtigen Adel leiten und narren laßt, indem Nie¬
mand weniger geneigt ist, ererbte oder angemaßte Rechte und Privi¬
legien, auch wenn es offenbare Mißbräuche sind, aufzuopfern, als eben
dieser Adel, dessen verderblicher Einfluß eigentlich erst die conservative
Regierungspolitik erzeugt hat. Ohne Adel gäbe es gar keine conser¬
vative Regierungen in dem Sinn; wie wir sie heut zu Tage kennen.

Viele hier anwesende Polen klagen über das Erbrechen ihrer
Briefe aus der Heimat, indem ihnen dieselben seit mehreren Wochen
häufig geöffnet und mit der Aufschrift: Von Amts-wegen, eingehän¬
digt werden. Das ist aber das Schlimmste noch nicht, sondern viele
Briefe werden ganz und gar zurückgehalten, was um so willkühclicher
erscheint, da es ganz unschuldige Privatschreiben sind, die kaum et¬
was anderes, als Familiennachrichten enthalten, und sollte etwas sich
in der That Anstößiges darin finden, dessen Verbreitung unter den
gegenwärtigen Umständen zu verhindern rathsam wäre, so läge es in
der Billigkeit und Pflicht, den unverfänglichen Inhalt dem Adres¬
saten mit Ausscheidung des Anstößigen abgeschrieben zuzustellen, da
im entgegengesetzten Fall allzuleicht die unangenehmsten Verwicklungen
und individuelles Mißgeschick entstehen können. Uebrigens will man
bemerkt haben, daß blos jene Briefe erbrochen wurden, die einen pol¬
nischen Namen trugen, indeß solche, die an einen deutschen Empfän¬
ger gerichtet sind, unangefochten bleiben. Zur Zeit des lärmmachen¬
den Dissidententhums wurde eine ahnliche Beaufsichtigung gegen alle
Briefe ausgeübt, welche aus demjenigen Theile Deutschlands kamen,
in dem sich deutschkatholische Gemeinden gebildet haben. Man konnte


fühl über die unbegreiflichen Illusionen, welche die polnischen Jünglinge, ja
selbst erfahrne Männer zu solch gewagter Unternehmung in einerZeit hin¬
reißen konnten, wo gar Nichts ihnen die Wahrscheinlichkeit eines gün¬
stigen Erfolgs verbürgen möchte. Allein sie enthalten auch noch eine
heilsame Lehre für die Aristokratie aller Lander, die sich aus dem Ver¬
halten der Bauern die Erfahrungsregel ableiten kann, daß die Zeit
ihrer Macht und ihres Einflusses auf das Geschick der Völker vorüber
sei und die Monarchie jetzt mit den unteren Klassen direct unterhan¬
deln muß. Selbst die Bauern in Galicien haben endlich begriffen,
daß die Adelspartei nicht der beglückende Genius des Landes ist und
daß ihr ganzes Bestreben zu allen Zeiten nur dahin gerichtet war, das
Volk auszusaugen und die Staatsgewalt einzuschüchtern. Nur we¬
nige Regierungen sind noch so schwach oder blödsichtig, um das ade¬
lige Parteispiel nicht zu durchschauen und es nicht lieber vorzuziehen,
mit der demokratischen Menge in freundschaftliche Berührung zu
treten, denn das Volk ist leicht zu gewinnen und ist von jeher dank¬
barer gewesen als die stolze Aristokratie. Auch das Volk wird im¬
mer besser fahren, wenn es sich der Negierung anschließt und sich
nicht von dem selbstsüchtigen Adel leiten und narren laßt, indem Nie¬
mand weniger geneigt ist, ererbte oder angemaßte Rechte und Privi¬
legien, auch wenn es offenbare Mißbräuche sind, aufzuopfern, als eben
dieser Adel, dessen verderblicher Einfluß eigentlich erst die conservative
Regierungspolitik erzeugt hat. Ohne Adel gäbe es gar keine conser¬
vative Regierungen in dem Sinn; wie wir sie heut zu Tage kennen.

Viele hier anwesende Polen klagen über das Erbrechen ihrer
Briefe aus der Heimat, indem ihnen dieselben seit mehreren Wochen
häufig geöffnet und mit der Aufschrift: Von Amts-wegen, eingehän¬
digt werden. Das ist aber das Schlimmste noch nicht, sondern viele
Briefe werden ganz und gar zurückgehalten, was um so willkühclicher
erscheint, da es ganz unschuldige Privatschreiben sind, die kaum et¬
was anderes, als Familiennachrichten enthalten, und sollte etwas sich
in der That Anstößiges darin finden, dessen Verbreitung unter den
gegenwärtigen Umständen zu verhindern rathsam wäre, so läge es in
der Billigkeit und Pflicht, den unverfänglichen Inhalt dem Adres¬
saten mit Ausscheidung des Anstößigen abgeschrieben zuzustellen, da
im entgegengesetzten Fall allzuleicht die unangenehmsten Verwicklungen
und individuelles Mißgeschick entstehen können. Uebrigens will man
bemerkt haben, daß blos jene Briefe erbrochen wurden, die einen pol¬
nischen Namen trugen, indeß solche, die an einen deutschen Empfän¬
ger gerichtet sind, unangefochten bleiben. Zur Zeit des lärmmachen¬
den Dissidententhums wurde eine ahnliche Beaufsichtigung gegen alle
Briefe ausgeübt, welche aus demjenigen Theile Deutschlands kamen,
in dem sich deutschkatholische Gemeinden gebildet haben. Man konnte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0462" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182272"/>
            <p xml:id="ID_1085" prev="#ID_1084"> fühl über die unbegreiflichen Illusionen, welche die polnischen Jünglinge, ja<lb/>
selbst erfahrne Männer zu solch gewagter Unternehmung in einerZeit hin¬<lb/>
reißen konnten, wo gar Nichts ihnen die Wahrscheinlichkeit eines gün¬<lb/>
stigen Erfolgs verbürgen möchte. Allein sie enthalten auch noch eine<lb/>
heilsame Lehre für die Aristokratie aller Lander, die sich aus dem Ver¬<lb/>
halten der Bauern die Erfahrungsregel ableiten kann, daß die Zeit<lb/>
ihrer Macht und ihres Einflusses auf das Geschick der Völker vorüber<lb/>
sei und die Monarchie jetzt mit den unteren Klassen direct unterhan¬<lb/>
deln muß. Selbst die Bauern in Galicien haben endlich begriffen,<lb/>
daß die Adelspartei nicht der beglückende Genius des Landes ist und<lb/>
daß ihr ganzes Bestreben zu allen Zeiten nur dahin gerichtet war, das<lb/>
Volk auszusaugen und die Staatsgewalt einzuschüchtern. Nur we¬<lb/>
nige Regierungen sind noch so schwach oder blödsichtig, um das ade¬<lb/>
lige Parteispiel nicht zu durchschauen und es nicht lieber vorzuziehen,<lb/>
mit der demokratischen Menge in freundschaftliche Berührung zu<lb/>
treten, denn das Volk ist leicht zu gewinnen und ist von jeher dank¬<lb/>
barer gewesen als die stolze Aristokratie. Auch das Volk wird im¬<lb/>
mer besser fahren, wenn es sich der Negierung anschließt und sich<lb/>
nicht von dem selbstsüchtigen Adel leiten und narren laßt, indem Nie¬<lb/>
mand weniger geneigt ist, ererbte oder angemaßte Rechte und Privi¬<lb/>
legien, auch wenn es offenbare Mißbräuche sind, aufzuopfern, als eben<lb/>
dieser Adel, dessen verderblicher Einfluß eigentlich erst die conservative<lb/>
Regierungspolitik erzeugt hat. Ohne Adel gäbe es gar keine conser¬<lb/>
vative Regierungen in dem Sinn; wie wir sie heut zu Tage kennen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1086" next="#ID_1087"> Viele hier anwesende Polen klagen über das Erbrechen ihrer<lb/>
Briefe aus der Heimat, indem ihnen dieselben seit mehreren Wochen<lb/>
häufig geöffnet und mit der Aufschrift: Von Amts-wegen, eingehän¬<lb/>
digt werden. Das ist aber das Schlimmste noch nicht, sondern viele<lb/>
Briefe werden ganz und gar zurückgehalten, was um so willkühclicher<lb/>
erscheint, da es ganz unschuldige Privatschreiben sind, die kaum et¬<lb/>
was anderes, als Familiennachrichten enthalten, und sollte etwas sich<lb/>
in der That Anstößiges darin finden, dessen Verbreitung unter den<lb/>
gegenwärtigen Umständen zu verhindern rathsam wäre, so läge es in<lb/>
der Billigkeit und Pflicht, den unverfänglichen Inhalt dem Adres¬<lb/>
saten mit Ausscheidung des Anstößigen abgeschrieben zuzustellen, da<lb/>
im entgegengesetzten Fall allzuleicht die unangenehmsten Verwicklungen<lb/>
und individuelles Mißgeschick entstehen können. Uebrigens will man<lb/>
bemerkt haben, daß blos jene Briefe erbrochen wurden, die einen pol¬<lb/>
nischen Namen trugen, indeß solche, die an einen deutschen Empfän¬<lb/>
ger gerichtet sind, unangefochten bleiben. Zur Zeit des lärmmachen¬<lb/>
den Dissidententhums wurde eine ahnliche Beaufsichtigung gegen alle<lb/>
Briefe ausgeübt, welche aus demjenigen Theile Deutschlands kamen,<lb/>
in dem sich deutschkatholische Gemeinden gebildet haben. Man konnte</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0462] fühl über die unbegreiflichen Illusionen, welche die polnischen Jünglinge, ja selbst erfahrne Männer zu solch gewagter Unternehmung in einerZeit hin¬ reißen konnten, wo gar Nichts ihnen die Wahrscheinlichkeit eines gün¬ stigen Erfolgs verbürgen möchte. Allein sie enthalten auch noch eine heilsame Lehre für die Aristokratie aller Lander, die sich aus dem Ver¬ halten der Bauern die Erfahrungsregel ableiten kann, daß die Zeit ihrer Macht und ihres Einflusses auf das Geschick der Völker vorüber sei und die Monarchie jetzt mit den unteren Klassen direct unterhan¬ deln muß. Selbst die Bauern in Galicien haben endlich begriffen, daß die Adelspartei nicht der beglückende Genius des Landes ist und daß ihr ganzes Bestreben zu allen Zeiten nur dahin gerichtet war, das Volk auszusaugen und die Staatsgewalt einzuschüchtern. Nur we¬ nige Regierungen sind noch so schwach oder blödsichtig, um das ade¬ lige Parteispiel nicht zu durchschauen und es nicht lieber vorzuziehen, mit der demokratischen Menge in freundschaftliche Berührung zu treten, denn das Volk ist leicht zu gewinnen und ist von jeher dank¬ barer gewesen als die stolze Aristokratie. Auch das Volk wird im¬ mer besser fahren, wenn es sich der Negierung anschließt und sich nicht von dem selbstsüchtigen Adel leiten und narren laßt, indem Nie¬ mand weniger geneigt ist, ererbte oder angemaßte Rechte und Privi¬ legien, auch wenn es offenbare Mißbräuche sind, aufzuopfern, als eben dieser Adel, dessen verderblicher Einfluß eigentlich erst die conservative Regierungspolitik erzeugt hat. Ohne Adel gäbe es gar keine conser¬ vative Regierungen in dem Sinn; wie wir sie heut zu Tage kennen. Viele hier anwesende Polen klagen über das Erbrechen ihrer Briefe aus der Heimat, indem ihnen dieselben seit mehreren Wochen häufig geöffnet und mit der Aufschrift: Von Amts-wegen, eingehän¬ digt werden. Das ist aber das Schlimmste noch nicht, sondern viele Briefe werden ganz und gar zurückgehalten, was um so willkühclicher erscheint, da es ganz unschuldige Privatschreiben sind, die kaum et¬ was anderes, als Familiennachrichten enthalten, und sollte etwas sich in der That Anstößiges darin finden, dessen Verbreitung unter den gegenwärtigen Umständen zu verhindern rathsam wäre, so läge es in der Billigkeit und Pflicht, den unverfänglichen Inhalt dem Adres¬ saten mit Ausscheidung des Anstößigen abgeschrieben zuzustellen, da im entgegengesetzten Fall allzuleicht die unangenehmsten Verwicklungen und individuelles Mißgeschick entstehen können. Uebrigens will man bemerkt haben, daß blos jene Briefe erbrochen wurden, die einen pol¬ nischen Namen trugen, indeß solche, die an einen deutschen Empfän¬ ger gerichtet sind, unangefochten bleiben. Zur Zeit des lärmmachen¬ den Dissidententhums wurde eine ahnliche Beaufsichtigung gegen alle Briefe ausgeübt, welche aus demjenigen Theile Deutschlands kamen, in dem sich deutschkatholische Gemeinden gebildet haben. Man konnte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/462
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/462>, abgerufen am 22.12.2024.