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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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umher in Verlegenheit gerieth. Ben-Achache aber wendete sich zu dem
Dolmetscher und sagte ihm lächelnd ins Ohr: Die muß viel gekostet
haben! Was die Pariser nicht wenig verdroß, das war der Gleich¬
muth und der ruhige, stolze, man möchte sagen, verächtliche Blick, mit
dem die Araber alle die Herrlichkeiten der Oper, der Maskenbälle -c.
aus ihrer Loge ansahen. Das ist die süße Eitelkeit der Pariser, die da
glauben, man könne keine alte Mauer ihrer Stadt sehen, ohne in
Verzückungen zu gerathen. Diese Araber haben zu großartige Schaum
spiele gesehen, um sich für unsere zierlichen Spectakeleien zu begeistern;
sie haben Löwen- und Tigerjagden gesehen, sie kennen den Atlas, die
Wüste! Und hier sollten ihnen Polkas und Statistinnen imponiren.
Ein einziges Schauspiel setzte sie in Enthusiasmus: eine Militär-Revue.
Als sie die dreißigtausend Mann, die auf dem Marsfelde manövrir-
ten, sahen, in geschlossenen Cavallerie-Escadronen, mit dem tönenden
Artillerie-Park und den Musketenglänzenden Regimentern, da konnte
man die Erregung dieser Numidier aus ihren flammenden Blicken er¬
rathen. Nun sind sie nach Hause gekehrt, aber wird nicht die Be¬
wunderung vor dem Genie ihres Landsmanns Abtei-Kader jetzt erst
wachsen, wenn sie bei ihrer Ankunft hören, daß er all dieser wun¬
derbaren Kriegsmacht zum Trotze mit seinen Reitern von Neuem bis
zehn Meilen von Algier vorgedrungen und mit seinem wilden, klei¬
nen, aber begeisterten Häuflein hunderttausend wohldressirten, bewaff¬
neten und studieren Franken die Unabhängigkeit seiner Heimat unos seines
Glaubens abtrotzt? Der Eharivari brachte einmal eine Carricatur,
welche einen französischen Soldaten vorstellte, der von einem Araber
bei der Gurgel festgehalten wird und der seinem Korporal zuruft:
"Hierher, Dumanet, ich habe einen Araber gefangen." "So bringe
ihn her," schreit ihm der Korporal aus der Feine zu. "Ich kann
nicht, er will mich nicht auslassen," ruft der arme Soldat. Diese
Carricatur ist eigentlich eine Charakterzeichnung für die ganze Stel¬
lung der Franzosen in Algier. Ich habe Abtei Kader geschlagen, ich
habe Abtei Kader in die Flucht gejagt, ich habe Abtei Kader ausge¬
rottet, ich habe Abtei Kader vernichtet, schreibt Marschall Bugeaud
in jedem seiner tausend Berichte. So verhindern Sie doch, daß er
unsere Colonie von neuem ausplündert und verheert, schreibt man ihm
von hier. Ich kann nicht, er will uns nicht die Ruhe lassen, ant¬
wortet der Marschall. So viel ist gewiß, der Krieg in Algier, der
von den Franzosen lange Zeit als ein Spielwerk betrachtet wurde, ist
jetzt einer der ernstesten geworden. Die30,A10 Mann, die man dort
gewissermaßen im Manöver üben wollte, sind bereits zu hunderttau¬
send Mann angewachsen, aus dem kleinett Geschwür ist ein großer
Krebs entstanden, und so geschickte Wundärzte die Franzosen auch sind,
hier werden sie kaum fertig, ohne ein Glied im Stiche zu lassen.

Gestern war der vorletzte Carnevalstag, Faschingsmontag ^ wie


umher in Verlegenheit gerieth. Ben-Achache aber wendete sich zu dem
Dolmetscher und sagte ihm lächelnd ins Ohr: Die muß viel gekostet
haben! Was die Pariser nicht wenig verdroß, das war der Gleich¬
muth und der ruhige, stolze, man möchte sagen, verächtliche Blick, mit
dem die Araber alle die Herrlichkeiten der Oper, der Maskenbälle -c.
aus ihrer Loge ansahen. Das ist die süße Eitelkeit der Pariser, die da
glauben, man könne keine alte Mauer ihrer Stadt sehen, ohne in
Verzückungen zu gerathen. Diese Araber haben zu großartige Schaum
spiele gesehen, um sich für unsere zierlichen Spectakeleien zu begeistern;
sie haben Löwen- und Tigerjagden gesehen, sie kennen den Atlas, die
Wüste! Und hier sollten ihnen Polkas und Statistinnen imponiren.
Ein einziges Schauspiel setzte sie in Enthusiasmus: eine Militär-Revue.
Als sie die dreißigtausend Mann, die auf dem Marsfelde manövrir-
ten, sahen, in geschlossenen Cavallerie-Escadronen, mit dem tönenden
Artillerie-Park und den Musketenglänzenden Regimentern, da konnte
man die Erregung dieser Numidier aus ihren flammenden Blicken er¬
rathen. Nun sind sie nach Hause gekehrt, aber wird nicht die Be¬
wunderung vor dem Genie ihres Landsmanns Abtei-Kader jetzt erst
wachsen, wenn sie bei ihrer Ankunft hören, daß er all dieser wun¬
derbaren Kriegsmacht zum Trotze mit seinen Reitern von Neuem bis
zehn Meilen von Algier vorgedrungen und mit seinem wilden, klei¬
nen, aber begeisterten Häuflein hunderttausend wohldressirten, bewaff¬
neten und studieren Franken die Unabhängigkeit seiner Heimat unos seines
Glaubens abtrotzt? Der Eharivari brachte einmal eine Carricatur,
welche einen französischen Soldaten vorstellte, der von einem Araber
bei der Gurgel festgehalten wird und der seinem Korporal zuruft:
„Hierher, Dumanet, ich habe einen Araber gefangen." „So bringe
ihn her," schreit ihm der Korporal aus der Feine zu. „Ich kann
nicht, er will mich nicht auslassen," ruft der arme Soldat. Diese
Carricatur ist eigentlich eine Charakterzeichnung für die ganze Stel¬
lung der Franzosen in Algier. Ich habe Abtei Kader geschlagen, ich
habe Abtei Kader in die Flucht gejagt, ich habe Abtei Kader ausge¬
rottet, ich habe Abtei Kader vernichtet, schreibt Marschall Bugeaud
in jedem seiner tausend Berichte. So verhindern Sie doch, daß er
unsere Colonie von neuem ausplündert und verheert, schreibt man ihm
von hier. Ich kann nicht, er will uns nicht die Ruhe lassen, ant¬
wortet der Marschall. So viel ist gewiß, der Krieg in Algier, der
von den Franzosen lange Zeit als ein Spielwerk betrachtet wurde, ist
jetzt einer der ernstesten geworden. Die30,A10 Mann, die man dort
gewissermaßen im Manöver üben wollte, sind bereits zu hunderttau¬
send Mann angewachsen, aus dem kleinett Geschwür ist ein großer
Krebs entstanden, und so geschickte Wundärzte die Franzosen auch sind,
hier werden sie kaum fertig, ohne ein Glied im Stiche zu lassen.

Gestern war der vorletzte Carnevalstag, Faschingsmontag ^ wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/460>, abgerufen am 01.09.2024.