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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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-- Betty Paoli! eine alte, gute Freundin! Lassen Sie doch
das Buch sehen. -- Richtig, Betty Paoli, mit einem Motto von
Heinrich Landesmann. Ach, lassen Sie sich von Heinrich Landes¬
mann erzählen. Der ist in einem Theile der deutschen Literatur,
was Ulrich Guttingcr in der französischen. So viele Dichter ken¬
nen und verehren und besingen ihn, aber der Literatur ist er bis¬
her noch unbekannt; das ist ein Mensch!

-- Nichts da! Ich will nichts von Ihren Männern hören,
bleiben 'wir bei meinen lieben Frauen, zumal ich Ihren Heinrich
Landesmann schon aus seinem schönen, tiefsinnigen Gedichte "Ab-
dul" kenne. Erzählen Sie mir von Betty Paoli!

-- Ich füge mich, denn ich bin Ihr Secleneigener. Aber wie
anfangen? wo beginnen? Mit Betty Paoli habe ich Jahre in gu¬
ter Bekanntschaft verbracht, und wollte ich Ihnen alles erzählen,
was ich mit ihr erlebt, was ich von ihr erfahren, es gäbe dicke
Bände. Also will ich lieber kurz sein und im Lapidarstyl sprechen.
Lesen Sie ihre Gedichte, und Sie kennen ihre Geschichte. Der
erste Theil ist wild, stürmisch, aufbrausend, tobend wie ihre Ju¬
gend, voll bittern Elends, Unglücks, Leidenschaft und Leidensge¬
schichte wie diese. Der zweite Theil, den sie sonderbar aber be¬
zeichnend "Nach dem Gewitter" nannte, ist ruhig, wehmüthig,
stillbewcgt und beschaulich, wie Betty Paoli jetzt wirklich ist. Das
Gewitter hat sich verlobt, die Gräser sind thränenbethaut, am Him¬
mel steht das Zeichen des Friedens, der Regenbogen. Nur hier
und da fährt noch ein leichter Blitz flammend durch die Luft. Doch
dürfen Sie diese Ruhe nicht als ein Zeichen des Alters nehmen,
denn Betty ist noch jung, ein schönes Weib, mit einem Gesichte,
dem man ein reiches, inneres Leben ansieht, und das, wie Göthe
zu sagen pflegte, eine Geschichte, eine reiche, vielfach bewegte und
wechselnde Geschichte erzählt, und das wie ihre feurigen Gedichte,
die südliche, griechische Abstammung verräth. Ich habe, wie ge¬
sagt, viele Jahre in persönlichem und brieflichem Verkehre mit ihr
gestanden, aber fast nie erzählte sie mir von ihrer Vergangenheit.
Es scheint, sie denke und erinnere sich nicht gern daran, wie an
einen bösen Traum. Nur hier und da erfuhr ich Bruchstücke, die
allerdings zeigen, daß das Gedicht ihres Jugendlebens mitunter
unendlich traurige, schaurige und nächtige Stellen habe. Aber ich


Grenzboten, I, lui". 5g

— Betty Paoli! eine alte, gute Freundin! Lassen Sie doch
das Buch sehen. — Richtig, Betty Paoli, mit einem Motto von
Heinrich Landesmann. Ach, lassen Sie sich von Heinrich Landes¬
mann erzählen. Der ist in einem Theile der deutschen Literatur,
was Ulrich Guttingcr in der französischen. So viele Dichter ken¬
nen und verehren und besingen ihn, aber der Literatur ist er bis¬
her noch unbekannt; das ist ein Mensch!

— Nichts da! Ich will nichts von Ihren Männern hören,
bleiben 'wir bei meinen lieben Frauen, zumal ich Ihren Heinrich
Landesmann schon aus seinem schönen, tiefsinnigen Gedichte „Ab-
dul" kenne. Erzählen Sie mir von Betty Paoli!

— Ich füge mich, denn ich bin Ihr Secleneigener. Aber wie
anfangen? wo beginnen? Mit Betty Paoli habe ich Jahre in gu¬
ter Bekanntschaft verbracht, und wollte ich Ihnen alles erzählen,
was ich mit ihr erlebt, was ich von ihr erfahren, es gäbe dicke
Bände. Also will ich lieber kurz sein und im Lapidarstyl sprechen.
Lesen Sie ihre Gedichte, und Sie kennen ihre Geschichte. Der
erste Theil ist wild, stürmisch, aufbrausend, tobend wie ihre Ju¬
gend, voll bittern Elends, Unglücks, Leidenschaft und Leidensge¬
schichte wie diese. Der zweite Theil, den sie sonderbar aber be¬
zeichnend „Nach dem Gewitter" nannte, ist ruhig, wehmüthig,
stillbewcgt und beschaulich, wie Betty Paoli jetzt wirklich ist. Das
Gewitter hat sich verlobt, die Gräser sind thränenbethaut, am Him¬
mel steht das Zeichen des Friedens, der Regenbogen. Nur hier
und da fährt noch ein leichter Blitz flammend durch die Luft. Doch
dürfen Sie diese Ruhe nicht als ein Zeichen des Alters nehmen,
denn Betty ist noch jung, ein schönes Weib, mit einem Gesichte,
dem man ein reiches, inneres Leben ansieht, und das, wie Göthe
zu sagen pflegte, eine Geschichte, eine reiche, vielfach bewegte und
wechselnde Geschichte erzählt, und das wie ihre feurigen Gedichte,
die südliche, griechische Abstammung verräth. Ich habe, wie ge¬
sagt, viele Jahre in persönlichem und brieflichem Verkehre mit ihr
gestanden, aber fast nie erzählte sie mir von ihrer Vergangenheit.
Es scheint, sie denke und erinnere sich nicht gern daran, wie an
einen bösen Traum. Nur hier und da erfuhr ich Bruchstücke, die
allerdings zeigen, daß das Gedicht ihres Jugendlebens mitunter
unendlich traurige, schaurige und nächtige Stellen habe. Aber ich


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[0449] — Betty Paoli! eine alte, gute Freundin! Lassen Sie doch das Buch sehen. — Richtig, Betty Paoli, mit einem Motto von Heinrich Landesmann. Ach, lassen Sie sich von Heinrich Landes¬ mann erzählen. Der ist in einem Theile der deutschen Literatur, was Ulrich Guttingcr in der französischen. So viele Dichter ken¬ nen und verehren und besingen ihn, aber der Literatur ist er bis¬ her noch unbekannt; das ist ein Mensch! — Nichts da! Ich will nichts von Ihren Männern hören, bleiben 'wir bei meinen lieben Frauen, zumal ich Ihren Heinrich Landesmann schon aus seinem schönen, tiefsinnigen Gedichte „Ab- dul" kenne. Erzählen Sie mir von Betty Paoli! — Ich füge mich, denn ich bin Ihr Secleneigener. Aber wie anfangen? wo beginnen? Mit Betty Paoli habe ich Jahre in gu¬ ter Bekanntschaft verbracht, und wollte ich Ihnen alles erzählen, was ich mit ihr erlebt, was ich von ihr erfahren, es gäbe dicke Bände. Also will ich lieber kurz sein und im Lapidarstyl sprechen. Lesen Sie ihre Gedichte, und Sie kennen ihre Geschichte. Der erste Theil ist wild, stürmisch, aufbrausend, tobend wie ihre Ju¬ gend, voll bittern Elends, Unglücks, Leidenschaft und Leidensge¬ schichte wie diese. Der zweite Theil, den sie sonderbar aber be¬ zeichnend „Nach dem Gewitter" nannte, ist ruhig, wehmüthig, stillbewcgt und beschaulich, wie Betty Paoli jetzt wirklich ist. Das Gewitter hat sich verlobt, die Gräser sind thränenbethaut, am Him¬ mel steht das Zeichen des Friedens, der Regenbogen. Nur hier und da fährt noch ein leichter Blitz flammend durch die Luft. Doch dürfen Sie diese Ruhe nicht als ein Zeichen des Alters nehmen, denn Betty ist noch jung, ein schönes Weib, mit einem Gesichte, dem man ein reiches, inneres Leben ansieht, und das, wie Göthe zu sagen pflegte, eine Geschichte, eine reiche, vielfach bewegte und wechselnde Geschichte erzählt, und das wie ihre feurigen Gedichte, die südliche, griechische Abstammung verräth. Ich habe, wie ge¬ sagt, viele Jahre in persönlichem und brieflichem Verkehre mit ihr gestanden, aber fast nie erzählte sie mir von ihrer Vergangenheit. Es scheint, sie denke und erinnere sich nicht gern daran, wie an einen bösen Traum. Nur hier und da erfuhr ich Bruchstücke, die allerdings zeigen, daß das Gedicht ihres Jugendlebens mitunter unendlich traurige, schaurige und nächtige Stellen habe. Aber ich Grenzboten, I, lui«. 5g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/449>, abgerufen am 06.10.2024.