Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein russischer Czar nimmt die menschlichen Dinge in Bausch und
Bogen; er kann liebenswürdig sein gegen seine nächste persönliche
Umgebung, ist aber gewohnt, daß man ihm den Anblick der elenden
Würmer erspare, die dann und wann von dem gewaltigen Gang sei¬
ner Politik zertreten werden. Gewiß, nach wie vor wird Rußlands
Oberhaupt seine ehrgeizigen Zwecke und Plane im Auge behalten und
die zu ihrer Ausführung nöthigen Mittel im Voraus "heilig, heilig,
heilig" sprechen; ohne dieselben sich naher anzusehen. Rußland will
seine kirchliche Einheit um jeden Preis durchsetzen. Diese Idee ist so
alt wie die Regierungszeit Nikolai's. Die Verfolgung des Katholi¬
cismus hat einen Nebengrund in dem angeblich revolutionairen d. h.
nationalpolnischen Element dieses Glaubens, aber auch die harmlose
Secte der Malokaner, oder Milchesser, im russischen Armenien wird
seit 182" durch Hunger und Knutenhiebe für die reine Orthodoxie
geworben. Was haben die unschuldigen Milchesser gethan, denen selbst
die grausame Katharina religiöse Duldung gewährte, und die nach
Transkaukasien auswanderten, um, in der tartarischen Umgebung, im
Genuß ihrer Gewissensfreiheit nicht gestört zu werden? Seit Nico-
laus regiert, dringen auch bis in ihre Einsamkeit fanatische Popen in
Kosakenbegleitung. Es ist dieselbe Geschichte wie in Polen.*)

-- Der jetzt commandirende Jesuitengeneral Pater Noothan, ist
bekanntlich ein Hollander. Ein glücklicher Speculationsgeist, ein Sinn
für großartige industrielle Unternehmungen muß den Roothans ange¬
boren sein und in so fern sind sie trotz ihres Papismus, echte Hol¬
länder. Wir wissen nicht, ob es der Jesuitengeneral weiter gebracht hat
und ob er mit seinen Erfolgen so zufrieden sein mag, wie sein Bru¬
der M. F. Noothan, der zuweilen in Geschäften nach Paris kommt.
M. F. Noothan, ebenfalls Katholik, lebt in Brasilien, wo er sich zum
Chef eines der reichsten Handelshäuser aufgeschwungen hat; er macht
-- in Diamanten. Wer weiß, ob sich nicht geheime Beziehungen
zwischen den Geschäften der beiden Brüder auffinden ließen, und ob
sie sich nicht manchmal gegenseitig, von ihrem verschiedenen Wirkungs¬
kreis aus, unter die Arme greifen. Diamanten und Seelen sind eine
gleich köstliche Waare; laufenden wird der erste Artikel solider und
werthvoller scheinen als der letztere; jedenfalls aber wiegt ein Diamant
vom reinsten Wasser eine unreine und gekaufte Seele auf. Eine an¬
dere Frage ist, welches von beiden Geschäften das einträglichere, und
welches das edlere sein mag. Diamanten sind ein Luxusartikel, aber
trotzdem°eine sehr gangbare Waare: Seelen dagegen werden erst dann



Soeben ersehen wir aus verschiedenen Zeitungen (unter Anderem auch
aus der Preuß. Allgem.) daß, glaubwürdigen Nachrichten aus Rom nach, das
angebliche Protokoll erdichtet sei. Es ist, einen Augenblick vo dem Dcke
rru
D. Red. dieser Form, nur noch Zeit, diese Notiz nachzutragen.

Ein russischer Czar nimmt die menschlichen Dinge in Bausch und
Bogen; er kann liebenswürdig sein gegen seine nächste persönliche
Umgebung, ist aber gewohnt, daß man ihm den Anblick der elenden
Würmer erspare, die dann und wann von dem gewaltigen Gang sei¬
ner Politik zertreten werden. Gewiß, nach wie vor wird Rußlands
Oberhaupt seine ehrgeizigen Zwecke und Plane im Auge behalten und
die zu ihrer Ausführung nöthigen Mittel im Voraus „heilig, heilig,
heilig" sprechen; ohne dieselben sich naher anzusehen. Rußland will
seine kirchliche Einheit um jeden Preis durchsetzen. Diese Idee ist so
alt wie die Regierungszeit Nikolai's. Die Verfolgung des Katholi¬
cismus hat einen Nebengrund in dem angeblich revolutionairen d. h.
nationalpolnischen Element dieses Glaubens, aber auch die harmlose
Secte der Malokaner, oder Milchesser, im russischen Armenien wird
seit 182» durch Hunger und Knutenhiebe für die reine Orthodoxie
geworben. Was haben die unschuldigen Milchesser gethan, denen selbst
die grausame Katharina religiöse Duldung gewährte, und die nach
Transkaukasien auswanderten, um, in der tartarischen Umgebung, im
Genuß ihrer Gewissensfreiheit nicht gestört zu werden? Seit Nico-
laus regiert, dringen auch bis in ihre Einsamkeit fanatische Popen in
Kosakenbegleitung. Es ist dieselbe Geschichte wie in Polen.*)

— Der jetzt commandirende Jesuitengeneral Pater Noothan, ist
bekanntlich ein Hollander. Ein glücklicher Speculationsgeist, ein Sinn
für großartige industrielle Unternehmungen muß den Roothans ange¬
boren sein und in so fern sind sie trotz ihres Papismus, echte Hol¬
länder. Wir wissen nicht, ob es der Jesuitengeneral weiter gebracht hat
und ob er mit seinen Erfolgen so zufrieden sein mag, wie sein Bru¬
der M. F. Noothan, der zuweilen in Geschäften nach Paris kommt.
M. F. Noothan, ebenfalls Katholik, lebt in Brasilien, wo er sich zum
Chef eines der reichsten Handelshäuser aufgeschwungen hat; er macht
— in Diamanten. Wer weiß, ob sich nicht geheime Beziehungen
zwischen den Geschäften der beiden Brüder auffinden ließen, und ob
sie sich nicht manchmal gegenseitig, von ihrem verschiedenen Wirkungs¬
kreis aus, unter die Arme greifen. Diamanten und Seelen sind eine
gleich köstliche Waare; laufenden wird der erste Artikel solider und
werthvoller scheinen als der letztere; jedenfalls aber wiegt ein Diamant
vom reinsten Wasser eine unreine und gekaufte Seele auf. Eine an¬
dere Frage ist, welches von beiden Geschäften das einträglichere, und
welches das edlere sein mag. Diamanten sind ein Luxusartikel, aber
trotzdem°eine sehr gangbare Waare: Seelen dagegen werden erst dann



Soeben ersehen wir aus verschiedenen Zeitungen (unter Anderem auch
aus der Preuß. Allgem.) daß, glaubwürdigen Nachrichten aus Rom nach, das
angebliche Protokoll erdichtet sei. Es ist, einen Augenblick vo dem Dcke
rru
D. Red. dieser Form, nur noch Zeit, diese Notiz nachzutragen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0431" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182241"/>
            <p xml:id="ID_979" prev="#ID_978"> Ein russischer Czar nimmt die menschlichen Dinge in Bausch und<lb/>
Bogen; er kann liebenswürdig sein gegen seine nächste persönliche<lb/>
Umgebung, ist aber gewohnt, daß man ihm den Anblick der elenden<lb/>
Würmer erspare, die dann und wann von dem gewaltigen Gang sei¬<lb/>
ner Politik zertreten werden. Gewiß, nach wie vor wird Rußlands<lb/>
Oberhaupt seine ehrgeizigen Zwecke und Plane im Auge behalten und<lb/>
die zu ihrer Ausführung nöthigen Mittel im Voraus &#x201E;heilig, heilig,<lb/>
heilig" sprechen; ohne dieselben sich naher anzusehen. Rußland will<lb/>
seine kirchliche Einheit um jeden Preis durchsetzen. Diese Idee ist so<lb/>
alt wie die Regierungszeit Nikolai's. Die Verfolgung des Katholi¬<lb/>
cismus hat einen Nebengrund in dem angeblich revolutionairen d. h.<lb/>
nationalpolnischen Element dieses Glaubens, aber auch die harmlose<lb/>
Secte der Malokaner, oder Milchesser, im russischen Armenien wird<lb/>
seit 182» durch Hunger und Knutenhiebe für die reine Orthodoxie<lb/>
geworben. Was haben die unschuldigen Milchesser gethan, denen selbst<lb/>
die grausame Katharina religiöse Duldung gewährte, und die nach<lb/>
Transkaukasien auswanderten, um, in der tartarischen Umgebung, im<lb/>
Genuß ihrer Gewissensfreiheit nicht gestört zu werden? Seit Nico-<lb/>
laus regiert, dringen auch bis in ihre Einsamkeit fanatische Popen in<lb/>
Kosakenbegleitung.  Es ist dieselbe Geschichte wie in Polen.*)</p><lb/>
            <p xml:id="ID_980"> &#x2014; Der jetzt commandirende Jesuitengeneral Pater Noothan, ist<lb/>
bekanntlich ein Hollander. Ein glücklicher Speculationsgeist, ein Sinn<lb/>
für großartige industrielle Unternehmungen muß den Roothans ange¬<lb/>
boren sein und in so fern sind sie trotz ihres Papismus, echte Hol¬<lb/>
länder. Wir wissen nicht, ob es der Jesuitengeneral weiter gebracht hat<lb/>
und ob er mit seinen Erfolgen so zufrieden sein mag, wie sein Bru¬<lb/>
der M. F. Noothan, der zuweilen in Geschäften nach Paris kommt.<lb/>
M. F. Noothan, ebenfalls Katholik, lebt in Brasilien, wo er sich zum<lb/>
Chef eines der reichsten Handelshäuser aufgeschwungen hat; er macht<lb/>
&#x2014; in Diamanten. Wer weiß, ob sich nicht geheime Beziehungen<lb/>
zwischen den Geschäften der beiden Brüder auffinden ließen, und ob<lb/>
sie sich nicht manchmal gegenseitig, von ihrem verschiedenen Wirkungs¬<lb/>
kreis aus, unter die Arme greifen. Diamanten und Seelen sind eine<lb/>
gleich köstliche Waare; laufenden wird der erste Artikel solider und<lb/>
werthvoller scheinen als der letztere; jedenfalls aber wiegt ein Diamant<lb/>
vom reinsten Wasser eine unreine und gekaufte Seele auf. Eine an¬<lb/>
dere Frage ist, welches von beiden Geschäften das einträglichere, und<lb/>
welches das edlere sein mag. Diamanten sind ein Luxusartikel, aber<lb/>
trotzdem°eine sehr gangbare Waare: Seelen dagegen werden erst dann</p><lb/>
            <note xml:id="FID_15" place="foot"> Soeben ersehen wir aus verschiedenen Zeitungen (unter Anderem auch<lb/>
aus der Preuß. Allgem.) daß, glaubwürdigen Nachrichten aus Rom nach, das<lb/>
angebliche Protokoll erdichtet sei. Es ist, einen Augenblick vo dem Dcke<lb/><note type="byline"> rru<lb/>
D. Red.</note> dieser Form, nur noch Zeit, diese Notiz nachzutragen. </note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0431] Ein russischer Czar nimmt die menschlichen Dinge in Bausch und Bogen; er kann liebenswürdig sein gegen seine nächste persönliche Umgebung, ist aber gewohnt, daß man ihm den Anblick der elenden Würmer erspare, die dann und wann von dem gewaltigen Gang sei¬ ner Politik zertreten werden. Gewiß, nach wie vor wird Rußlands Oberhaupt seine ehrgeizigen Zwecke und Plane im Auge behalten und die zu ihrer Ausführung nöthigen Mittel im Voraus „heilig, heilig, heilig" sprechen; ohne dieselben sich naher anzusehen. Rußland will seine kirchliche Einheit um jeden Preis durchsetzen. Diese Idee ist so alt wie die Regierungszeit Nikolai's. Die Verfolgung des Katholi¬ cismus hat einen Nebengrund in dem angeblich revolutionairen d. h. nationalpolnischen Element dieses Glaubens, aber auch die harmlose Secte der Malokaner, oder Milchesser, im russischen Armenien wird seit 182» durch Hunger und Knutenhiebe für die reine Orthodoxie geworben. Was haben die unschuldigen Milchesser gethan, denen selbst die grausame Katharina religiöse Duldung gewährte, und die nach Transkaukasien auswanderten, um, in der tartarischen Umgebung, im Genuß ihrer Gewissensfreiheit nicht gestört zu werden? Seit Nico- laus regiert, dringen auch bis in ihre Einsamkeit fanatische Popen in Kosakenbegleitung. Es ist dieselbe Geschichte wie in Polen.*) — Der jetzt commandirende Jesuitengeneral Pater Noothan, ist bekanntlich ein Hollander. Ein glücklicher Speculationsgeist, ein Sinn für großartige industrielle Unternehmungen muß den Roothans ange¬ boren sein und in so fern sind sie trotz ihres Papismus, echte Hol¬ länder. Wir wissen nicht, ob es der Jesuitengeneral weiter gebracht hat und ob er mit seinen Erfolgen so zufrieden sein mag, wie sein Bru¬ der M. F. Noothan, der zuweilen in Geschäften nach Paris kommt. M. F. Noothan, ebenfalls Katholik, lebt in Brasilien, wo er sich zum Chef eines der reichsten Handelshäuser aufgeschwungen hat; er macht — in Diamanten. Wer weiß, ob sich nicht geheime Beziehungen zwischen den Geschäften der beiden Brüder auffinden ließen, und ob sie sich nicht manchmal gegenseitig, von ihrem verschiedenen Wirkungs¬ kreis aus, unter die Arme greifen. Diamanten und Seelen sind eine gleich köstliche Waare; laufenden wird der erste Artikel solider und werthvoller scheinen als der letztere; jedenfalls aber wiegt ein Diamant vom reinsten Wasser eine unreine und gekaufte Seele auf. Eine an¬ dere Frage ist, welches von beiden Geschäften das einträglichere, und welches das edlere sein mag. Diamanten sind ein Luxusartikel, aber trotzdem°eine sehr gangbare Waare: Seelen dagegen werden erst dann Soeben ersehen wir aus verschiedenen Zeitungen (unter Anderem auch aus der Preuß. Allgem.) daß, glaubwürdigen Nachrichten aus Rom nach, das angebliche Protokoll erdichtet sei. Es ist, einen Augenblick vo dem Dcke rru D. Red. dieser Form, nur noch Zeit, diese Notiz nachzutragen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/431
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/431>, abgerufen am 22.12.2024.