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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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der Gränze mit geballter Faust. Das gab mir meine Heiterkeit
wieder, und freudigen Herzens jubelte ich ins Land Graubündten
hinein.

Vier glückliche, rastlose Wochen brachte ich in der Schweiz
zu. Durch die Thore von vierzig Städten bin ich gezogen, mit
vielen Postwagen und Dampfschiffen bin ich gefahren, und nir¬
gends, nirgends brauchte ich einen Paß. Mir war so wohl, als
wäre ich in einen seligen Naturzustand zurückgekehrt und als gäbe
es auf Erden kein Laster, keine Schmerzen, keine Polizei und keine
Pässe. Erst in Konstanz mußte ich wieder an all das erinnert
werden, und daß ich mich auf deutschem Boden befände. Doch war
es Baden, wo ich mich befand, und die Polizei ließ mich freund¬
lich gehen, als ich ihr auf die Frage nach meinem Paß mit tiefer
Baßstimme: "Student" antwortete. Ich rathe Jedem, der aus
der Schweiz nach Deutschland zurückkehrt, ja über Badisches Ge¬
biet zu reisen, der Uebergang ist dann nicht so auffallend, und er
muß sich das süße Gefühl der Paßlosigkeit nicht mit einem Male
und gewaltsam, sondern wohlthätig nach und nach abgewöhnen.
Wäre ich aus der Schweiz direct nach Baiern oder Oesterreich ge¬
kommen, ich wäre allen Zufällen ausgesetzt gewesen, die einen hin¬
richten können, wenn man aus einem warmen Bade plötzlich unter
eine kalte Dusche kommt. Doch habe ich mich im Grunde über
Baiern nicht zu beklagen, da half mir gewissermaßen der kunst-
und literatursinnige König selbst. Und das geschah also. Schon
in Kosemitz oder Constanz weckte mich der Kanonendonner der
Dampfschiffe, Baierns Königs Geburtstag feiernd mit Liebe. Als
wir in Lindau ankamen, war festlich geschmückt die Stadt, jubelnd.
Als ich auf die Polizei kam, standen in den Vorsälen sehr viele
Beamte sich auf des Festes gemeinsam einzunehmendes Essen freuend,
nur noch den Paß unterschreibenden Beamten erwartend. Ich die¬
sen Umstand beobachtend, trete ein, ihn benutzend. Der Paßbeamte
glühte roth und röther, und man sah ihm an, er habe schon heute
Manches für das Wohl seines Königs geleistet, denn seine Augen
schwammen in seliger Verklärung. Eine große Zahl von Reisen¬
den umstand ihn, deren Pässe er mit edler Ungeduld, obwohl mit
zitternder Hand so schnell als möglich unterschrieb. Seine Brüder
erwarteten ihn ja zu einer patriotischen That. Ich aber hielt


der Gränze mit geballter Faust. Das gab mir meine Heiterkeit
wieder, und freudigen Herzens jubelte ich ins Land Graubündten
hinein.

Vier glückliche, rastlose Wochen brachte ich in der Schweiz
zu. Durch die Thore von vierzig Städten bin ich gezogen, mit
vielen Postwagen und Dampfschiffen bin ich gefahren, und nir¬
gends, nirgends brauchte ich einen Paß. Mir war so wohl, als
wäre ich in einen seligen Naturzustand zurückgekehrt und als gäbe
es auf Erden kein Laster, keine Schmerzen, keine Polizei und keine
Pässe. Erst in Konstanz mußte ich wieder an all das erinnert
werden, und daß ich mich auf deutschem Boden befände. Doch war
es Baden, wo ich mich befand, und die Polizei ließ mich freund¬
lich gehen, als ich ihr auf die Frage nach meinem Paß mit tiefer
Baßstimme: „Student" antwortete. Ich rathe Jedem, der aus
der Schweiz nach Deutschland zurückkehrt, ja über Badisches Ge¬
biet zu reisen, der Uebergang ist dann nicht so auffallend, und er
muß sich das süße Gefühl der Paßlosigkeit nicht mit einem Male
und gewaltsam, sondern wohlthätig nach und nach abgewöhnen.
Wäre ich aus der Schweiz direct nach Baiern oder Oesterreich ge¬
kommen, ich wäre allen Zufällen ausgesetzt gewesen, die einen hin¬
richten können, wenn man aus einem warmen Bade plötzlich unter
eine kalte Dusche kommt. Doch habe ich mich im Grunde über
Baiern nicht zu beklagen, da half mir gewissermaßen der kunst-
und literatursinnige König selbst. Und das geschah also. Schon
in Kosemitz oder Constanz weckte mich der Kanonendonner der
Dampfschiffe, Baierns Königs Geburtstag feiernd mit Liebe. Als
wir in Lindau ankamen, war festlich geschmückt die Stadt, jubelnd.
Als ich auf die Polizei kam, standen in den Vorsälen sehr viele
Beamte sich auf des Festes gemeinsam einzunehmendes Essen freuend,
nur noch den Paß unterschreibenden Beamten erwartend. Ich die¬
sen Umstand beobachtend, trete ein, ihn benutzend. Der Paßbeamte
glühte roth und röther, und man sah ihm an, er habe schon heute
Manches für das Wohl seines Königs geleistet, denn seine Augen
schwammen in seliger Verklärung. Eine große Zahl von Reisen¬
den umstand ihn, deren Pässe er mit edler Ungeduld, obwohl mit
zitternder Hand so schnell als möglich unterschrieb. Seine Brüder
erwarteten ihn ja zu einer patriotischen That. Ich aber hielt


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[0408] der Gränze mit geballter Faust. Das gab mir meine Heiterkeit wieder, und freudigen Herzens jubelte ich ins Land Graubündten hinein. Vier glückliche, rastlose Wochen brachte ich in der Schweiz zu. Durch die Thore von vierzig Städten bin ich gezogen, mit vielen Postwagen und Dampfschiffen bin ich gefahren, und nir¬ gends, nirgends brauchte ich einen Paß. Mir war so wohl, als wäre ich in einen seligen Naturzustand zurückgekehrt und als gäbe es auf Erden kein Laster, keine Schmerzen, keine Polizei und keine Pässe. Erst in Konstanz mußte ich wieder an all das erinnert werden, und daß ich mich auf deutschem Boden befände. Doch war es Baden, wo ich mich befand, und die Polizei ließ mich freund¬ lich gehen, als ich ihr auf die Frage nach meinem Paß mit tiefer Baßstimme: „Student" antwortete. Ich rathe Jedem, der aus der Schweiz nach Deutschland zurückkehrt, ja über Badisches Ge¬ biet zu reisen, der Uebergang ist dann nicht so auffallend, und er muß sich das süße Gefühl der Paßlosigkeit nicht mit einem Male und gewaltsam, sondern wohlthätig nach und nach abgewöhnen. Wäre ich aus der Schweiz direct nach Baiern oder Oesterreich ge¬ kommen, ich wäre allen Zufällen ausgesetzt gewesen, die einen hin¬ richten können, wenn man aus einem warmen Bade plötzlich unter eine kalte Dusche kommt. Doch habe ich mich im Grunde über Baiern nicht zu beklagen, da half mir gewissermaßen der kunst- und literatursinnige König selbst. Und das geschah also. Schon in Kosemitz oder Constanz weckte mich der Kanonendonner der Dampfschiffe, Baierns Königs Geburtstag feiernd mit Liebe. Als wir in Lindau ankamen, war festlich geschmückt die Stadt, jubelnd. Als ich auf die Polizei kam, standen in den Vorsälen sehr viele Beamte sich auf des Festes gemeinsam einzunehmendes Essen freuend, nur noch den Paß unterschreibenden Beamten erwartend. Ich die¬ sen Umstand beobachtend, trete ein, ihn benutzend. Der Paßbeamte glühte roth und röther, und man sah ihm an, er habe schon heute Manches für das Wohl seines Königs geleistet, denn seine Augen schwammen in seliger Verklärung. Eine große Zahl von Reisen¬ den umstand ihn, deren Pässe er mit edler Ungeduld, obwohl mit zitternder Hand so schnell als möglich unterschrieb. Seine Brüder erwarteten ihn ja zu einer patriotischen That. Ich aber hielt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/408>, abgerufen am 01.09.2024.