Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

rede Petition zu jenem Zweck durch den britischen Gesandten in Pe¬
tersburg eingereicht werden soll, und vielleicht dürfte der Czar dieselbe
nicht so leichthin abfertigen, wie die treffliche, von den Juden in Wien
abgefaßte Schrift, die nicht einmal ihm selbst überreicht werden konnte,
ja die ihm vielleicht gar nicht zu Gesicht gekommen ist.

-- Das europäische Gleichgewicht soll jetzt gar in Amerika ein¬
geführt werden, vorausgesetzt, daß es die Jankees erlauben. Das
europäische Gleichgewicht, welches sich bei uns mit dem Uebergewichte
Rußlands, der Theilung Polens, und der Gewichtlosigkeit Deutsch¬
lands verträgt, wird auch, jenseits des Oceans, keine Wunder wirken
und. kein Kur ilccomnli, rückgängig machen. Es heißt, das Umsich¬
greifen der Union habe unsere Diplomaten besorgt gemacht. Frank¬
reich und England wollen von jetzt an ein neues System befolgen,
und Mexico aushelfen, indem sie es in eine innigere Verbindung mit
Spanien bringen. Zwei Ritter von der traurigen Gestalt, der eine
blind, der andere lahm! Die werden einander viel helfen. Unsere
abendländische Diplomatie ist ein Doctor, den am liebsten todte und
''albtodte Patienten behandelt. Bevor man in den letzten Zügen liegt,
^hre er sich nicht, dann aber rüttelt und schüttelt er Einen, daß man
lieber schon ganz gestorben wäre. Die russischen Diplomaten im
Orient kämpfen nicht gegen die Natur und haben ein leichteres
Spiel, weil sie ihre Patienten weder erhalten noch beleben wollen,
sondern sie gern nur geschwind begraben möchten. Die westlichen
Doctoren werden in Amerika wohl eben so geschickt sein wie im Mor¬
genland. Seltsam spielen, bei der neu projectirten Politik, Diplo¬
matie und natürliche Volkstriebe gegen einander. In England will
das Cabinet, wie es sagt, die romanische Race Amerikas gegen die
Propaganda der anglosächsischen Race schützen aus politischen Grün¬
den, während das englische Volk sich heimlich über die Macht
der anglosächsischen Republik freut. In Frankreich dagegen scheint
die Politik des Cabinets naturgemäßer, denn sie will ein Frank¬
reich verwandteres romanisches Volk gegen die Uebermacht des
germanischen Stammes von Nordamerika schützen, wahrend das Volk
in Frankreich, aus politischen Gründen, für die anglosächsische Repu¬
blik gegen die romanischen Spanier und Mexikaner ist. Im Grunde
denken beide Parteien, Cabinette wie Völker, nur an ihre Interessen,
nicht an Verwandtschafts - und Naccnsympathien. Wohl aber sorgt
die Natur dafür, daß die Katze zuletzt wieder auf ihre Beine fallt.
Frankreich und England wollen Hand in Hand Mexico beschützen;
welche Eintracht zwischen alten Erbfeinden! Die Hölle ist gepflastert
mit guten Vorsätzen. Frankreich und England werden in Mexico
nur einen neuen Kampfplatz für ihre eigenen Rangstreitigkeiten fin¬
den; statt das sinkende Reich zu erhalten, wird es sich nur um frau-


rede Petition zu jenem Zweck durch den britischen Gesandten in Pe¬
tersburg eingereicht werden soll, und vielleicht dürfte der Czar dieselbe
nicht so leichthin abfertigen, wie die treffliche, von den Juden in Wien
abgefaßte Schrift, die nicht einmal ihm selbst überreicht werden konnte,
ja die ihm vielleicht gar nicht zu Gesicht gekommen ist.

— Das europäische Gleichgewicht soll jetzt gar in Amerika ein¬
geführt werden, vorausgesetzt, daß es die Jankees erlauben. Das
europäische Gleichgewicht, welches sich bei uns mit dem Uebergewichte
Rußlands, der Theilung Polens, und der Gewichtlosigkeit Deutsch¬
lands verträgt, wird auch, jenseits des Oceans, keine Wunder wirken
und. kein Kur ilccomnli, rückgängig machen. Es heißt, das Umsich¬
greifen der Union habe unsere Diplomaten besorgt gemacht. Frank¬
reich und England wollen von jetzt an ein neues System befolgen,
und Mexico aushelfen, indem sie es in eine innigere Verbindung mit
Spanien bringen. Zwei Ritter von der traurigen Gestalt, der eine
blind, der andere lahm! Die werden einander viel helfen. Unsere
abendländische Diplomatie ist ein Doctor, den am liebsten todte und
''albtodte Patienten behandelt. Bevor man in den letzten Zügen liegt,
^hre er sich nicht, dann aber rüttelt und schüttelt er Einen, daß man
lieber schon ganz gestorben wäre. Die russischen Diplomaten im
Orient kämpfen nicht gegen die Natur und haben ein leichteres
Spiel, weil sie ihre Patienten weder erhalten noch beleben wollen,
sondern sie gern nur geschwind begraben möchten. Die westlichen
Doctoren werden in Amerika wohl eben so geschickt sein wie im Mor¬
genland. Seltsam spielen, bei der neu projectirten Politik, Diplo¬
matie und natürliche Volkstriebe gegen einander. In England will
das Cabinet, wie es sagt, die romanische Race Amerikas gegen die
Propaganda der anglosächsischen Race schützen aus politischen Grün¬
den, während das englische Volk sich heimlich über die Macht
der anglosächsischen Republik freut. In Frankreich dagegen scheint
die Politik des Cabinets naturgemäßer, denn sie will ein Frank¬
reich verwandteres romanisches Volk gegen die Uebermacht des
germanischen Stammes von Nordamerika schützen, wahrend das Volk
in Frankreich, aus politischen Gründen, für die anglosächsische Repu¬
blik gegen die romanischen Spanier und Mexikaner ist. Im Grunde
denken beide Parteien, Cabinette wie Völker, nur an ihre Interessen,
nicht an Verwandtschafts - und Naccnsympathien. Wohl aber sorgt
die Natur dafür, daß die Katze zuletzt wieder auf ihre Beine fallt.
Frankreich und England wollen Hand in Hand Mexico beschützen;
welche Eintracht zwischen alten Erbfeinden! Die Hölle ist gepflastert
mit guten Vorsätzen. Frankreich und England werden in Mexico
nur einen neuen Kampfplatz für ihre eigenen Rangstreitigkeiten fin¬
den; statt das sinkende Reich zu erhalten, wird es sich nur um frau-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0391" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182201"/>
            <p xml:id="ID_888" prev="#ID_887"> rede Petition zu jenem Zweck durch den britischen Gesandten in Pe¬<lb/>
tersburg eingereicht werden soll, und vielleicht dürfte der Czar dieselbe<lb/>
nicht so leichthin abfertigen, wie die treffliche, von den Juden in Wien<lb/>
abgefaßte Schrift, die nicht einmal ihm selbst überreicht werden konnte,<lb/>
ja die ihm vielleicht gar nicht zu Gesicht gekommen ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_889" next="#ID_890"> &#x2014; Das europäische Gleichgewicht soll jetzt gar in Amerika ein¬<lb/>
geführt werden, vorausgesetzt, daß es die Jankees erlauben. Das<lb/>
europäische Gleichgewicht, welches sich bei uns mit dem Uebergewichte<lb/>
Rußlands, der Theilung Polens, und der Gewichtlosigkeit Deutsch¬<lb/>
lands verträgt, wird auch, jenseits des Oceans, keine Wunder wirken<lb/>
und. kein Kur ilccomnli, rückgängig machen. Es heißt, das Umsich¬<lb/>
greifen der Union habe unsere Diplomaten besorgt gemacht. Frank¬<lb/>
reich und England wollen von jetzt an ein neues System befolgen,<lb/>
und Mexico aushelfen, indem sie es in eine innigere Verbindung mit<lb/>
Spanien bringen. Zwei Ritter von der traurigen Gestalt, der eine<lb/>
blind, der andere lahm! Die werden einander viel helfen. Unsere<lb/>
abendländische Diplomatie ist ein Doctor, den am liebsten todte und<lb/>
''albtodte Patienten behandelt. Bevor man in den letzten Zügen liegt,<lb/>
^hre er sich nicht, dann aber rüttelt und schüttelt er Einen, daß man<lb/>
lieber schon ganz gestorben wäre. Die russischen Diplomaten im<lb/>
Orient kämpfen nicht gegen die Natur und haben ein leichteres<lb/>
Spiel, weil sie ihre Patienten weder erhalten noch beleben wollen,<lb/>
sondern sie gern nur geschwind begraben möchten. Die westlichen<lb/>
Doctoren werden in Amerika wohl eben so geschickt sein wie im Mor¬<lb/>
genland. Seltsam spielen, bei der neu projectirten Politik, Diplo¬<lb/>
matie und natürliche Volkstriebe gegen einander. In England will<lb/>
das Cabinet, wie es sagt, die romanische Race Amerikas gegen die<lb/>
Propaganda der anglosächsischen Race schützen aus politischen Grün¬<lb/>
den, während das englische Volk sich heimlich über die Macht<lb/>
der anglosächsischen Republik freut. In Frankreich dagegen scheint<lb/>
die Politik des Cabinets naturgemäßer, denn sie will ein Frank¬<lb/>
reich verwandteres romanisches Volk gegen die Uebermacht des<lb/>
germanischen Stammes von Nordamerika schützen, wahrend das Volk<lb/>
in Frankreich, aus politischen Gründen, für die anglosächsische Repu¬<lb/>
blik gegen die romanischen Spanier und Mexikaner ist. Im Grunde<lb/>
denken beide Parteien, Cabinette wie Völker, nur an ihre Interessen,<lb/>
nicht an Verwandtschafts - und Naccnsympathien. Wohl aber sorgt<lb/>
die Natur dafür, daß die Katze zuletzt wieder auf ihre Beine fallt.<lb/>
Frankreich und England wollen Hand in Hand Mexico beschützen;<lb/>
welche Eintracht zwischen alten Erbfeinden! Die Hölle ist gepflastert<lb/>
mit guten Vorsätzen. Frankreich und England werden in Mexico<lb/>
nur einen neuen Kampfplatz für ihre eigenen Rangstreitigkeiten fin¬<lb/>
den; statt das sinkende Reich zu erhalten, wird es sich nur um frau-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0391] rede Petition zu jenem Zweck durch den britischen Gesandten in Pe¬ tersburg eingereicht werden soll, und vielleicht dürfte der Czar dieselbe nicht so leichthin abfertigen, wie die treffliche, von den Juden in Wien abgefaßte Schrift, die nicht einmal ihm selbst überreicht werden konnte, ja die ihm vielleicht gar nicht zu Gesicht gekommen ist. — Das europäische Gleichgewicht soll jetzt gar in Amerika ein¬ geführt werden, vorausgesetzt, daß es die Jankees erlauben. Das europäische Gleichgewicht, welches sich bei uns mit dem Uebergewichte Rußlands, der Theilung Polens, und der Gewichtlosigkeit Deutsch¬ lands verträgt, wird auch, jenseits des Oceans, keine Wunder wirken und. kein Kur ilccomnli, rückgängig machen. Es heißt, das Umsich¬ greifen der Union habe unsere Diplomaten besorgt gemacht. Frank¬ reich und England wollen von jetzt an ein neues System befolgen, und Mexico aushelfen, indem sie es in eine innigere Verbindung mit Spanien bringen. Zwei Ritter von der traurigen Gestalt, der eine blind, der andere lahm! Die werden einander viel helfen. Unsere abendländische Diplomatie ist ein Doctor, den am liebsten todte und ''albtodte Patienten behandelt. Bevor man in den letzten Zügen liegt, ^hre er sich nicht, dann aber rüttelt und schüttelt er Einen, daß man lieber schon ganz gestorben wäre. Die russischen Diplomaten im Orient kämpfen nicht gegen die Natur und haben ein leichteres Spiel, weil sie ihre Patienten weder erhalten noch beleben wollen, sondern sie gern nur geschwind begraben möchten. Die westlichen Doctoren werden in Amerika wohl eben so geschickt sein wie im Mor¬ genland. Seltsam spielen, bei der neu projectirten Politik, Diplo¬ matie und natürliche Volkstriebe gegen einander. In England will das Cabinet, wie es sagt, die romanische Race Amerikas gegen die Propaganda der anglosächsischen Race schützen aus politischen Grün¬ den, während das englische Volk sich heimlich über die Macht der anglosächsischen Republik freut. In Frankreich dagegen scheint die Politik des Cabinets naturgemäßer, denn sie will ein Frank¬ reich verwandteres romanisches Volk gegen die Uebermacht des germanischen Stammes von Nordamerika schützen, wahrend das Volk in Frankreich, aus politischen Gründen, für die anglosächsische Repu¬ blik gegen die romanischen Spanier und Mexikaner ist. Im Grunde denken beide Parteien, Cabinette wie Völker, nur an ihre Interessen, nicht an Verwandtschafts - und Naccnsympathien. Wohl aber sorgt die Natur dafür, daß die Katze zuletzt wieder auf ihre Beine fallt. Frankreich und England wollen Hand in Hand Mexico beschützen; welche Eintracht zwischen alten Erbfeinden! Die Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen. Frankreich und England werden in Mexico nur einen neuen Kampfplatz für ihre eigenen Rangstreitigkeiten fin¬ den; statt das sinkende Reich zu erhalten, wird es sich nur um frau-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/391
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/391>, abgerufen am 22.12.2024.