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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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und verträgt sich mit den unmenschlichsten Grausamkeiten. Man
weiß, daß im polnischen Volk Elemente sind, die den Russen nur
zu sehr abgehen, und die das Cabinet von Petersburg um jeden
Preis für sich ausbeuten will. Die Intelligenz, die Anstelligkeit und
den Schwung des sarmatischen Naturells möchte Nußland durchaus
in sich aufnehmen und müßte es die Polen zu diesem Zweck auf¬
fressen. Eine schreckliche Liebe! Mehr als ein vornehmer Reisender
hat gesehen, wie zärtlich Nikolaj die kleinen polnischen Kadetten,
die in Petersburg erzogen werden, in die Wangen kneipte! Er liebt
sie eben so wie seine prächtige tscherkcssische Garde. Wenn Polen
brav und gehorsam ist und einmal sich ganz hat verrussen lassen,
dann, träumt Rußland, dann wird es sein tapferster Vorposten, sein
feurigster Renner und sein schwungreichstcr Fittich sein bei seinen
rauschenden Eroberungsflügcn. Die Panslawisten sind deshalb auf
Niemand so schlimm zu sprechen, wie auf die "stehen gebliebenen"
polnischen Patrioten, welche die höhere Bestimmung ihrer Race,
die zum Nutzen und Frommen des Slavenreichs durch eine zeitwei¬
lie Knechtschaft vorbereitet werde, nicht erkennen und segnen wollen.

Während also Rußland in blutiger Liebesinbrunst um die pol¬
nische Braut warb, that das übrige Europa nichts, um sie dem
gefährlichen Freier zu entreißen. In Deutschland war der Enthu¬
siasmus der Jugend für Polen eben so überschwänglich wie nutz¬
los, obwohl Einzelne sich im romantischen Sarmatenlande Wunden
und Narben holten. Im Ganzen war man mit der Geschichte zu¬
frieden, denn, wie ein Kritiker in allem Ernst sagt, versprach "das
Unglück und der Schmerz Polens eine der schönsten und verhei-
ßendsten Regionen für die moderne Poesie" zu werden! Wie sehr
aber die Sympathien in den hohem Regionen bei uns schwankten,
dürfte vielleicht folgende authentische Anekdote am besten charak-
terisiren. Ein österreichischer Gesandter in N..... der zur Zeit
des Polenkriegs, die Schlachtbülletins sehr eifrig las, pflegte scher¬
zend zu bemerken: Wenn die Russen Schlag' bekommen, so ist
mir's ganz Recht, denn ich kann das habgierige Volk nit leiden;
und wenn die Polen Schlag' bekommen, so ist mirs ah recht, denn
dann siegt das Princip!

Dabei wurde doch weidlich auf die Perfidie der Franzosen
geschimpft, die Polen im Stich ließen, nachdem sie es aufgemun-


und verträgt sich mit den unmenschlichsten Grausamkeiten. Man
weiß, daß im polnischen Volk Elemente sind, die den Russen nur
zu sehr abgehen, und die das Cabinet von Petersburg um jeden
Preis für sich ausbeuten will. Die Intelligenz, die Anstelligkeit und
den Schwung des sarmatischen Naturells möchte Nußland durchaus
in sich aufnehmen und müßte es die Polen zu diesem Zweck auf¬
fressen. Eine schreckliche Liebe! Mehr als ein vornehmer Reisender
hat gesehen, wie zärtlich Nikolaj die kleinen polnischen Kadetten,
die in Petersburg erzogen werden, in die Wangen kneipte! Er liebt
sie eben so wie seine prächtige tscherkcssische Garde. Wenn Polen
brav und gehorsam ist und einmal sich ganz hat verrussen lassen,
dann, träumt Rußland, dann wird es sein tapferster Vorposten, sein
feurigster Renner und sein schwungreichstcr Fittich sein bei seinen
rauschenden Eroberungsflügcn. Die Panslawisten sind deshalb auf
Niemand so schlimm zu sprechen, wie auf die „stehen gebliebenen"
polnischen Patrioten, welche die höhere Bestimmung ihrer Race,
die zum Nutzen und Frommen des Slavenreichs durch eine zeitwei¬
lie Knechtschaft vorbereitet werde, nicht erkennen und segnen wollen.

Während also Rußland in blutiger Liebesinbrunst um die pol¬
nische Braut warb, that das übrige Europa nichts, um sie dem
gefährlichen Freier zu entreißen. In Deutschland war der Enthu¬
siasmus der Jugend für Polen eben so überschwänglich wie nutz¬
los, obwohl Einzelne sich im romantischen Sarmatenlande Wunden
und Narben holten. Im Ganzen war man mit der Geschichte zu¬
frieden, denn, wie ein Kritiker in allem Ernst sagt, versprach „das
Unglück und der Schmerz Polens eine der schönsten und verhei-
ßendsten Regionen für die moderne Poesie" zu werden! Wie sehr
aber die Sympathien in den hohem Regionen bei uns schwankten,
dürfte vielleicht folgende authentische Anekdote am besten charak-
terisiren. Ein österreichischer Gesandter in N..... der zur Zeit
des Polenkriegs, die Schlachtbülletins sehr eifrig las, pflegte scher¬
zend zu bemerken: Wenn die Russen Schlag' bekommen, so ist
mir's ganz Recht, denn ich kann das habgierige Volk nit leiden;
und wenn die Polen Schlag' bekommen, so ist mirs ah recht, denn
dann siegt das Princip!

Dabei wurde doch weidlich auf die Perfidie der Franzosen
geschimpft, die Polen im Stich ließen, nachdem sie es aufgemun-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/362>, abgerufen am 02.09.2024.