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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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und nur desto beachtenswerther sind, je seltener sie Gelegenheit finden
unverhüllt und greifbar ans Licht zu treten. Vor Kurzem erschien
mit dem Imprimatur des Censors in der erzbischöflichen Druckerei
eine in deutscher und böhmischer Sprache abgefaßte Flugschrift, von
wenigen Blattern, welche in den Schulen unentgeltlich vertheilt und
sonst um I Kreuzer W. W. verkauft wurde. Sie war "Warnung
an das Volk" betitelt und zog gegen die Juden zu Felde, die an al¬
lem Unheil und ein jeder Noth der Zeit schuld sein sollten; ein fin¬
sterer Geist der Unduldsamkeit glotzte aus der Broschüre, die ganz
und gar die Lehren des Communismus in vollendetster praktischer
Anwendung zur Schau trug und als deren Verfasser der Kaplan
Schneider genannt wird. Die aufmerksam gemachte Staatsbehörde
hat auch sogleich der Abdruck der zweiten Auflage untersagt und da¬
für in ähnlichen Format und Druck ein anderes Schriftchen ausge¬
ben lassen, dessen versöhnlicher Inhalt die verderbliche Wirkung der
ersten Broschüre wieder aufheben sollte.


IN.
Leichenbegängniß einer Tyroler Patriotin.

Als ich ihnen das letzte Mal aus unsern Bergen nach Leipzig
schrieb und die Angelegenheiten des Tvrolerländchcns von einer andern
Seite zu beleuchten suchte, als dies von der Postzeitung und Abend¬
zeitung in Augsburg in der Regel geschieht, die sich zwar am mei¬
sten mit uns beschäftigen, allein sich ausschließlich auf confessionelle
Dinge beschränken, glaubte ich nicht, daß sich sobald wieder Gelegen¬
heit finden würde etwas zu berichten, das geeignet wäre ein allgemei¬
nes Interesse zu erregen.

Auf glatter Schneebahn im leichten Schlitten unter gellendem
Schellengeläute, flog ich den Weg längst dem Jnnfluß nach dem klei¬
nen Bergstädtchen Hall hinab, das nur zwei Stunden von hier ent¬
fernt ist und wo an diesem Tage eine ernste patriotische Feier Statt
finden sollte, welche viele Gäste aus der Hauptstadt dahin lockte.
Unter heiterem, wechselvollem Gespräch erreichten wir das freundliche
Städtchen, dessen Bewohnerzahl heute durch einen ganz ungewöhnli¬
chen Zufluß von Landleuten aus der Umgebung nicht wenig vergrö¬
ßert wurde; in allen Gassen, auf allen Plätzen bewegten sich die ge¬
drängten Schaaren und bei der eigentlichen Beschaffenheit des Bodens,
auf dem Hall steht und welcher dergestalt bergig und abschössig ist,
daß man von einer Gasse zur andern nur mittelst steilen und schma¬
len Holztreppen mit abgetretenen Stufen gelangen kann, bot das bunte,
geräuschvolle Leben, das sich an dem sonst so stillen Ort entfaltete
"in höchst anziehendes und mittelalterlich originelles Gemälde dar.


und nur desto beachtenswerther sind, je seltener sie Gelegenheit finden
unverhüllt und greifbar ans Licht zu treten. Vor Kurzem erschien
mit dem Imprimatur des Censors in der erzbischöflichen Druckerei
eine in deutscher und böhmischer Sprache abgefaßte Flugschrift, von
wenigen Blattern, welche in den Schulen unentgeltlich vertheilt und
sonst um I Kreuzer W. W. verkauft wurde. Sie war „Warnung
an das Volk" betitelt und zog gegen die Juden zu Felde, die an al¬
lem Unheil und ein jeder Noth der Zeit schuld sein sollten; ein fin¬
sterer Geist der Unduldsamkeit glotzte aus der Broschüre, die ganz
und gar die Lehren des Communismus in vollendetster praktischer
Anwendung zur Schau trug und als deren Verfasser der Kaplan
Schneider genannt wird. Die aufmerksam gemachte Staatsbehörde
hat auch sogleich der Abdruck der zweiten Auflage untersagt und da¬
für in ähnlichen Format und Druck ein anderes Schriftchen ausge¬
ben lassen, dessen versöhnlicher Inhalt die verderbliche Wirkung der
ersten Broschüre wieder aufheben sollte.


IN.
Leichenbegängniß einer Tyroler Patriotin.

Als ich ihnen das letzte Mal aus unsern Bergen nach Leipzig
schrieb und die Angelegenheiten des Tvrolerländchcns von einer andern
Seite zu beleuchten suchte, als dies von der Postzeitung und Abend¬
zeitung in Augsburg in der Regel geschieht, die sich zwar am mei¬
sten mit uns beschäftigen, allein sich ausschließlich auf confessionelle
Dinge beschränken, glaubte ich nicht, daß sich sobald wieder Gelegen¬
heit finden würde etwas zu berichten, das geeignet wäre ein allgemei¬
nes Interesse zu erregen.

Auf glatter Schneebahn im leichten Schlitten unter gellendem
Schellengeläute, flog ich den Weg längst dem Jnnfluß nach dem klei¬
nen Bergstädtchen Hall hinab, das nur zwei Stunden von hier ent¬
fernt ist und wo an diesem Tage eine ernste patriotische Feier Statt
finden sollte, welche viele Gäste aus der Hauptstadt dahin lockte.
Unter heiterem, wechselvollem Gespräch erreichten wir das freundliche
Städtchen, dessen Bewohnerzahl heute durch einen ganz ungewöhnli¬
chen Zufluß von Landleuten aus der Umgebung nicht wenig vergrö¬
ßert wurde; in allen Gassen, auf allen Plätzen bewegten sich die ge¬
drängten Schaaren und bei der eigentlichen Beschaffenheit des Bodens,
auf dem Hall steht und welcher dergestalt bergig und abschössig ist,
daß man von einer Gasse zur andern nur mittelst steilen und schma¬
len Holztreppen mit abgetretenen Stufen gelangen kann, bot das bunte,
geräuschvolle Leben, das sich an dem sonst so stillen Ort entfaltete
«in höchst anziehendes und mittelalterlich originelles Gemälde dar.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/333>, abgerufen am 22.12.2024.