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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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holte es sich zurück aus der Fremde, um mit ihm zu schwärmen,
zu dichte" und zu Philosophiren. Die Franzosen hatten ihren Ma¬
ral und Robespierre, ihren Napoleon und ihren Triumph der
I)(mrj5";"i8j<z, wir hatten unseren Schiller und Göthe, unseren
Schelling und Hegel, unsere Religion der Poesie und unsere Re¬
ligion der Philosophie, und unseren, zwar blutigen, aber nur desto
romantischem Befreiungskrieg. Und so sind wir denn nun, immer
philosophirend und dichtend, und dichtend und philosophirend , selbst
unter dem "Donner der Geschütze", in die allerneueste Bahn der
Lebensentwicklung hineingerathen, wir wissen selbst nicht wie, und
unsere neuesten Philosophen geben sich viel Mühe, sich und uns
darüber aufzuklären.

Lassen wir die Philosophen machen: sie werden schon mit der
Sache, wenn sie nur erst ganz aus und vorbei ist, und kein Funk--
chen Leben mehr in sich hat, hinterher ins Reine kommen. In¬
zwischen fühlt der Dichter den Pulsschlag der Zeit an seinem eige¬
nen klopfenden Herzen; sein schweifendes Auge bleibt an denjeni¬
gen Gestalten und Erscheinungen hangen, in denen sich das am
schärfsten ausdrückt was gegenwärtig, bewußt oder unbewußt, die
Seelen bewegt, was sie mit Furcht, mit Grauen, mit Abscheu,
mit Scham, mit Gram, mit Rührung, mit Sehnsucht und mit
Hoffnung erfüllt. Alle diese Gefühle durchzucken, durchwühlen die
Brust des Dichters. Weh mir -- ruft Beck,

Weh mir! wenn ich in langer Nacht
Mit heißem Hirn es durchgedacht:
Dann starb die Jugend in meinem Busen,
Die Musen flohen -- ich sah Medusen.
Dann hob sich bannend meine Locke,
Mir wars, als riß ich an Gottes Herzen,
Ein Glöckner an der Feuerglocke.

Und indem er singt, singt er sich die Last vom Herzen:
'

Mir wars als hätt' ich die giftige Hyder,
Indem ich sang mit Milch gezähmt;

und er hofft mit Recht, daß jeder Klang seines Liedes Wiederhall
finden werde in unsern Herzen;

Mag's wie Lawinen und Wasserfalle
Allmächtig durch die Stille toben,
Wie Aar und Gemse die Freiheit loben,
Und starren wie des Gletschers Wälle,

holte es sich zurück aus der Fremde, um mit ihm zu schwärmen,
zu dichte» und zu Philosophiren. Die Franzosen hatten ihren Ma¬
ral und Robespierre, ihren Napoleon und ihren Triumph der
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Schelling und Hegel, unsere Religion der Poesie und unsere Re¬
ligion der Philosophie, und unseren, zwar blutigen, aber nur desto
romantischem Befreiungskrieg. Und so sind wir denn nun, immer
philosophirend und dichtend, und dichtend und philosophirend , selbst
unter dem „Donner der Geschütze", in die allerneueste Bahn der
Lebensentwicklung hineingerathen, wir wissen selbst nicht wie, und
unsere neuesten Philosophen geben sich viel Mühe, sich und uns
darüber aufzuklären.

Lassen wir die Philosophen machen: sie werden schon mit der
Sache, wenn sie nur erst ganz aus und vorbei ist, und kein Funk--
chen Leben mehr in sich hat, hinterher ins Reine kommen. In¬
zwischen fühlt der Dichter den Pulsschlag der Zeit an seinem eige¬
nen klopfenden Herzen; sein schweifendes Auge bleibt an denjeni¬
gen Gestalten und Erscheinungen hangen, in denen sich das am
schärfsten ausdrückt was gegenwärtig, bewußt oder unbewußt, die
Seelen bewegt, was sie mit Furcht, mit Grauen, mit Abscheu,
mit Scham, mit Gram, mit Rührung, mit Sehnsucht und mit
Hoffnung erfüllt. Alle diese Gefühle durchzucken, durchwühlen die
Brust des Dichters. Weh mir — ruft Beck,

Weh mir! wenn ich in langer Nacht
Mit heißem Hirn es durchgedacht:
Dann starb die Jugend in meinem Busen,
Die Musen flohen — ich sah Medusen.
Dann hob sich bannend meine Locke,
Mir wars, als riß ich an Gottes Herzen,
Ein Glöckner an der Feuerglocke.

Und indem er singt, singt er sich die Last vom Herzen:
'

Mir wars als hätt' ich die giftige Hyder,
Indem ich sang mit Milch gezähmt;

und er hofft mit Recht, daß jeder Klang seines Liedes Wiederhall
finden werde in unsern Herzen;

Mag's wie Lawinen und Wasserfalle
Allmächtig durch die Stille toben,
Wie Aar und Gemse die Freiheit loben,
Und starren wie des Gletschers Wälle,

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[0262] holte es sich zurück aus der Fremde, um mit ihm zu schwärmen, zu dichte» und zu Philosophiren. Die Franzosen hatten ihren Ma¬ ral und Robespierre, ihren Napoleon und ihren Triumph der I)(mrj5«;«i8j<z, wir hatten unseren Schiller und Göthe, unseren Schelling und Hegel, unsere Religion der Poesie und unsere Re¬ ligion der Philosophie, und unseren, zwar blutigen, aber nur desto romantischem Befreiungskrieg. Und so sind wir denn nun, immer philosophirend und dichtend, und dichtend und philosophirend , selbst unter dem „Donner der Geschütze", in die allerneueste Bahn der Lebensentwicklung hineingerathen, wir wissen selbst nicht wie, und unsere neuesten Philosophen geben sich viel Mühe, sich und uns darüber aufzuklären. Lassen wir die Philosophen machen: sie werden schon mit der Sache, wenn sie nur erst ganz aus und vorbei ist, und kein Funk-- chen Leben mehr in sich hat, hinterher ins Reine kommen. In¬ zwischen fühlt der Dichter den Pulsschlag der Zeit an seinem eige¬ nen klopfenden Herzen; sein schweifendes Auge bleibt an denjeni¬ gen Gestalten und Erscheinungen hangen, in denen sich das am schärfsten ausdrückt was gegenwärtig, bewußt oder unbewußt, die Seelen bewegt, was sie mit Furcht, mit Grauen, mit Abscheu, mit Scham, mit Gram, mit Rührung, mit Sehnsucht und mit Hoffnung erfüllt. Alle diese Gefühle durchzucken, durchwühlen die Brust des Dichters. Weh mir — ruft Beck, Weh mir! wenn ich in langer Nacht Mit heißem Hirn es durchgedacht: Dann starb die Jugend in meinem Busen, Die Musen flohen — ich sah Medusen. Dann hob sich bannend meine Locke, Mir wars, als riß ich an Gottes Herzen, Ein Glöckner an der Feuerglocke. Und indem er singt, singt er sich die Last vom Herzen: ' Mir wars als hätt' ich die giftige Hyder, Indem ich sang mit Milch gezähmt; und er hofft mit Recht, daß jeder Klang seines Liedes Wiederhall finden werde in unsern Herzen; Mag's wie Lawinen und Wasserfalle Allmächtig durch die Stille toben, Wie Aar und Gemse die Freiheit loben, Und starren wie des Gletschers Wälle,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/262>, abgerufen am 02.09.2024.