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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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von der Börse bis zum Palais Luxemburg, um wie eine Biene den
süßen Honig für den Nürnberger und Hamburger Correspondenten zu
sammeln. Und was ist der Lohn ihrer Ausbeute? Sie können eS
nachlesen. Nicht etwa daß es in Paris an Neuigkeiten gebricht, wir
haben Ueberfluß an langweiligen Kammerverhandlungen, an schwind¬
süchtiger Theaterstücken, an scandalösen Börsenereignissen, an einge¬
stürzten Eisenbahnbauten, an gefühlsempörendcn Criminalverhandlun-
gen; aber diese Langweile, Schwindsucht, Scandale, Einstürze und
Gefühlsempörungen findet der Deutsche ja auch bei sich zu Hause in
hinlänglicher Quantität, darum braucht er nicht erst Briefe aus Pa¬
ris zu lesen. Von der Hauptstadt Frankreichs war er seit langen
Jahren gewohnt Außergewöhnliches, Wunderbares und Anregendes zu
hören, und darum ist seine Enttäuschung jetzt um so größer. Wo
liegt die Ursache? Ist Frankreich herabgesunken, oder ist Deutschland
hinaufgestiegen ? Hat das öffentliche Leben Frankreichs so sehr an Licht
und Glanz abgenommen, daß es nicht mehr die Neugier und Erwar¬
tung spannen kann, oder hat das öffentliche Leben in Deutschland an
Interesse und Gestalt so zugenommen daß es die Aufmerksamkeit der Na¬
tion absorbirt? Die Antwort liegt wahrscheinlich in der Mitte.
Die Deutschen aber die seit Jahren von der Heimat!) entfernt hier
leben, wollen das nicht zugestehen, sie glauben noch immer, alles In¬
teresse im Vaterlande drehe sich noch um Paris, und darum kom¬
men so verkehrte Aussprüche zum Vorschein, wie in Arnold Ruges
neustem Buche, wo Frankreich noch immer als das Herz der Weltge¬
schichte dargestellt wird, als der Messias von dem allein Deutschlands
Erlösung und jüngster Tag und Todtenauferstehung zu erwarten ist.

Vor der Hand und bis zur Zeit wo die Chronikenbücher von
Paris wieder ein Mal ein bedeutendes Ereigniß einzuregistriren haben,
müssen Sie Ihrem hiesigen Correspondenten Nachsicht schenken, und
nicht die Zumuthung an ihn stellen, er soll interessanter sein als die
übrigen Berichterstatter in deutschen Blättern, was er schon aus gu¬
ter Nachbarschaft und Collegialität unterlassen muß, zumal unter die¬
sen College" Familienvater sich befinden, denen man aus Menschlichkeit
den Markt nicht verderben darf. Gestatten Sie also hübsch nach¬
sichtig auch ferner, daß ich Sie mit der Nachlese aus dem dürren
Stoppelfelde unserer Tagesereignisse unterhalte und strafen Sie mich
erst dann, wenn Sie in andern Blättern volle Garben finden.

Eine Berichtigung vor Allem. Ich meldete Ihnen in meinem
Letzten, es sei Felix Pyat nicht gestattet worden, sein Gefängniß zu
verlassen um den Proben seines Lustspiels Diogenes beizuwohnen.
Hierin sind wir Alle durch eine falsche Nachricht der "^vsoi-no" ge¬
täuscht worden. Vielmehr hat der Polizeipräfcct dem jungen Dichter
acht Tage hintereinander die Erlaubniß ertheilt, von Früh bis Abend
auszugehen, um Alles was seine Dichtung nöthig machte, persönlich


Grenzboten, 184", l. 29

von der Börse bis zum Palais Luxemburg, um wie eine Biene den
süßen Honig für den Nürnberger und Hamburger Correspondenten zu
sammeln. Und was ist der Lohn ihrer Ausbeute? Sie können eS
nachlesen. Nicht etwa daß es in Paris an Neuigkeiten gebricht, wir
haben Ueberfluß an langweiligen Kammerverhandlungen, an schwind¬
süchtiger Theaterstücken, an scandalösen Börsenereignissen, an einge¬
stürzten Eisenbahnbauten, an gefühlsempörendcn Criminalverhandlun-
gen; aber diese Langweile, Schwindsucht, Scandale, Einstürze und
Gefühlsempörungen findet der Deutsche ja auch bei sich zu Hause in
hinlänglicher Quantität, darum braucht er nicht erst Briefe aus Pa¬
ris zu lesen. Von der Hauptstadt Frankreichs war er seit langen
Jahren gewohnt Außergewöhnliches, Wunderbares und Anregendes zu
hören, und darum ist seine Enttäuschung jetzt um so größer. Wo
liegt die Ursache? Ist Frankreich herabgesunken, oder ist Deutschland
hinaufgestiegen ? Hat das öffentliche Leben Frankreichs so sehr an Licht
und Glanz abgenommen, daß es nicht mehr die Neugier und Erwar¬
tung spannen kann, oder hat das öffentliche Leben in Deutschland an
Interesse und Gestalt so zugenommen daß es die Aufmerksamkeit der Na¬
tion absorbirt? Die Antwort liegt wahrscheinlich in der Mitte.
Die Deutschen aber die seit Jahren von der Heimat!) entfernt hier
leben, wollen das nicht zugestehen, sie glauben noch immer, alles In¬
teresse im Vaterlande drehe sich noch um Paris, und darum kom¬
men so verkehrte Aussprüche zum Vorschein, wie in Arnold Ruges
neustem Buche, wo Frankreich noch immer als das Herz der Weltge¬
schichte dargestellt wird, als der Messias von dem allein Deutschlands
Erlösung und jüngster Tag und Todtenauferstehung zu erwarten ist.

Vor der Hand und bis zur Zeit wo die Chronikenbücher von
Paris wieder ein Mal ein bedeutendes Ereigniß einzuregistriren haben,
müssen Sie Ihrem hiesigen Correspondenten Nachsicht schenken, und
nicht die Zumuthung an ihn stellen, er soll interessanter sein als die
übrigen Berichterstatter in deutschen Blättern, was er schon aus gu¬
ter Nachbarschaft und Collegialität unterlassen muß, zumal unter die¬
sen College» Familienvater sich befinden, denen man aus Menschlichkeit
den Markt nicht verderben darf. Gestatten Sie also hübsch nach¬
sichtig auch ferner, daß ich Sie mit der Nachlese aus dem dürren
Stoppelfelde unserer Tagesereignisse unterhalte und strafen Sie mich
erst dann, wenn Sie in andern Blättern volle Garben finden.

Eine Berichtigung vor Allem. Ich meldete Ihnen in meinem
Letzten, es sei Felix Pyat nicht gestattet worden, sein Gefängniß zu
verlassen um den Proben seines Lustspiels Diogenes beizuwohnen.
Hierin sind wir Alle durch eine falsche Nachricht der „^vsoi-no" ge¬
täuscht worden. Vielmehr hat der Polizeipräfcct dem jungen Dichter
acht Tage hintereinander die Erlaubniß ertheilt, von Früh bis Abend
auszugehen, um Alles was seine Dichtung nöthig machte, persönlich


Grenzboten, 184«, l. 29
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[0243] von der Börse bis zum Palais Luxemburg, um wie eine Biene den süßen Honig für den Nürnberger und Hamburger Correspondenten zu sammeln. Und was ist der Lohn ihrer Ausbeute? Sie können eS nachlesen. Nicht etwa daß es in Paris an Neuigkeiten gebricht, wir haben Ueberfluß an langweiligen Kammerverhandlungen, an schwind¬ süchtiger Theaterstücken, an scandalösen Börsenereignissen, an einge¬ stürzten Eisenbahnbauten, an gefühlsempörendcn Criminalverhandlun- gen; aber diese Langweile, Schwindsucht, Scandale, Einstürze und Gefühlsempörungen findet der Deutsche ja auch bei sich zu Hause in hinlänglicher Quantität, darum braucht er nicht erst Briefe aus Pa¬ ris zu lesen. Von der Hauptstadt Frankreichs war er seit langen Jahren gewohnt Außergewöhnliches, Wunderbares und Anregendes zu hören, und darum ist seine Enttäuschung jetzt um so größer. Wo liegt die Ursache? Ist Frankreich herabgesunken, oder ist Deutschland hinaufgestiegen ? Hat das öffentliche Leben Frankreichs so sehr an Licht und Glanz abgenommen, daß es nicht mehr die Neugier und Erwar¬ tung spannen kann, oder hat das öffentliche Leben in Deutschland an Interesse und Gestalt so zugenommen daß es die Aufmerksamkeit der Na¬ tion absorbirt? Die Antwort liegt wahrscheinlich in der Mitte. Die Deutschen aber die seit Jahren von der Heimat!) entfernt hier leben, wollen das nicht zugestehen, sie glauben noch immer, alles In¬ teresse im Vaterlande drehe sich noch um Paris, und darum kom¬ men so verkehrte Aussprüche zum Vorschein, wie in Arnold Ruges neustem Buche, wo Frankreich noch immer als das Herz der Weltge¬ schichte dargestellt wird, als der Messias von dem allein Deutschlands Erlösung und jüngster Tag und Todtenauferstehung zu erwarten ist. Vor der Hand und bis zur Zeit wo die Chronikenbücher von Paris wieder ein Mal ein bedeutendes Ereigniß einzuregistriren haben, müssen Sie Ihrem hiesigen Correspondenten Nachsicht schenken, und nicht die Zumuthung an ihn stellen, er soll interessanter sein als die übrigen Berichterstatter in deutschen Blättern, was er schon aus gu¬ ter Nachbarschaft und Collegialität unterlassen muß, zumal unter die¬ sen College» Familienvater sich befinden, denen man aus Menschlichkeit den Markt nicht verderben darf. Gestatten Sie also hübsch nach¬ sichtig auch ferner, daß ich Sie mit der Nachlese aus dem dürren Stoppelfelde unserer Tagesereignisse unterhalte und strafen Sie mich erst dann, wenn Sie in andern Blättern volle Garben finden. Eine Berichtigung vor Allem. Ich meldete Ihnen in meinem Letzten, es sei Felix Pyat nicht gestattet worden, sein Gefängniß zu verlassen um den Proben seines Lustspiels Diogenes beizuwohnen. Hierin sind wir Alle durch eine falsche Nachricht der „^vsoi-no" ge¬ täuscht worden. Vielmehr hat der Polizeipräfcct dem jungen Dichter acht Tage hintereinander die Erlaubniß ertheilt, von Früh bis Abend auszugehen, um Alles was seine Dichtung nöthig machte, persönlich Grenzboten, 184«, l. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/243>, abgerufen am 22.12.2024.