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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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serie-, Schiffsahrts-und Handelsinteressen, wo es die Entwicklung des
Zollvereins, oder die Betheiligung Deutschlands bei den Lebensfragen
der europäischen Politik gilt, da sucht und findet man doch die entschei¬
dendsten und nachdrücklichsten Stimmen in der Augsb. Allgemeinen.
Der Aufschwung dieses Blattes fällt in eine Zeit -- und diese ist
leider noch nicht überwunden -- wo an ein eigentliches Partei- oder
Tendenzblatt, in englischem oder französischem Sinne, nicht zu denken
war, wo eine große, allgemein deutsche Zeitung nur durch ein gutes
Verhalten mit einer unserer beiden Großmächte sich halten konnte.
Um gegen Norden die Wahrheit halb und halb sagen zu dürfen
muß man sie gegen Süden verschweigen, und umgekehrt. Unsere Zu¬
stände haben es dahin gebracht, daß man nur auf diese Weise sich
mit der deutschen Gradheit und Offenheit abfinden kann. Die na¬
türliche Allianz der Allgau. Zeitung war der Süden. Denkt man
an jene Organe, die eine ähnliche Stellung durch ein Concordat mit
der nordischen Großmacht, mit Preußen, zu erringen versuchten, so
fällt der Vergleich nicht zum Nachtheil der Augsburger Allgemeinen
aus. Sie hat in ihrer rücksichtsvollen Stellung zu Oesterreich immer
noch eine gewisse ehrenhafte Zurückhaltung behauptet. Die Opfer, die
sie brachte, sind im Ganzen Opfer des Schweigens; und man muß
sagen, daß sie dafür den gemäßigten Resormfreunden im Norden stets
eine verläßliche Stütze war.

Die preußische Zeitungspresse, das heißt die in den alten Pro¬
vinzen, läßt keine Diagnose und keine bestimmten Erwartungen zu,
so sehr Preußen von intelligenten, dialektischen, debattirlustigcn
Köpfen wimmelt: ein Ueberfluß, über welchen man von gewissen
Seiten sogar zu klagen pflegt, ohne zu bedenken, daß nur durch den
Mangel an freier Beschäftigung mit gegebenen Stoffen jene diealckti-
schen Geister immer mehr zu Windmühlengefechten oder unfruchtba¬
ren Negationen getrieben werden. stoßweise flackert wohl einmal
das publicistische Licht empor in der traurigen Mark, ohne die Hoffnun¬
gen erfüllen zu können, die es jedesmal anregt. Inzwischen stei¬
gen immer mehr die Ansprüche des Publicums und das bischen Luft¬
lassen, mit dem jede neue günstigere Periode beginnt, steht dann im¬
mer weniger im Verhältniß mit dem allgemeinen Stande der Bil¬
dung in Preußen. Hätte man vor vier Jahren den Muth gehabt,
ohne langes Experimentiren, geradezu die Presse frei zu geben, so
hätte sich, nach einem kurzen Federtumult, nach einigem Wandmit-
demkopfeinrcnncn und Hörnerabstoßen, die "nöthige Reife" längst ein¬
gestellt, während man so das Lied wieder von vorn anfangen und an
dem letzten Termin der Reife endlich verzweifeln muß. Selbst eine lang¬
same, aber stätige Entwicklung ist nicht möglich, so lange die Presse
unter dem Gestirn einer eifersüchtigen Bureaukratie steht, und größere
oder.geringere Freiheit von Wind und Wetter abhängen, das Urtheil


serie-, Schiffsahrts-und Handelsinteressen, wo es die Entwicklung des
Zollvereins, oder die Betheiligung Deutschlands bei den Lebensfragen
der europäischen Politik gilt, da sucht und findet man doch die entschei¬
dendsten und nachdrücklichsten Stimmen in der Augsb. Allgemeinen.
Der Aufschwung dieses Blattes fällt in eine Zeit — und diese ist
leider noch nicht überwunden — wo an ein eigentliches Partei- oder
Tendenzblatt, in englischem oder französischem Sinne, nicht zu denken
war, wo eine große, allgemein deutsche Zeitung nur durch ein gutes
Verhalten mit einer unserer beiden Großmächte sich halten konnte.
Um gegen Norden die Wahrheit halb und halb sagen zu dürfen
muß man sie gegen Süden verschweigen, und umgekehrt. Unsere Zu¬
stände haben es dahin gebracht, daß man nur auf diese Weise sich
mit der deutschen Gradheit und Offenheit abfinden kann. Die na¬
türliche Allianz der Allgau. Zeitung war der Süden. Denkt man
an jene Organe, die eine ähnliche Stellung durch ein Concordat mit
der nordischen Großmacht, mit Preußen, zu erringen versuchten, so
fällt der Vergleich nicht zum Nachtheil der Augsburger Allgemeinen
aus. Sie hat in ihrer rücksichtsvollen Stellung zu Oesterreich immer
noch eine gewisse ehrenhafte Zurückhaltung behauptet. Die Opfer, die
sie brachte, sind im Ganzen Opfer des Schweigens; und man muß
sagen, daß sie dafür den gemäßigten Resormfreunden im Norden stets
eine verläßliche Stütze war.

Die preußische Zeitungspresse, das heißt die in den alten Pro¬
vinzen, läßt keine Diagnose und keine bestimmten Erwartungen zu,
so sehr Preußen von intelligenten, dialektischen, debattirlustigcn
Köpfen wimmelt: ein Ueberfluß, über welchen man von gewissen
Seiten sogar zu klagen pflegt, ohne zu bedenken, daß nur durch den
Mangel an freier Beschäftigung mit gegebenen Stoffen jene diealckti-
schen Geister immer mehr zu Windmühlengefechten oder unfruchtba¬
ren Negationen getrieben werden. stoßweise flackert wohl einmal
das publicistische Licht empor in der traurigen Mark, ohne die Hoffnun¬
gen erfüllen zu können, die es jedesmal anregt. Inzwischen stei¬
gen immer mehr die Ansprüche des Publicums und das bischen Luft¬
lassen, mit dem jede neue günstigere Periode beginnt, steht dann im¬
mer weniger im Verhältniß mit dem allgemeinen Stande der Bil¬
dung in Preußen. Hätte man vor vier Jahren den Muth gehabt,
ohne langes Experimentiren, geradezu die Presse frei zu geben, so
hätte sich, nach einem kurzen Federtumult, nach einigem Wandmit-
demkopfeinrcnncn und Hörnerabstoßen, die „nöthige Reife" längst ein¬
gestellt, während man so das Lied wieder von vorn anfangen und an
dem letzten Termin der Reife endlich verzweifeln muß. Selbst eine lang¬
same, aber stätige Entwicklung ist nicht möglich, so lange die Presse
unter dem Gestirn einer eifersüchtigen Bureaukratie steht, und größere
oder.geringere Freiheit von Wind und Wetter abhängen, das Urtheil


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/239>, abgerufen am 27.07.2024.