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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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und Sevilla, die Coquette, die sich im Guadalquivire spiegelt, die
leichtsinnige, verliebte, carncvalssüchtige, unverbesserliche Andalusien",
Sevilla wimmelt immer noch von Abenteuern, wie ein Kapitel von
Gil Blas oder eine Reisenovelle von Heine.

Dagegen sind die Küstenstädte durch ihre geographische Lage
und ihre Handelsbeziehungen allmählig dem fremden Einfluß immer
mehr erlegen; da verschwinden die nationalen Traditionen, eine
nach der andern, wie romantische Schatten vor dem Gaslicht pro¬
saischer Neuerung. Barcelona, das spanische Hamburg, hat kaum
noch einen katalanischen Zug in seiner Physiognomie; es ist eine
Mosaik mittelländischer Völkerschaften; der Engländer aus Malta,
der Grieche aus Livorno, der Prooem?ale aus Toulon und der
Jude aus Solonichi oder Smyrna, das sind die Tonangebenden,
die Honoratioren in Barcelona. Eben so hat Cadir -- besonders
seit seiner militärischen Besetzung durch die Franzosen -- kaum
noch eine schwache Reminiscenz altcastilischer Herrlichkeit; eine Pro¬
menade von Orangenbäumen und die leuchtenden Augen der Frauen,
das ist das einzige bißchen Spanisch hier, was die Zeit nicht ver¬
tilgen konnte. Gibraltar ist bekanntlich eine englische Hafenstadt.

Madrid ist voll von Gegensätzen und Inconsequenzen. Ma¬
drid ist wie ein mittelalterlicher Don, den man plötzlich und ge¬
waltsam in den französischen Frack gesteckt hat. Hier vor Allein
fühlt man jenen Kampf zwischen Gegenwart und Vergangenheit,
der jenseits der Pyrenäen so viele Köpfe verrückt; die Sitten ha¬
ben "och einen starken feudalen Beigeschmack, die Gesetze dagegen
sind quasiconstitutionell. Es ist ein chronischer Krampf und ein er¬
bittertes Ringen zwischen nationalen Institutionen, die sich fast über¬
lebt haben, und zwischen fremden Reformen, die noch nicht recht
verstanden werden; ein Uebergangszustand, der damit enden wird,
daß Spanien seine Originalität, seine Poesie, seinen Fanatismus
und seine pittoresken Lumpen einbüßen und dafür Kleinkinderbe-
wahranstalten, Fabriken, Eisenbahnen und unmalerische Proletarier¬
lumpen gewinnen wird.

Diese Einflüsse lassen sich >in Leben und Treiben von Madrid
bedeutend spüren. Mehr als Ein Edelmann aus altem Hause af-
fectirt die größte Verachtung gegen seine Ahnen, und um seine phi¬
losophische Aufklärung voll zu machen, speculirt er an der Börse


und Sevilla, die Coquette, die sich im Guadalquivire spiegelt, die
leichtsinnige, verliebte, carncvalssüchtige, unverbesserliche Andalusien»,
Sevilla wimmelt immer noch von Abenteuern, wie ein Kapitel von
Gil Blas oder eine Reisenovelle von Heine.

Dagegen sind die Küstenstädte durch ihre geographische Lage
und ihre Handelsbeziehungen allmählig dem fremden Einfluß immer
mehr erlegen; da verschwinden die nationalen Traditionen, eine
nach der andern, wie romantische Schatten vor dem Gaslicht pro¬
saischer Neuerung. Barcelona, das spanische Hamburg, hat kaum
noch einen katalanischen Zug in seiner Physiognomie; es ist eine
Mosaik mittelländischer Völkerschaften; der Engländer aus Malta,
der Grieche aus Livorno, der Prooem?ale aus Toulon und der
Jude aus Solonichi oder Smyrna, das sind die Tonangebenden,
die Honoratioren in Barcelona. Eben so hat Cadir — besonders
seit seiner militärischen Besetzung durch die Franzosen — kaum
noch eine schwache Reminiscenz altcastilischer Herrlichkeit; eine Pro¬
menade von Orangenbäumen und die leuchtenden Augen der Frauen,
das ist das einzige bißchen Spanisch hier, was die Zeit nicht ver¬
tilgen konnte. Gibraltar ist bekanntlich eine englische Hafenstadt.

Madrid ist voll von Gegensätzen und Inconsequenzen. Ma¬
drid ist wie ein mittelalterlicher Don, den man plötzlich und ge¬
waltsam in den französischen Frack gesteckt hat. Hier vor Allein
fühlt man jenen Kampf zwischen Gegenwart und Vergangenheit,
der jenseits der Pyrenäen so viele Köpfe verrückt; die Sitten ha¬
ben »och einen starken feudalen Beigeschmack, die Gesetze dagegen
sind quasiconstitutionell. Es ist ein chronischer Krampf und ein er¬
bittertes Ringen zwischen nationalen Institutionen, die sich fast über¬
lebt haben, und zwischen fremden Reformen, die noch nicht recht
verstanden werden; ein Uebergangszustand, der damit enden wird,
daß Spanien seine Originalität, seine Poesie, seinen Fanatismus
und seine pittoresken Lumpen einbüßen und dafür Kleinkinderbe-
wahranstalten, Fabriken, Eisenbahnen und unmalerische Proletarier¬
lumpen gewinnen wird.

Diese Einflüsse lassen sich >in Leben und Treiben von Madrid
bedeutend spüren. Mehr als Ein Edelmann aus altem Hause af-
fectirt die größte Verachtung gegen seine Ahnen, und um seine phi¬
losophische Aufklärung voll zu machen, speculirt er an der Börse


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[0228] und Sevilla, die Coquette, die sich im Guadalquivire spiegelt, die leichtsinnige, verliebte, carncvalssüchtige, unverbesserliche Andalusien», Sevilla wimmelt immer noch von Abenteuern, wie ein Kapitel von Gil Blas oder eine Reisenovelle von Heine. Dagegen sind die Küstenstädte durch ihre geographische Lage und ihre Handelsbeziehungen allmählig dem fremden Einfluß immer mehr erlegen; da verschwinden die nationalen Traditionen, eine nach der andern, wie romantische Schatten vor dem Gaslicht pro¬ saischer Neuerung. Barcelona, das spanische Hamburg, hat kaum noch einen katalanischen Zug in seiner Physiognomie; es ist eine Mosaik mittelländischer Völkerschaften; der Engländer aus Malta, der Grieche aus Livorno, der Prooem?ale aus Toulon und der Jude aus Solonichi oder Smyrna, das sind die Tonangebenden, die Honoratioren in Barcelona. Eben so hat Cadir — besonders seit seiner militärischen Besetzung durch die Franzosen — kaum noch eine schwache Reminiscenz altcastilischer Herrlichkeit; eine Pro¬ menade von Orangenbäumen und die leuchtenden Augen der Frauen, das ist das einzige bißchen Spanisch hier, was die Zeit nicht ver¬ tilgen konnte. Gibraltar ist bekanntlich eine englische Hafenstadt. Madrid ist voll von Gegensätzen und Inconsequenzen. Ma¬ drid ist wie ein mittelalterlicher Don, den man plötzlich und ge¬ waltsam in den französischen Frack gesteckt hat. Hier vor Allein fühlt man jenen Kampf zwischen Gegenwart und Vergangenheit, der jenseits der Pyrenäen so viele Köpfe verrückt; die Sitten ha¬ ben »och einen starken feudalen Beigeschmack, die Gesetze dagegen sind quasiconstitutionell. Es ist ein chronischer Krampf und ein er¬ bittertes Ringen zwischen nationalen Institutionen, die sich fast über¬ lebt haben, und zwischen fremden Reformen, die noch nicht recht verstanden werden; ein Uebergangszustand, der damit enden wird, daß Spanien seine Originalität, seine Poesie, seinen Fanatismus und seine pittoresken Lumpen einbüßen und dafür Kleinkinderbe- wahranstalten, Fabriken, Eisenbahnen und unmalerische Proletarier¬ lumpen gewinnen wird. Diese Einflüsse lassen sich >in Leben und Treiben von Madrid bedeutend spüren. Mehr als Ein Edelmann aus altem Hause af- fectirt die größte Verachtung gegen seine Ahnen, und um seine phi¬ losophische Aufklärung voll zu machen, speculirt er an der Börse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/228>, abgerufen am 22.12.2024.