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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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"Den lichten Gottesschwän in Feuersgluthen --
"Es sprühen Funken aus dem Aschenhauf
"Ins Böhmerland -- es brennt, es lodert auf,
"Und aus den Flammen seh ich hohe Fluchen
"Aus tausend Herzen strömen, die verbluten --
"Und eine lange "Reih von Gräul und Morden,
"Und heimische und fremde Kriegerhorden --
"Bis an das Knie im Blute geht ihr Fuß.
"Dann seh' ich Noth und lange Pein unsäglich --
"Gebrochne Wappen -- Herzen -- Geister -- kläglich --
"Dann Heilige durch heilgen Martyrkuß.
"Und wehen fremde Fahnen von den Zinnen
"Dann wird das stille stumme Reich beginnen --
"Der alte Gott, die Lieder find gebannt
"Und tiefe Ruh ist auf das grüne Land
"Als wie ein weißes Leichentuch gebreit.
"Doch ist die stille Zeit noch weit -- noch weit
"Was kümmert mich die weite ferne Zeit?"
Der König ruft, "von morgen sprich, von heut'!"
Der blinde Jüngling aber grollend spricht
Mit ausgehöhlter Hand: "Dieweil dich kümmert nickt
"O König Wenzeslaus, die ferne Zeit
"Gieb Acht, gieb Acht, daß die von deinem Heut
"Mein Seheraug nicht Böses prophezeit! --
"Als König Saul zu Endorf Here ritt,
"Trug er sein Todesschwcrt zur Seite mit;
"Als Belsazar gesehn des Himmels Rechte,
"In selber Nacht erschlugen ihn die Knechte."
Der Blinde schweigt; er schließt die Augenlieder,
Er neigt sein Haupt tief bis zum Herzen nieder,
Dann ruft er aus mit schaurig tiefem Ton:
"Faul ist dein Reich -- es stürzt dein Königsthron!"
,Und wann?" -- Der König Wenzel ruft's entsetzt.
Der Blinde raunt: "Laß mich der Sanduhr lauschen
"Noch zwanzig Körnlein -- ha, wie schnell sie rauschen!-
"In kurzer Frist -- zehn Körnlein noch -- bald -- jetzt!"
""Ha! jetzt!?"" Der König lacht des Trugpropheten,
Er schwingt den Bettelstab als wär's ein Schwert,

Greiizbotcn, I"4<!. >.
„Den lichten Gottesschwän in Feuersgluthen —
„Es sprühen Funken aus dem Aschenhauf
„Ins Böhmerland — es brennt, es lodert auf,
„Und aus den Flammen seh ich hohe Fluchen
„Aus tausend Herzen strömen, die verbluten —
„Und eine lange »Reih von Gräul und Morden,
„Und heimische und fremde Kriegerhorden —
„Bis an das Knie im Blute geht ihr Fuß.
„Dann seh' ich Noth und lange Pein unsäglich —
„Gebrochne Wappen — Herzen — Geister — kläglich —
„Dann Heilige durch heilgen Martyrkuß.
„Und wehen fremde Fahnen von den Zinnen
„Dann wird das stille stumme Reich beginnen —
„Der alte Gott, die Lieder find gebannt
„Und tiefe Ruh ist auf das grüne Land
„Als wie ein weißes Leichentuch gebreit.
„Doch ist die stille Zeit noch weit — noch weit
„Was kümmert mich die weite ferne Zeit?"
Der König ruft, „von morgen sprich, von heut'!"
Der blinde Jüngling aber grollend spricht
Mit ausgehöhlter Hand: „Dieweil dich kümmert nickt
„O König Wenzeslaus, die ferne Zeit
„Gieb Acht, gieb Acht, daß die von deinem Heut
„Mein Seheraug nicht Böses prophezeit! —
„Als König Saul zu Endorf Here ritt,
„Trug er sein Todesschwcrt zur Seite mit;
„Als Belsazar gesehn des Himmels Rechte,
„In selber Nacht erschlugen ihn die Knechte."
Der Blinde schweigt; er schließt die Augenlieder,
Er neigt sein Haupt tief bis zum Herzen nieder,
Dann ruft er aus mit schaurig tiefem Ton:
„Faul ist dein Reich — es stürzt dein Königsthron!"
,Und wann?" — Der König Wenzel ruft's entsetzt.
Der Blinde raunt: „Laß mich der Sanduhr lauschen
„Noch zwanzig Körnlein — ha, wie schnell sie rauschen!-
„In kurzer Frist — zehn Körnlein noch — bald — jetzt!"
„„Ha! jetzt!?"" Der König lacht des Trugpropheten,
Er schwingt den Bettelstab als wär's ein Schwert,

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[0225] „Den lichten Gottesschwän in Feuersgluthen — „Es sprühen Funken aus dem Aschenhauf „Ins Böhmerland — es brennt, es lodert auf, „Und aus den Flammen seh ich hohe Fluchen „Aus tausend Herzen strömen, die verbluten — „Und eine lange »Reih von Gräul und Morden, „Und heimische und fremde Kriegerhorden — „Bis an das Knie im Blute geht ihr Fuß. „Dann seh' ich Noth und lange Pein unsäglich — „Gebrochne Wappen — Herzen — Geister — kläglich — „Dann Heilige durch heilgen Martyrkuß. „Und wehen fremde Fahnen von den Zinnen „Dann wird das stille stumme Reich beginnen — „Der alte Gott, die Lieder find gebannt „Und tiefe Ruh ist auf das grüne Land „Als wie ein weißes Leichentuch gebreit. „Doch ist die stille Zeit noch weit — noch weit „Was kümmert mich die weite ferne Zeit?" Der König ruft, „von morgen sprich, von heut'!" Der blinde Jüngling aber grollend spricht Mit ausgehöhlter Hand: „Dieweil dich kümmert nickt „O König Wenzeslaus, die ferne Zeit „Gieb Acht, gieb Acht, daß die von deinem Heut „Mein Seheraug nicht Böses prophezeit! — „Als König Saul zu Endorf Here ritt, „Trug er sein Todesschwcrt zur Seite mit; „Als Belsazar gesehn des Himmels Rechte, „In selber Nacht erschlugen ihn die Knechte." Der Blinde schweigt; er schließt die Augenlieder, Er neigt sein Haupt tief bis zum Herzen nieder, Dann ruft er aus mit schaurig tiefem Ton: „Faul ist dein Reich — es stürzt dein Königsthron!" ,Und wann?" — Der König Wenzel ruft's entsetzt. Der Blinde raunt: „Laß mich der Sanduhr lauschen „Noch zwanzig Körnlein — ha, wie schnell sie rauschen!- „In kurzer Frist — zehn Körnlein noch — bald — jetzt!" „„Ha! jetzt!?"" Der König lacht des Trugpropheten, Er schwingt den Bettelstab als wär's ein Schwert, Greiizbotcn, I«4<!. >.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/225>, abgerufen am 02.09.2024.