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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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quier" Gorgias, kurz da sind Philosophen, Künstler und Patricier aus
dem Faubourg Se. Germain und aus der Chaussee Se. Artim von
Athen. Ein Sklave meldet, daß es Tag geworden sei. -- Ich will
keinen Tag, befiehlt die Courtisane. Schließt alle Thüren und zün¬
det die Lampen an.

Das Fest beginnt erst recht. Die Hauptsache aber ist, daß As-
pasia eine geniale Blasirte ist, die bei den Liebeserklärungen ihrer
Freier sich entsetzlich ennuyirt. La'>'s -- bald hatte ich vergessen zu
sagen, daß auch sie unter den Gästen ist -- LaVs also hat dies bald
bemerkt, und in eifersüchtiger Angst, daß Aspasta ein Auge auf Al-
kibiades werfen könnte, sucht sie der Nebenbuhlerin ein pikantes Ge¬
lüste einzuflößen, indem sie von dem bizarren Cyniker Diogenes zu
erzählen anfängt. Die Intrigue glückt. Was ist das für ein
Thier? fragt Aspasia. Nun schmückt Jeder das sonderbare Bild mit
einem neuen Zuge aus, und Aspasta wird begierig. Man soll ihr den
Cyniker bringen, sie will den Hund kennen lernen, auf die Gefahr
hin, gebissen zu werden. Welch ein Il-uit Koüt! ruft sie, wenn er
zufällig ein bischen toll wäre! Aber Diogenes kommt nicht in die
Stadt und läßt sagen, er logiere in seiner Tonne, und wer ihn sehen
wolle, könne sich zu ihm bemühen. -- Geschwind, meinen Schleier!
ruft Aspasta, kommt, ich will diesen Diogenes besuchen.

Im zweiten Act sieht man die Tonne und ihren Bewohner,
der den Vögeln Brodkrümchen streut, wie Aspasta auftritt. -- Wer
ist da? fragt er. -- Die Blüthe von Athen; entgegnet Alkibiades.
Diogenes sieht sie Alle an. Die Hefe von Athen, willst Du sa¬
gen... Dann nimmt er seine Laterne, leuchtet Einem nach dem
Andern unter die Nase, und gibt Jedem ein Epigramm zu schlucken,
was offenbar die hübscheste und geistreichste Scene des Stückes ist.
Endlich kommt die Reihe an Aspasia. Er reißt ihr wüthend den
Schleier vom Gesicht, und -- bleibt geblendet stehen. Diesmal
ist der Cynismus besiegt. Aspasia zieht sich zurück, und Diogenes
reibt sich die Augen. Er fühlt sich verwandelt, sein Herz schlägt,
er ist wieder Mensch, denn er -- liebt.

Der dritte Act spielt wieder bei Aspasia. Lauf hatte recht ge¬
rathen. Aspasia hat so lange Hunde in Menschengestalt geliebt,
daß sie auch einmal einen Menschen lieben will, der den Hund spielt.
Sie schreibt ihm ein Billet - tour: "Gelübde, Schwüre, Himmel
und Erde, Alles fahre hin, ich liebe Dich. Komm." Diese Zeilen
soll ihm Liüs überbringen. Aber Diogenes hat sein Faß verlassen,
und rennt wie ein Verrückter durch Athen, die Leute bittend, ihn
zum Archonten zu machen, "damit er Aspasta's würdig sei", was
freilich eine sehr moderne und unphilosophische Bräutigamsansicht ist.
Alkibiades, der natürlich voraussah, daß Aspasta seinem Nebenbuh¬
ler schreiben könnte, hat sich indessen in das Faß versteckt und fängt


quier" Gorgias, kurz da sind Philosophen, Künstler und Patricier aus
dem Faubourg Se. Germain und aus der Chaussee Se. Artim von
Athen. Ein Sklave meldet, daß es Tag geworden sei. — Ich will
keinen Tag, befiehlt die Courtisane. Schließt alle Thüren und zün¬
det die Lampen an.

Das Fest beginnt erst recht. Die Hauptsache aber ist, daß As-
pasia eine geniale Blasirte ist, die bei den Liebeserklärungen ihrer
Freier sich entsetzlich ennuyirt. La'>'s — bald hatte ich vergessen zu
sagen, daß auch sie unter den Gästen ist — LaVs also hat dies bald
bemerkt, und in eifersüchtiger Angst, daß Aspasta ein Auge auf Al-
kibiades werfen könnte, sucht sie der Nebenbuhlerin ein pikantes Ge¬
lüste einzuflößen, indem sie von dem bizarren Cyniker Diogenes zu
erzählen anfängt. Die Intrigue glückt. Was ist das für ein
Thier? fragt Aspasia. Nun schmückt Jeder das sonderbare Bild mit
einem neuen Zuge aus, und Aspasta wird begierig. Man soll ihr den
Cyniker bringen, sie will den Hund kennen lernen, auf die Gefahr
hin, gebissen zu werden. Welch ein Il-uit Koüt! ruft sie, wenn er
zufällig ein bischen toll wäre! Aber Diogenes kommt nicht in die
Stadt und läßt sagen, er logiere in seiner Tonne, und wer ihn sehen
wolle, könne sich zu ihm bemühen. — Geschwind, meinen Schleier!
ruft Aspasta, kommt, ich will diesen Diogenes besuchen.

Im zweiten Act sieht man die Tonne und ihren Bewohner,
der den Vögeln Brodkrümchen streut, wie Aspasta auftritt. — Wer
ist da? fragt er. — Die Blüthe von Athen; entgegnet Alkibiades.
Diogenes sieht sie Alle an. Die Hefe von Athen, willst Du sa¬
gen... Dann nimmt er seine Laterne, leuchtet Einem nach dem
Andern unter die Nase, und gibt Jedem ein Epigramm zu schlucken,
was offenbar die hübscheste und geistreichste Scene des Stückes ist.
Endlich kommt die Reihe an Aspasia. Er reißt ihr wüthend den
Schleier vom Gesicht, und — bleibt geblendet stehen. Diesmal
ist der Cynismus besiegt. Aspasia zieht sich zurück, und Diogenes
reibt sich die Augen. Er fühlt sich verwandelt, sein Herz schlägt,
er ist wieder Mensch, denn er — liebt.

Der dritte Act spielt wieder bei Aspasia. Lauf hatte recht ge¬
rathen. Aspasia hat so lange Hunde in Menschengestalt geliebt,
daß sie auch einmal einen Menschen lieben will, der den Hund spielt.
Sie schreibt ihm ein Billet - tour: „Gelübde, Schwüre, Himmel
und Erde, Alles fahre hin, ich liebe Dich. Komm." Diese Zeilen
soll ihm Liüs überbringen. Aber Diogenes hat sein Faß verlassen,
und rennt wie ein Verrückter durch Athen, die Leute bittend, ihn
zum Archonten zu machen, „damit er Aspasta's würdig sei", was
freilich eine sehr moderne und unphilosophische Bräutigamsansicht ist.
Alkibiades, der natürlich voraussah, daß Aspasta seinem Nebenbuh¬
ler schreiben könnte, hat sich indessen in das Faß versteckt und fängt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/184>, abgerufen am 23.12.2024.