Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.zusammenraffen. Die neueste Philosophie ist in's Leben getreten, Unter den gegenwärtigen gedrückten Verhältnissen nun ist es eine Anton Gubitz. zusammenraffen. Die neueste Philosophie ist in's Leben getreten, Unter den gegenwärtigen gedrückten Verhältnissen nun ist es eine Anton Gubitz. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181990"/> <p xml:id="ID_385" prev="#ID_384"> zusammenraffen. Die neueste Philosophie ist in's Leben getreten,<lb/> ist innere Anschauung praktischer That geworden im Gedanken der<lb/> Menschen, aber der Zwiespalt zwischen Gedanke und Erscheinung<lb/> lastet mit Bleigewicht auf allen Gemüthern, auf allen Regungen<lb/> und Bewegungen, also auch auf der Poesie. Dieser Zwiespalt des<lb/> Suchens nach der That in der bewußten Ueberzeugung, daß eine<lb/> Katastrophe erfolgen müsse, und des Nicht-Vollbringen-Könnens<lb/> derselben drückt die Volkskraft zu Boden und erstickt im ersten Kei¬<lb/> men jeden Aufschwung des Genius. Ohne politische Freiheit, ohne<lb/> Reform aller Zustände im deutschen Gesammtleben, wird jedes<lb/> Streben auf halbem Weg zum Ziele stehen bleiben. Politische<lb/> Freiheit allein schafft dem Volk ein neues, frisches Dasein, politische<lb/> Freiheit allein kann das stockende Blut neu pulsiren machen durch<lb/> alle Adern der Ration, an der Sonne der politischen Freiheit nur<lb/> werden deutsche Wissenschaft, deutsche Kunst, deutsches Leben ihre<lb/> Auferstehung feiern, wird endlich die Centifolie der Poesie, das<lb/> Drama, in voller Schönheit sich entfalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_386"> Unter den gegenwärtigen gedrückten Verhältnissen nun ist es eine<lb/> ernste Pflichtder Literatur, die Aufmerksamkeit aufDiejenigen hinzuleiten,<lb/> welche mitten unter Hemmungen und Druck denn och im Austrag des Zeit¬<lb/> bewußtseins ein Feld bebauen, dessen dürrer Boden vergebens auf<lb/> den befruchtenden Regen wartet. Die Früchte, welche sie mühsam<lb/> erziehen, können der scharfen Kritik nicht als vollkommen erscheinen,<lb/> aber als erster Ertrag einer neu beginnenden Cultur werden wir<lb/> sie mit Wohlwollen zu betrachten haben. Es ist kein Genius un¬<lb/> ter ihnen, der neue Bahnen bricht — wir wissen ja wohl, warum<lb/> das nicht sein kann! — aber viel Talent und Geist, viel ernstes<lb/> und bewußtes Streben finden wir unter ihnen. Sie gehören der<lb/> Periode des Ringens nach dem Ziele, der Vermittelung zwischen<lb/> den zerspaltenen Kräften des Wollens und Vollbringens an, und<lb/> dieser Charakter ihrer Zeit spricht aus ihren Werken. Sie stehen<lb/> mitten in einer kämpfenden Zeit, die nach innerer Kräftigung ringt,<lb/> und kämpfen in dieser Richtung als Vorkämpfer einer neuen Zeit,<lb/> wo dramatische Thatkraft Lebe» wie Kunst durchathmen wird.</p><lb/> <note type="byline"> Anton Gubitz.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0180]
zusammenraffen. Die neueste Philosophie ist in's Leben getreten,
ist innere Anschauung praktischer That geworden im Gedanken der
Menschen, aber der Zwiespalt zwischen Gedanke und Erscheinung
lastet mit Bleigewicht auf allen Gemüthern, auf allen Regungen
und Bewegungen, also auch auf der Poesie. Dieser Zwiespalt des
Suchens nach der That in der bewußten Ueberzeugung, daß eine
Katastrophe erfolgen müsse, und des Nicht-Vollbringen-Könnens
derselben drückt die Volkskraft zu Boden und erstickt im ersten Kei¬
men jeden Aufschwung des Genius. Ohne politische Freiheit, ohne
Reform aller Zustände im deutschen Gesammtleben, wird jedes
Streben auf halbem Weg zum Ziele stehen bleiben. Politische
Freiheit allein schafft dem Volk ein neues, frisches Dasein, politische
Freiheit allein kann das stockende Blut neu pulsiren machen durch
alle Adern der Ration, an der Sonne der politischen Freiheit nur
werden deutsche Wissenschaft, deutsche Kunst, deutsches Leben ihre
Auferstehung feiern, wird endlich die Centifolie der Poesie, das
Drama, in voller Schönheit sich entfalten.
Unter den gegenwärtigen gedrückten Verhältnissen nun ist es eine
ernste Pflichtder Literatur, die Aufmerksamkeit aufDiejenigen hinzuleiten,
welche mitten unter Hemmungen und Druck denn och im Austrag des Zeit¬
bewußtseins ein Feld bebauen, dessen dürrer Boden vergebens auf
den befruchtenden Regen wartet. Die Früchte, welche sie mühsam
erziehen, können der scharfen Kritik nicht als vollkommen erscheinen,
aber als erster Ertrag einer neu beginnenden Cultur werden wir
sie mit Wohlwollen zu betrachten haben. Es ist kein Genius un¬
ter ihnen, der neue Bahnen bricht — wir wissen ja wohl, warum
das nicht sein kann! — aber viel Talent und Geist, viel ernstes
und bewußtes Streben finden wir unter ihnen. Sie gehören der
Periode des Ringens nach dem Ziele, der Vermittelung zwischen
den zerspaltenen Kräften des Wollens und Vollbringens an, und
dieser Charakter ihrer Zeit spricht aus ihren Werken. Sie stehen
mitten in einer kämpfenden Zeit, die nach innerer Kräftigung ringt,
und kämpfen in dieser Richtung als Vorkämpfer einer neuen Zeit,
wo dramatische Thatkraft Lebe» wie Kunst durchathmen wird.
Anton Gubitz.
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