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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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meistens nur Blutwallung gewesen, sich bedeutend zu legen anfing,
ging mit seinen Ideen eine umgekehrte Umwandlung vor. Seine
Freunde versichern sogar, das) er von jenem Tage an gewissen Er¬
innerungen und Namen, die er bis dahin gescheut hatte, weniger
abhold wurde; daß er den Eraltirten zuweilen, wenn auch wider¬
strebend, die Hand reichte, und bei seinem Principe der "Freiheit
für Alle" einige Einschränkungen zuließ. Im Ganzen gibt der Na¬
tional kein Zeichen von dieser Metamorphose, außer in der schnei¬
denden Polemik, in die Carrel kurz vor seinem Tode wegen Ali-
bauds sich einließ.

Bei seinen zahlreichen Preßproccsscn vertheidigte er sich fast
immer selbst, und meistens mit einer so geschickten Verschmelzung
von trotziger Kühnheit.und maßvollen Anstande, daß er oft freige¬
sprochen wurde. Weniger glücklich war er vor der Pairskammer,
doch hatte er auch hier schöne Momente, und man erzählt sich
noch mit Begeisterung von jener famosen Apostrophe an den Schat¬
ten des Marschall Ney, die den General Ercclmanö so tief ergriff,
daß er, CarrelS Richter, für den Angeklagten Partei nahm.

Einen großen Fehler hatte Carrel, für den man in Frankreich
mehr Nachsicht hat als in Deutschland: seine soldatische Empfind-
Üchkeit im Punkte der Ehre, womit sich eine freie Discussion schwer
verträgt; weil er bereit war, jeden Augenblick für seine Worte auf
die Mensur zu treten, wurde er in seiner Polemik oft zur unrech¬
ten Zeit persönlich und gradezu herausfordernd. Bei uns freilich
ist das anders, das Duell ist grade nicht die Leidenschaft un¬
serer Journalheldcn, und wir sind weit entfernt, ihnen das
zum größten Vorwurfe zu machen, aber die Persönlichkeiten sind
darum nicht seltener bei uns, als in Frankreich. Wie oft
genießen wir das erbauliche Schauspiel, daß sich zwei Redactionen
vermittelst des aschgrauen Löschpapiers täglich auf Tod und Leben
befehden, sich Käuflichkeit und Gesinnungslosigkeit gegenseitig ins
Gesicht werfen, und überhaupt Artigkeiten sagen, sür die man sich
anderswo den Hals abschneiden würde! Bei uns ist man gemüth¬
licher, man stopft eine neue Pfeife, nimmt eine neue Feder, und
schneidet einander die Ehre, aber nicht den Hals ab. Denn man
glaubt, Gesinnungslosigkeit sei am Ende noch nicht so ehrlos.


meistens nur Blutwallung gewesen, sich bedeutend zu legen anfing,
ging mit seinen Ideen eine umgekehrte Umwandlung vor. Seine
Freunde versichern sogar, das) er von jenem Tage an gewissen Er¬
innerungen und Namen, die er bis dahin gescheut hatte, weniger
abhold wurde; daß er den Eraltirten zuweilen, wenn auch wider¬
strebend, die Hand reichte, und bei seinem Principe der „Freiheit
für Alle" einige Einschränkungen zuließ. Im Ganzen gibt der Na¬
tional kein Zeichen von dieser Metamorphose, außer in der schnei¬
denden Polemik, in die Carrel kurz vor seinem Tode wegen Ali-
bauds sich einließ.

Bei seinen zahlreichen Preßproccsscn vertheidigte er sich fast
immer selbst, und meistens mit einer so geschickten Verschmelzung
von trotziger Kühnheit.und maßvollen Anstande, daß er oft freige¬
sprochen wurde. Weniger glücklich war er vor der Pairskammer,
doch hatte er auch hier schöne Momente, und man erzählt sich
noch mit Begeisterung von jener famosen Apostrophe an den Schat¬
ten des Marschall Ney, die den General Ercclmanö so tief ergriff,
daß er, CarrelS Richter, für den Angeklagten Partei nahm.

Einen großen Fehler hatte Carrel, für den man in Frankreich
mehr Nachsicht hat als in Deutschland: seine soldatische Empfind-
Üchkeit im Punkte der Ehre, womit sich eine freie Discussion schwer
verträgt; weil er bereit war, jeden Augenblick für seine Worte auf
die Mensur zu treten, wurde er in seiner Polemik oft zur unrech¬
ten Zeit persönlich und gradezu herausfordernd. Bei uns freilich
ist das anders, das Duell ist grade nicht die Leidenschaft un¬
serer Journalheldcn, und wir sind weit entfernt, ihnen das
zum größten Vorwurfe zu machen, aber die Persönlichkeiten sind
darum nicht seltener bei uns, als in Frankreich. Wie oft
genießen wir das erbauliche Schauspiel, daß sich zwei Redactionen
vermittelst des aschgrauen Löschpapiers täglich auf Tod und Leben
befehden, sich Käuflichkeit und Gesinnungslosigkeit gegenseitig ins
Gesicht werfen, und überhaupt Artigkeiten sagen, sür die man sich
anderswo den Hals abschneiden würde! Bei uns ist man gemüth¬
licher, man stopft eine neue Pfeife, nimmt eine neue Feder, und
schneidet einander die Ehre, aber nicht den Hals ab. Denn man
glaubt, Gesinnungslosigkeit sei am Ende noch nicht so ehrlos.


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[0170] meistens nur Blutwallung gewesen, sich bedeutend zu legen anfing, ging mit seinen Ideen eine umgekehrte Umwandlung vor. Seine Freunde versichern sogar, das) er von jenem Tage an gewissen Er¬ innerungen und Namen, die er bis dahin gescheut hatte, weniger abhold wurde; daß er den Eraltirten zuweilen, wenn auch wider¬ strebend, die Hand reichte, und bei seinem Principe der „Freiheit für Alle" einige Einschränkungen zuließ. Im Ganzen gibt der Na¬ tional kein Zeichen von dieser Metamorphose, außer in der schnei¬ denden Polemik, in die Carrel kurz vor seinem Tode wegen Ali- bauds sich einließ. Bei seinen zahlreichen Preßproccsscn vertheidigte er sich fast immer selbst, und meistens mit einer so geschickten Verschmelzung von trotziger Kühnheit.und maßvollen Anstande, daß er oft freige¬ sprochen wurde. Weniger glücklich war er vor der Pairskammer, doch hatte er auch hier schöne Momente, und man erzählt sich noch mit Begeisterung von jener famosen Apostrophe an den Schat¬ ten des Marschall Ney, die den General Ercclmanö so tief ergriff, daß er, CarrelS Richter, für den Angeklagten Partei nahm. Einen großen Fehler hatte Carrel, für den man in Frankreich mehr Nachsicht hat als in Deutschland: seine soldatische Empfind- Üchkeit im Punkte der Ehre, womit sich eine freie Discussion schwer verträgt; weil er bereit war, jeden Augenblick für seine Worte auf die Mensur zu treten, wurde er in seiner Polemik oft zur unrech¬ ten Zeit persönlich und gradezu herausfordernd. Bei uns freilich ist das anders, das Duell ist grade nicht die Leidenschaft un¬ serer Journalheldcn, und wir sind weit entfernt, ihnen das zum größten Vorwurfe zu machen, aber die Persönlichkeiten sind darum nicht seltener bei uns, als in Frankreich. Wie oft genießen wir das erbauliche Schauspiel, daß sich zwei Redactionen vermittelst des aschgrauen Löschpapiers täglich auf Tod und Leben befehden, sich Käuflichkeit und Gesinnungslosigkeit gegenseitig ins Gesicht werfen, und überhaupt Artigkeiten sagen, sür die man sich anderswo den Hals abschneiden würde! Bei uns ist man gemüth¬ licher, man stopft eine neue Pfeife, nimmt eine neue Feder, und schneidet einander die Ehre, aber nicht den Hals ab. Denn man glaubt, Gesinnungslosigkeit sei am Ende noch nicht so ehrlos.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/170>, abgerufen am 01.09.2024.