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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Sehen wir uns das Portrait des wirklichen Armand Carrel
ein. Wir zweifeln nicht, daß die meisten seiner Schriften und Zei¬
tungsartikel, gegen die mancher deutschen Zeitgenossen gehalten,
trotz der gewaltigen Rhetorik darin, bis zum Schein der nüchtern¬
sten Prosa erbleichen würden. Ohne gerade ein staatsmännischeö
Genie zu sein, war Carrel doch ein sehr positiver Kopf; und die
Art wie er seine Partei beherrschte und zusammenhielt, zeigte ein
bedeutendes Organisationstalent, und seine praktische Klugheit,
welche sich meist innerhalb der gegebenen französischen Verhältnisse
bewegte, läßt so wenig einen Vergleich mit deutschen Republikanern
zu, wie die Reinheit seiner Bestrebungen einen Vergleich mit den
Matadoren der heutigen Pariser Journalistik. Zu dieser Klugheit
und Uneigennützigkeit kam eine gewisse soldatische Kühnheit und
Thatkraft, die in den Abenteuern seines Jugendlebens sich bewährt
hat. Carrel's ganze Persönlichkeit war nicht französisch, aber der
nationale Typus war bei ihm in seiner edelsten und schönsten
Weihe ausgesprochen; und das eben war die Poesie in ihm.

Wirklich tritt uns Carrel gleich Anfangs als echter Franzose,
als Soldat entgegen. In seinem 23. Jahre ist er Souslieutenant im
29. Infanterieregiment. Man darf sich den künftigen Republikaner
nicht als einen mit seinem Stande malcontentm, unglücklichen Jüng¬
ling denken, der, wie der österreichische Hilscher, bei einem aufge¬
sparten Stümpfchen Licht in der Kascrnenzclle Gedichte macht, oder
wie den preußischen Sattel, dessen idealistische Richtung nicht zum
Exercitium und zu den Vergnügungen seiner Kameraden paßt:
nein, Carrel war mit Leib und Seele Soldat und dachte nur dar¬
an, eine militärische Carriere zu machen. Aber durch seine bona¬
partistischen Gesinnungen verdächtig geworden, erhielt er den Befehl,
im Depot zu Air zurückzubleiben, während sein Regiment über die
Pyrenäen marsclmte, um gegen die spanischen Constitutionellen zu
fechten. Der junge Officier, der vor Thatlust brannte, beschwerte
sich gegen diese Maßregel und da seine Klagen nicht erhört wur¬
den, quittirte er den Dienst. Hätte man ihn mitgenommen: er
würde sich wahrscheinlich als einer der Bravsten im Kampfe auch
gegen die spanischen Constitutionöfreunde bewiesen haben. So aber
kam er auf den Gedanken, sein Schlachtfeld sich selber zu wählen
und für die Sache der Freiheit zu fechten, die von der reactionären


Sehen wir uns das Portrait des wirklichen Armand Carrel
ein. Wir zweifeln nicht, daß die meisten seiner Schriften und Zei¬
tungsartikel, gegen die mancher deutschen Zeitgenossen gehalten,
trotz der gewaltigen Rhetorik darin, bis zum Schein der nüchtern¬
sten Prosa erbleichen würden. Ohne gerade ein staatsmännischeö
Genie zu sein, war Carrel doch ein sehr positiver Kopf; und die
Art wie er seine Partei beherrschte und zusammenhielt, zeigte ein
bedeutendes Organisationstalent, und seine praktische Klugheit,
welche sich meist innerhalb der gegebenen französischen Verhältnisse
bewegte, läßt so wenig einen Vergleich mit deutschen Republikanern
zu, wie die Reinheit seiner Bestrebungen einen Vergleich mit den
Matadoren der heutigen Pariser Journalistik. Zu dieser Klugheit
und Uneigennützigkeit kam eine gewisse soldatische Kühnheit und
Thatkraft, die in den Abenteuern seines Jugendlebens sich bewährt
hat. Carrel's ganze Persönlichkeit war nicht französisch, aber der
nationale Typus war bei ihm in seiner edelsten und schönsten
Weihe ausgesprochen; und das eben war die Poesie in ihm.

Wirklich tritt uns Carrel gleich Anfangs als echter Franzose,
als Soldat entgegen. In seinem 23. Jahre ist er Souslieutenant im
29. Infanterieregiment. Man darf sich den künftigen Republikaner
nicht als einen mit seinem Stande malcontentm, unglücklichen Jüng¬
ling denken, der, wie der österreichische Hilscher, bei einem aufge¬
sparten Stümpfchen Licht in der Kascrnenzclle Gedichte macht, oder
wie den preußischen Sattel, dessen idealistische Richtung nicht zum
Exercitium und zu den Vergnügungen seiner Kameraden paßt:
nein, Carrel war mit Leib und Seele Soldat und dachte nur dar¬
an, eine militärische Carriere zu machen. Aber durch seine bona¬
partistischen Gesinnungen verdächtig geworden, erhielt er den Befehl,
im Depot zu Air zurückzubleiben, während sein Regiment über die
Pyrenäen marsclmte, um gegen die spanischen Constitutionellen zu
fechten. Der junge Officier, der vor Thatlust brannte, beschwerte
sich gegen diese Maßregel und da seine Klagen nicht erhört wur¬
den, quittirte er den Dienst. Hätte man ihn mitgenommen: er
würde sich wahrscheinlich als einer der Bravsten im Kampfe auch
gegen die spanischen Constitutionöfreunde bewiesen haben. So aber
kam er auf den Gedanken, sein Schlachtfeld sich selber zu wählen
und für die Sache der Freiheit zu fechten, die von der reactionären


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[0154] Sehen wir uns das Portrait des wirklichen Armand Carrel ein. Wir zweifeln nicht, daß die meisten seiner Schriften und Zei¬ tungsartikel, gegen die mancher deutschen Zeitgenossen gehalten, trotz der gewaltigen Rhetorik darin, bis zum Schein der nüchtern¬ sten Prosa erbleichen würden. Ohne gerade ein staatsmännischeö Genie zu sein, war Carrel doch ein sehr positiver Kopf; und die Art wie er seine Partei beherrschte und zusammenhielt, zeigte ein bedeutendes Organisationstalent, und seine praktische Klugheit, welche sich meist innerhalb der gegebenen französischen Verhältnisse bewegte, läßt so wenig einen Vergleich mit deutschen Republikanern zu, wie die Reinheit seiner Bestrebungen einen Vergleich mit den Matadoren der heutigen Pariser Journalistik. Zu dieser Klugheit und Uneigennützigkeit kam eine gewisse soldatische Kühnheit und Thatkraft, die in den Abenteuern seines Jugendlebens sich bewährt hat. Carrel's ganze Persönlichkeit war nicht französisch, aber der nationale Typus war bei ihm in seiner edelsten und schönsten Weihe ausgesprochen; und das eben war die Poesie in ihm. Wirklich tritt uns Carrel gleich Anfangs als echter Franzose, als Soldat entgegen. In seinem 23. Jahre ist er Souslieutenant im 29. Infanterieregiment. Man darf sich den künftigen Republikaner nicht als einen mit seinem Stande malcontentm, unglücklichen Jüng¬ ling denken, der, wie der österreichische Hilscher, bei einem aufge¬ sparten Stümpfchen Licht in der Kascrnenzclle Gedichte macht, oder wie den preußischen Sattel, dessen idealistische Richtung nicht zum Exercitium und zu den Vergnügungen seiner Kameraden paßt: nein, Carrel war mit Leib und Seele Soldat und dachte nur dar¬ an, eine militärische Carriere zu machen. Aber durch seine bona¬ partistischen Gesinnungen verdächtig geworden, erhielt er den Befehl, im Depot zu Air zurückzubleiben, während sein Regiment über die Pyrenäen marsclmte, um gegen die spanischen Constitutionellen zu fechten. Der junge Officier, der vor Thatlust brannte, beschwerte sich gegen diese Maßregel und da seine Klagen nicht erhört wur¬ den, quittirte er den Dienst. Hätte man ihn mitgenommen: er würde sich wahrscheinlich als einer der Bravsten im Kampfe auch gegen die spanischen Constitutionöfreunde bewiesen haben. So aber kam er auf den Gedanken, sein Schlachtfeld sich selber zu wählen und für die Sache der Freiheit zu fechten, die von der reactionären

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/154>, abgerufen am 22.12.2024.