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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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schaft in der Herrngasse ab und stattete am Morgen dem kaiserlichen
Hof seinen Besuch ab, woran sich sodann eine längere Unterredung
mit dem Staatskanzler schloß. Um die Mittagsstunde des Sylvester¬
tages fand auf dem Glacis eine große Revue der gesammten hierorts
garnisonirenden Truppen Statt, wozu noch alle in dem Umkreise ei¬
niger Meilen stationirten Regimenter kamen, die in Eilmarsch nach der
Hauptstadt gekommen waren. Der russische Monarch erschien zu Pferd,
an der Seite unseres Kaisers, in der Uniform eines österreichischen
Husarenobersten, und die blanken Linien der bunten Truppengattungen
gewahrten im hellen Strahl einer Frühlingssonne einen wahrhaft
prachtvollen Anblick. DaS Husarenregiment, welches den Namen des
Selbstherrschers tragt, wurde von demselben in Person dem Kaiser
von Oesterreich vorübergefühct. Abends erschien der hohe Gast im
Hofburgtheater das festlich beleuchtet war und wo man Deinhard-
stcins Lustspiel "Garrik in Bristol" gab. Nach der Vorstellung war
Thee in den Appartements der Kaiserin und am andern Tage große
Familientafel in der Hofburg. Von diesem Moment an entzog sich
der fremde Fürst allen weitern Genüssen, machte keine Besuche mehr
und würdigte selbst die von einer Anzahl von Künstlern mit vieler
Zeitaufopferung arrangirte Ausstellung von ungefähr 100 Kunstgegen¬
ständen in den Räumen des polytechnischen Institutes keines Ganges.
Am Morgen des 2. Jänner um 9 Uhr reiste Kaiser Nicolaus unter
dem Trompetengeschmetter der Musikbande seines RgimcntS, dem er
Stück kaiserliche Dukaten zur Vertheilung unter die Mann¬
schaften geschenkt hatte, nach Norden. Alle Truppcncommandantcn,
welche bei der Revue erschienen waren, erhielten den Annenorden verschie¬
dener Klassen; im Ganzen wurden 75 Ordenszeichen gespendet. --
Dem schaulustigen Pöbel hat die Anwesenheit des nordischen Gebie¬
ters freilich sehr viel Ergötzen here'tat, allein die Mittelklasse blieb
ohne die mindeste Theilnahme für diesen Fürsten, den nur sehr We¬
nige sahen; auch in den höchsten Regionen ließ sich bei aller Höflich-
keit eine gewisse Kälte des Benehmens wahrnehmen, wie sie dem zu¬
künftigen Schwiegervater eines österreichischen Erzherzogs wohl kaum
zu Theil geworden wäre. Kein Zweifel, das Heirathsproject der
russischen Politik ist zum zweiten Male gescheitert. Daß dazu
die kirchlichen Zustände in Rußland gar mächtig beigetragen haben,
läßt sich mit Bestimmtheit behaupten, denn wer die Bedeutsamkeit der
religiösen Frage an unserem Hofe kennt, den wird es kaum befremden,
wenn das bisherige Verfahren der russischen Staatskunst gegen die
katholische Kirche in Rußland dem Petersburger Hofe die Herzen der
Habsburger Familie, zumal ihres weiblichen, den Staaten Sardinien
und Baiern angehörigen Theils entfremdete. Bemerkenswerth er¬
scheint der verschiedene Ton in den Berichten aus Rom über die Zu¬
sammenkunft des Papstes mit dem Selbstherrscher aller Reussen; was-


schaft in der Herrngasse ab und stattete am Morgen dem kaiserlichen
Hof seinen Besuch ab, woran sich sodann eine längere Unterredung
mit dem Staatskanzler schloß. Um die Mittagsstunde des Sylvester¬
tages fand auf dem Glacis eine große Revue der gesammten hierorts
garnisonirenden Truppen Statt, wozu noch alle in dem Umkreise ei¬
niger Meilen stationirten Regimenter kamen, die in Eilmarsch nach der
Hauptstadt gekommen waren. Der russische Monarch erschien zu Pferd,
an der Seite unseres Kaisers, in der Uniform eines österreichischen
Husarenobersten, und die blanken Linien der bunten Truppengattungen
gewahrten im hellen Strahl einer Frühlingssonne einen wahrhaft
prachtvollen Anblick. DaS Husarenregiment, welches den Namen des
Selbstherrschers tragt, wurde von demselben in Person dem Kaiser
von Oesterreich vorübergefühct. Abends erschien der hohe Gast im
Hofburgtheater das festlich beleuchtet war und wo man Deinhard-
stcins Lustspiel „Garrik in Bristol" gab. Nach der Vorstellung war
Thee in den Appartements der Kaiserin und am andern Tage große
Familientafel in der Hofburg. Von diesem Moment an entzog sich
der fremde Fürst allen weitern Genüssen, machte keine Besuche mehr
und würdigte selbst die von einer Anzahl von Künstlern mit vieler
Zeitaufopferung arrangirte Ausstellung von ungefähr 100 Kunstgegen¬
ständen in den Räumen des polytechnischen Institutes keines Ganges.
Am Morgen des 2. Jänner um 9 Uhr reiste Kaiser Nicolaus unter
dem Trompetengeschmetter der Musikbande seines RgimcntS, dem er
Stück kaiserliche Dukaten zur Vertheilung unter die Mann¬
schaften geschenkt hatte, nach Norden. Alle Truppcncommandantcn,
welche bei der Revue erschienen waren, erhielten den Annenorden verschie¬
dener Klassen; im Ganzen wurden 75 Ordenszeichen gespendet. —
Dem schaulustigen Pöbel hat die Anwesenheit des nordischen Gebie¬
ters freilich sehr viel Ergötzen here'tat, allein die Mittelklasse blieb
ohne die mindeste Theilnahme für diesen Fürsten, den nur sehr We¬
nige sahen; auch in den höchsten Regionen ließ sich bei aller Höflich-
keit eine gewisse Kälte des Benehmens wahrnehmen, wie sie dem zu¬
künftigen Schwiegervater eines österreichischen Erzherzogs wohl kaum
zu Theil geworden wäre. Kein Zweifel, das Heirathsproject der
russischen Politik ist zum zweiten Male gescheitert. Daß dazu
die kirchlichen Zustände in Rußland gar mächtig beigetragen haben,
läßt sich mit Bestimmtheit behaupten, denn wer die Bedeutsamkeit der
religiösen Frage an unserem Hofe kennt, den wird es kaum befremden,
wenn das bisherige Verfahren der russischen Staatskunst gegen die
katholische Kirche in Rußland dem Petersburger Hofe die Herzen der
Habsburger Familie, zumal ihres weiblichen, den Staaten Sardinien
und Baiern angehörigen Theils entfremdete. Bemerkenswerth er¬
scheint der verschiedene Ton in den Berichten aus Rom über die Zu¬
sammenkunft des Papstes mit dem Selbstherrscher aller Reussen; was-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/134>, abgerufen am 22.12.2024.