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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Der einzige Fortschritt, den die Literatur gemacht hat, ist bei denZucker-
backern zu suchen. Während die teuschen Zuckerbäcker ihre Bonbons noch
immer mit Devisen aus der Fabrik der armen Lorenz Kindleins aus¬
statten, und höchstens einen alten Magister oder einen jungen Tertianer
in Sold nehmen, um für acht Groschen einige Dutzend jener merk¬
würdigen Reime und Streckverse zu fabriciren, die beim Dessert die
geistige Unterhaltung des tiefsinnigen Deutschlands bilden, sind die franzö¬
sischen Bonbonkünstler zu ihren höchsten Musenpriestern emporgestiegen,
und indem man ein Chocoladezeltchcn auswickelt, findet man eine Ode von
Victor Hugo, eine Strophe von Lamartine, ein Chanson von Beran-
ger. In diesem Frankreich versüßt sich Alles. Die Poesie caramelirt
sich, daS Genie wird >-> Vanill" und ^ >-" pi-ilnelu- den Leuten beige¬
bracht. Zu verwundern ist nur, daß die literarischen Götter Frank¬
reichs den Zuckerbäckern noch keinen Prozeß wegen Nachdrucks ange¬
hängt haben. Hat doch Victor Hugo eine Tantieme von den italie¬
nischen Librettofabricanten, welche seine Lucretia Borgia lind den
Hernani zu italienischen Opernbüchern benutzten, reclamirt, warum
sollte er nicht auch sein Honorarantheil für den Wiederabdruck seiner
Oden verlangen die man in Gemeinschaft mit Chocolade und einge¬
machten Früchten auf das Pfund verkauft? Eben so sehr muß man
sich wundern, daß die Pariser Süßwaarenhändler noch nicht in jedem
Bonbon ein Romancapitel liefern. Dieß könnte mit einer Nummer
versehen werden, dergestalt, daß eine Anzahl Bonbons einen ganzen
Roman liefern, und der ganze Unterschied bestünde nur darin, daß
man statt eines Romans, in zwei oder drei Bänden, einen zweipfün-
digen oder dreipfündigen kaufen würde. Ist der Roman schlecht,
so würde die Süßigkeit der Auckerwaarcn dem Käufer immerhin
mehr Entschädigung bieten, als die Abgestandenhcit eines Journals.
Wie aber, wenn ein solcher Roman Glück macht, wie die Mvsteres
de Paris, welche Auflagen würden die Chocoladeplätzchen und Aucker-
frücht" dem süßen Buchhandlerbäcker einbringen. Kommt Zeit, kommt
Rath!"

Ruges "Zwei Jahre in Paris gefällt den Paar Franzosen, die sich
die Mühe nehmen, über deutsche Literatur sich erzählen zu lassen. Lesen
können sie das Buch freilich nicht. Aber unter der Colonie, die hier
lebt, hat das Buch gerade nicht zu Gunsten Ruges gewirkt. Es ist
eine Absichtlichkeit darin, die ein unbehagliches Bild von dem Cha¬
rakter des Verfassers gibt. Man sagt, Rüge habe durch seine Los¬
sagung vom Communismus, mit dem er früher stark geliebäugelt, sich
wieder den Weg nach Deutschland bahnen wollen und bringt die nach¬
gesuchte Verlängerung seines sächsischen Bürgerrechts damit in Ver¬
bindung. Darin sehe ich nichts Uebles. Die deutsche Opposition
braucht der Kräfte, der praktischen Kräfte, und in so fern kann es uns
nur lieb sein, wenn sich ein so scharfer Kopf, wie Ruge, von den uc¬


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Der einzige Fortschritt, den die Literatur gemacht hat, ist bei denZucker-
backern zu suchen. Während die teuschen Zuckerbäcker ihre Bonbons noch
immer mit Devisen aus der Fabrik der armen Lorenz Kindleins aus¬
statten, und höchstens einen alten Magister oder einen jungen Tertianer
in Sold nehmen, um für acht Groschen einige Dutzend jener merk¬
würdigen Reime und Streckverse zu fabriciren, die beim Dessert die
geistige Unterhaltung des tiefsinnigen Deutschlands bilden, sind die franzö¬
sischen Bonbonkünstler zu ihren höchsten Musenpriestern emporgestiegen,
und indem man ein Chocoladezeltchcn auswickelt, findet man eine Ode von
Victor Hugo, eine Strophe von Lamartine, ein Chanson von Beran-
ger. In diesem Frankreich versüßt sich Alles. Die Poesie caramelirt
sich, daS Genie wird >-> Vanill« und ^ >-» pi-ilnelu- den Leuten beige¬
bracht. Zu verwundern ist nur, daß die literarischen Götter Frank¬
reichs den Zuckerbäckern noch keinen Prozeß wegen Nachdrucks ange¬
hängt haben. Hat doch Victor Hugo eine Tantieme von den italie¬
nischen Librettofabricanten, welche seine Lucretia Borgia lind den
Hernani zu italienischen Opernbüchern benutzten, reclamirt, warum
sollte er nicht auch sein Honorarantheil für den Wiederabdruck seiner
Oden verlangen die man in Gemeinschaft mit Chocolade und einge¬
machten Früchten auf das Pfund verkauft? Eben so sehr muß man
sich wundern, daß die Pariser Süßwaarenhändler noch nicht in jedem
Bonbon ein Romancapitel liefern. Dieß könnte mit einer Nummer
versehen werden, dergestalt, daß eine Anzahl Bonbons einen ganzen
Roman liefern, und der ganze Unterschied bestünde nur darin, daß
man statt eines Romans, in zwei oder drei Bänden, einen zweipfün-
digen oder dreipfündigen kaufen würde. Ist der Roman schlecht,
so würde die Süßigkeit der Auckerwaarcn dem Käufer immerhin
mehr Entschädigung bieten, als die Abgestandenhcit eines Journals.
Wie aber, wenn ein solcher Roman Glück macht, wie die Mvsteres
de Paris, welche Auflagen würden die Chocoladeplätzchen und Aucker-
frücht« dem süßen Buchhandlerbäcker einbringen. Kommt Zeit, kommt
Rath!"

Ruges „Zwei Jahre in Paris gefällt den Paar Franzosen, die sich
die Mühe nehmen, über deutsche Literatur sich erzählen zu lassen. Lesen
können sie das Buch freilich nicht. Aber unter der Colonie, die hier
lebt, hat das Buch gerade nicht zu Gunsten Ruges gewirkt. Es ist
eine Absichtlichkeit darin, die ein unbehagliches Bild von dem Cha¬
rakter des Verfassers gibt. Man sagt, Rüge habe durch seine Los¬
sagung vom Communismus, mit dem er früher stark geliebäugelt, sich
wieder den Weg nach Deutschland bahnen wollen und bringt die nach¬
gesuchte Verlängerung seines sächsischen Bürgerrechts damit in Ver¬
bindung. Darin sehe ich nichts Uebles. Die deutsche Opposition
braucht der Kräfte, der praktischen Kräfte, und in so fern kann es uns
nur lieb sein, wenn sich ein so scharfer Kopf, wie Ruge, von den uc¬


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[0131] Der einzige Fortschritt, den die Literatur gemacht hat, ist bei denZucker- backern zu suchen. Während die teuschen Zuckerbäcker ihre Bonbons noch immer mit Devisen aus der Fabrik der armen Lorenz Kindleins aus¬ statten, und höchstens einen alten Magister oder einen jungen Tertianer in Sold nehmen, um für acht Groschen einige Dutzend jener merk¬ würdigen Reime und Streckverse zu fabriciren, die beim Dessert die geistige Unterhaltung des tiefsinnigen Deutschlands bilden, sind die franzö¬ sischen Bonbonkünstler zu ihren höchsten Musenpriestern emporgestiegen, und indem man ein Chocoladezeltchcn auswickelt, findet man eine Ode von Victor Hugo, eine Strophe von Lamartine, ein Chanson von Beran- ger. In diesem Frankreich versüßt sich Alles. Die Poesie caramelirt sich, daS Genie wird >-> Vanill« und ^ >-» pi-ilnelu- den Leuten beige¬ bracht. Zu verwundern ist nur, daß die literarischen Götter Frank¬ reichs den Zuckerbäckern noch keinen Prozeß wegen Nachdrucks ange¬ hängt haben. Hat doch Victor Hugo eine Tantieme von den italie¬ nischen Librettofabricanten, welche seine Lucretia Borgia lind den Hernani zu italienischen Opernbüchern benutzten, reclamirt, warum sollte er nicht auch sein Honorarantheil für den Wiederabdruck seiner Oden verlangen die man in Gemeinschaft mit Chocolade und einge¬ machten Früchten auf das Pfund verkauft? Eben so sehr muß man sich wundern, daß die Pariser Süßwaarenhändler noch nicht in jedem Bonbon ein Romancapitel liefern. Dieß könnte mit einer Nummer versehen werden, dergestalt, daß eine Anzahl Bonbons einen ganzen Roman liefern, und der ganze Unterschied bestünde nur darin, daß man statt eines Romans, in zwei oder drei Bänden, einen zweipfün- digen oder dreipfündigen kaufen würde. Ist der Roman schlecht, so würde die Süßigkeit der Auckerwaarcn dem Käufer immerhin mehr Entschädigung bieten, als die Abgestandenhcit eines Journals. Wie aber, wenn ein solcher Roman Glück macht, wie die Mvsteres de Paris, welche Auflagen würden die Chocoladeplätzchen und Aucker- frücht« dem süßen Buchhandlerbäcker einbringen. Kommt Zeit, kommt Rath!" Ruges „Zwei Jahre in Paris gefällt den Paar Franzosen, die sich die Mühe nehmen, über deutsche Literatur sich erzählen zu lassen. Lesen können sie das Buch freilich nicht. Aber unter der Colonie, die hier lebt, hat das Buch gerade nicht zu Gunsten Ruges gewirkt. Es ist eine Absichtlichkeit darin, die ein unbehagliches Bild von dem Cha¬ rakter des Verfassers gibt. Man sagt, Rüge habe durch seine Los¬ sagung vom Communismus, mit dem er früher stark geliebäugelt, sich wieder den Weg nach Deutschland bahnen wollen und bringt die nach¬ gesuchte Verlängerung seines sächsischen Bürgerrechts damit in Ver¬ bindung. Darin sehe ich nichts Uebles. Die deutsche Opposition braucht der Kräfte, der praktischen Kräfte, und in so fern kann es uns nur lieb sein, wenn sich ein so scharfer Kopf, wie Ruge, von den uc¬ ig *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/131>, abgerufen am 22.12.2024.