Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.Die Löwen der Residenz priesen laut die neue Politik; Die Gährung ward inmer größer, und einige Gelbschnäbel, Um nun die öffentliche Meinung gründlich kennen zu lernen, Die Löwen der Residenz priesen laut die neue Politik; Die Gährung ward inmer größer, und einige Gelbschnäbel, Um nun die öffentliche Meinung gründlich kennen zu lernen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0106" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181916"/> <p xml:id="ID_193"> Die Löwen der Residenz priesen laut die neue Politik;<lb/> zwei Logen ersten Ranges schickten eine Deputation an den Für¬<lb/> sten, um ihren tiefgefühlten Dank für die kühne Vorwärtsrichtung der<lb/> Regierung auszusprechen. Das Volk aber murrte. Da seht ihr,<lb/> wie das Volk ist. Während die Blüte des Landes in Entzücken<lb/> schwamm, dachte das dumme Volk, mit prosaischen Eigennutz,<lb/> nur an seine jchweren Abgaben, und wollte Nichts mehr vom<lb/> alten Minister wissen. Ein neuer Minister scheint dein Volk immer<lb/> ein Heiland, und noch mehr Vergnügen macht es ihm, einen alten<lb/> Minister stürzen zu sehen. Wie ein Kranker, der sich aufgelegen<lb/> hat, wälzt es sich gern jeden Augenblick vom Bauch auf den<lb/> Rücken, vom Rücken auf den Bauch, und bei jeder Veränderung<lb/> hofft es seine Lage zu verbessern. Armes dummes Volk!</p><lb/> <p xml:id="ID_194"> Die Gährung ward inmer größer, und einige Gelbschnäbel,<lb/> die das Maul nicht halten konnten, wurden in Untersuchung ge¬<lb/> zogen und auf unbestimmte Zeit eingesperrt. Witsch I., der<lb/> dem Gemeinwohl die höchsten Opfer gebracht zu haben glaubte,<lb/> schrie über Undank, und das alte feudale Blut empörte sich in sei¬<lb/> nen Adern; es fehlte wenig, so hätte er seine Unterthanen wieder<lb/> für Leibeigene gehalten. Allein er war zu edel und hochherzig von<lb/> Natur, um sich nicht bald eines Bessern und auf den politischen<lb/> Cursus zu besinnen, den er in Paris durchgemacht hatte; nament¬<lb/> lich erinnerte er sich der tiefernsten Gespräche, in denen Mademoi¬<lb/> selle Florentine hinter den Coulissen ihn über seine Mission als<lb/> Vater des Vaterlandes zu belehren pflegte. Damals hatte er ge¬<lb/> schworen, liberal zu sein, und er beschloß, seinen Schwur zu hal¬<lb/> ten. Bei Gelegenheit der neuen Kleiderordnung hatte der alte<lb/> Minister sich die Bemerkung erlaubt, daß die neue Mode vielleicht<lb/> auch neue Manieren und Gesinnungen zur Folge haben „dürfte",<lb/> und diese Art zu denken, erregte jetzt das höchste Mißfallen des<lb/> Herrschers. Es war hohe Zeit, einen Minister los zu werden,<lb/> der hinter seinem Jahrhundert so weit zurück war.</p><lb/> <p xml:id="ID_195" next="#ID_196"> Um nun die öffentliche Meinung gründlich kennen zu lernen,<lb/> kam Witsch I. auf einen großen Gedanken. Er hatte im Pariser<lb/> Circus öfters gesehen, wie sich Napoleon (in dem Stück „das Kai¬<lb/> serreich") verkleidet unter den Pöbel mischte. Sogleich that er<lb/> dasselbe, ließ sich ein vollständiges Jncognitocostüm machen, besuchte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0106]
Die Löwen der Residenz priesen laut die neue Politik;
zwei Logen ersten Ranges schickten eine Deputation an den Für¬
sten, um ihren tiefgefühlten Dank für die kühne Vorwärtsrichtung der
Regierung auszusprechen. Das Volk aber murrte. Da seht ihr,
wie das Volk ist. Während die Blüte des Landes in Entzücken
schwamm, dachte das dumme Volk, mit prosaischen Eigennutz,
nur an seine jchweren Abgaben, und wollte Nichts mehr vom
alten Minister wissen. Ein neuer Minister scheint dein Volk immer
ein Heiland, und noch mehr Vergnügen macht es ihm, einen alten
Minister stürzen zu sehen. Wie ein Kranker, der sich aufgelegen
hat, wälzt es sich gern jeden Augenblick vom Bauch auf den
Rücken, vom Rücken auf den Bauch, und bei jeder Veränderung
hofft es seine Lage zu verbessern. Armes dummes Volk!
Die Gährung ward inmer größer, und einige Gelbschnäbel,
die das Maul nicht halten konnten, wurden in Untersuchung ge¬
zogen und auf unbestimmte Zeit eingesperrt. Witsch I., der
dem Gemeinwohl die höchsten Opfer gebracht zu haben glaubte,
schrie über Undank, und das alte feudale Blut empörte sich in sei¬
nen Adern; es fehlte wenig, so hätte er seine Unterthanen wieder
für Leibeigene gehalten. Allein er war zu edel und hochherzig von
Natur, um sich nicht bald eines Bessern und auf den politischen
Cursus zu besinnen, den er in Paris durchgemacht hatte; nament¬
lich erinnerte er sich der tiefernsten Gespräche, in denen Mademoi¬
selle Florentine hinter den Coulissen ihn über seine Mission als
Vater des Vaterlandes zu belehren pflegte. Damals hatte er ge¬
schworen, liberal zu sein, und er beschloß, seinen Schwur zu hal¬
ten. Bei Gelegenheit der neuen Kleiderordnung hatte der alte
Minister sich die Bemerkung erlaubt, daß die neue Mode vielleicht
auch neue Manieren und Gesinnungen zur Folge haben „dürfte",
und diese Art zu denken, erregte jetzt das höchste Mißfallen des
Herrschers. Es war hohe Zeit, einen Minister los zu werden,
der hinter seinem Jahrhundert so weit zurück war.
Um nun die öffentliche Meinung gründlich kennen zu lernen,
kam Witsch I. auf einen großen Gedanken. Er hatte im Pariser
Circus öfters gesehen, wie sich Napoleon (in dem Stück „das Kai¬
serreich") verkleidet unter den Pöbel mischte. Sogleich that er
dasselbe, ließ sich ein vollständiges Jncognitocostüm machen, besuchte
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