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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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die nationale Verschiedenheit und die linguistische Trennung, und wo
diese nicht bestehen, da giebt es keine provinzielle Unabhängigkeit, und
das Netz der Hauptstadt spannt hier eben so gut wie in andern Län¬
dern Europa's sich über daS beherrschte Gesammtgebiet aus. Man
betrachte nur einmal den Austand der untern Volksklassen der Provin¬
zen, und vergleiche ihn dann mit dem des niedern Volkes in der Haupt¬
stadt. Welch' ein Contrast, welch' ein Abstand in Lebensweise und
Lohngcwinn! Ueberhaupt kennt Der Oesterreich nur schlecht, welcher die
Donau herabschwimmt und etliche Wochen in Wien verweilt. Der
Schluß von Wien aus die Monarchie ist ein grundfalscher, sei es nun
in geistiger oder materieller Beziehung, immer liegt eine gewaltige
Kluft zwischen der Hauptstadt und den Provinzen, indem sich dort
Alles im Glanz und Strom des entwickelten, großstädtischen Lebens
mildert und manches schroffe gesetzliche Verhältniß daselbst in einem
ganz andern Lichte zeigt, als dies in den entfernten Provinzen der Fall
ist. Während in Wien eine gewisse Luft der Gleichheit das ganze öffent¬
liche Leben durchfluthet, liegt in den Provinzen, zumal in Böhmen und
Mähren, noch der volle Druck des aristokratischen Mittelalters und der
moderne Kastcndünkel des Beamtenthums auf dem Volke, und wenn
derjenige, ber gerade von München kommt, höchlich erstaunt ist, über
den freisinnigen, ja frivolen Geist, der in der österreichischen Haupt¬
stadt offen zu Tage tritt und nirgend eine pietistische Farbe aufkom¬
men läßt, so wird er dies wie vieles Andere in der Provinz anders
finden, wo ein karges Lebenfristen sehr häufig den grellsten Gegensatz
bildet zu der frischen Lust und dem unerschöpflichen Lebensgenuß, der
in Wien alle Schichten der Gesellschaft durchzuckt.

Der Arbeiter in Wien ist nicht gewohnt, seinen Durst mit Was¬
ser zu stillen, und seinen Hunger mit Brot: ein Gläschen Wein, ein
saftiges Fleisch muß der Lohn seiner Anstrengung sein, und sein Kör¬
per würde in der That die Last der Arbeit nicht ertragen, würde er
auf dieselbe Weise genährt, wie der slavische Arbeiter. Die Slaven
fangen an, den Oesterreichern, und überhaupt dem deutschen Arbeiter,
in allen Erwerbsarten, wo nicht besondere Geschicklichkeiten und Kennt¬
nisse erforderlich sind, eine gefahrdrohende Concurrenz zu eröffnen, deren
Folgen und Endergebnisse sehr schlimm ausfallen können. Der slavi¬
sche Arbeiter, der in seiner Heimath kein Brot verdienen kann, selbst
wenn er noch so genügsam und arbeitsam sein will, weil die Capita¬
lien fehlen, durch welche er dort Beschäftigung finden könnte, wan¬
dert zuletzt nach Wien, wo er wegen seines Fleißes, seiner Ausdauer
und vorzugsweise wegen seinen bescheidenen Forderungen gern aufgenom¬
men und nicht selten dem Deutschen vorgezogen wird, der bei größecen
Anforderungen an Lebensgenuß minder schmiegsam und an Entbehrun¬
gen gewöhnt ist. Der Slave arbeitet in spärlicher Bekleidung, ohne


die nationale Verschiedenheit und die linguistische Trennung, und wo
diese nicht bestehen, da giebt es keine provinzielle Unabhängigkeit, und
das Netz der Hauptstadt spannt hier eben so gut wie in andern Län¬
dern Europa's sich über daS beherrschte Gesammtgebiet aus. Man
betrachte nur einmal den Austand der untern Volksklassen der Provin¬
zen, und vergleiche ihn dann mit dem des niedern Volkes in der Haupt¬
stadt. Welch' ein Contrast, welch' ein Abstand in Lebensweise und
Lohngcwinn! Ueberhaupt kennt Der Oesterreich nur schlecht, welcher die
Donau herabschwimmt und etliche Wochen in Wien verweilt. Der
Schluß von Wien aus die Monarchie ist ein grundfalscher, sei es nun
in geistiger oder materieller Beziehung, immer liegt eine gewaltige
Kluft zwischen der Hauptstadt und den Provinzen, indem sich dort
Alles im Glanz und Strom des entwickelten, großstädtischen Lebens
mildert und manches schroffe gesetzliche Verhältniß daselbst in einem
ganz andern Lichte zeigt, als dies in den entfernten Provinzen der Fall
ist. Während in Wien eine gewisse Luft der Gleichheit das ganze öffent¬
liche Leben durchfluthet, liegt in den Provinzen, zumal in Böhmen und
Mähren, noch der volle Druck des aristokratischen Mittelalters und der
moderne Kastcndünkel des Beamtenthums auf dem Volke, und wenn
derjenige, ber gerade von München kommt, höchlich erstaunt ist, über
den freisinnigen, ja frivolen Geist, der in der österreichischen Haupt¬
stadt offen zu Tage tritt und nirgend eine pietistische Farbe aufkom¬
men läßt, so wird er dies wie vieles Andere in der Provinz anders
finden, wo ein karges Lebenfristen sehr häufig den grellsten Gegensatz
bildet zu der frischen Lust und dem unerschöpflichen Lebensgenuß, der
in Wien alle Schichten der Gesellschaft durchzuckt.

Der Arbeiter in Wien ist nicht gewohnt, seinen Durst mit Was¬
ser zu stillen, und seinen Hunger mit Brot: ein Gläschen Wein, ein
saftiges Fleisch muß der Lohn seiner Anstrengung sein, und sein Kör¬
per würde in der That die Last der Arbeit nicht ertragen, würde er
auf dieselbe Weise genährt, wie der slavische Arbeiter. Die Slaven
fangen an, den Oesterreichern, und überhaupt dem deutschen Arbeiter,
in allen Erwerbsarten, wo nicht besondere Geschicklichkeiten und Kennt¬
nisse erforderlich sind, eine gefahrdrohende Concurrenz zu eröffnen, deren
Folgen und Endergebnisse sehr schlimm ausfallen können. Der slavi¬
sche Arbeiter, der in seiner Heimath kein Brot verdienen kann, selbst
wenn er noch so genügsam und arbeitsam sein will, weil die Capita¬
lien fehlen, durch welche er dort Beschäftigung finden könnte, wan¬
dert zuletzt nach Wien, wo er wegen seines Fleißes, seiner Ausdauer
und vorzugsweise wegen seinen bescheidenen Forderungen gern aufgenom¬
men und nicht selten dem Deutschen vorgezogen wird, der bei größecen
Anforderungen an Lebensgenuß minder schmiegsam und an Entbehrun¬
gen gewöhnt ist. Der Slave arbeitet in spärlicher Bekleidung, ohne


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[0092] die nationale Verschiedenheit und die linguistische Trennung, und wo diese nicht bestehen, da giebt es keine provinzielle Unabhängigkeit, und das Netz der Hauptstadt spannt hier eben so gut wie in andern Län¬ dern Europa's sich über daS beherrschte Gesammtgebiet aus. Man betrachte nur einmal den Austand der untern Volksklassen der Provin¬ zen, und vergleiche ihn dann mit dem des niedern Volkes in der Haupt¬ stadt. Welch' ein Contrast, welch' ein Abstand in Lebensweise und Lohngcwinn! Ueberhaupt kennt Der Oesterreich nur schlecht, welcher die Donau herabschwimmt und etliche Wochen in Wien verweilt. Der Schluß von Wien aus die Monarchie ist ein grundfalscher, sei es nun in geistiger oder materieller Beziehung, immer liegt eine gewaltige Kluft zwischen der Hauptstadt und den Provinzen, indem sich dort Alles im Glanz und Strom des entwickelten, großstädtischen Lebens mildert und manches schroffe gesetzliche Verhältniß daselbst in einem ganz andern Lichte zeigt, als dies in den entfernten Provinzen der Fall ist. Während in Wien eine gewisse Luft der Gleichheit das ganze öffent¬ liche Leben durchfluthet, liegt in den Provinzen, zumal in Böhmen und Mähren, noch der volle Druck des aristokratischen Mittelalters und der moderne Kastcndünkel des Beamtenthums auf dem Volke, und wenn derjenige, ber gerade von München kommt, höchlich erstaunt ist, über den freisinnigen, ja frivolen Geist, der in der österreichischen Haupt¬ stadt offen zu Tage tritt und nirgend eine pietistische Farbe aufkom¬ men läßt, so wird er dies wie vieles Andere in der Provinz anders finden, wo ein karges Lebenfristen sehr häufig den grellsten Gegensatz bildet zu der frischen Lust und dem unerschöpflichen Lebensgenuß, der in Wien alle Schichten der Gesellschaft durchzuckt. Der Arbeiter in Wien ist nicht gewohnt, seinen Durst mit Was¬ ser zu stillen, und seinen Hunger mit Brot: ein Gläschen Wein, ein saftiges Fleisch muß der Lohn seiner Anstrengung sein, und sein Kör¬ per würde in der That die Last der Arbeit nicht ertragen, würde er auf dieselbe Weise genährt, wie der slavische Arbeiter. Die Slaven fangen an, den Oesterreichern, und überhaupt dem deutschen Arbeiter, in allen Erwerbsarten, wo nicht besondere Geschicklichkeiten und Kennt¬ nisse erforderlich sind, eine gefahrdrohende Concurrenz zu eröffnen, deren Folgen und Endergebnisse sehr schlimm ausfallen können. Der slavi¬ sche Arbeiter, der in seiner Heimath kein Brot verdienen kann, selbst wenn er noch so genügsam und arbeitsam sein will, weil die Capita¬ lien fehlen, durch welche er dort Beschäftigung finden könnte, wan¬ dert zuletzt nach Wien, wo er wegen seines Fleißes, seiner Ausdauer und vorzugsweise wegen seinen bescheidenen Forderungen gern aufgenom¬ men und nicht selten dem Deutschen vorgezogen wird, der bei größecen Anforderungen an Lebensgenuß minder schmiegsam und an Entbehrun¬ gen gewöhnt ist. Der Slave arbeitet in spärlicher Bekleidung, ohne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/92>, abgerufen am 05.02.2025.