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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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lichkeit haben. In Constantinopel giebt es, nach dem Blackwood Ma¬
gazine, vierzig große Buchhandlungen, die zugleich als Bibliotheken
dienen und, um Allah's willen, auch dem Armen zur Benutzung frei
stehen. Da findet man, zum Kauf, zum Abschreiben oder Lesen feil¬
gestellt, kostbare Sammlungen persischer, türkischer und arabischer Ma-
nuscripte, zierlich auf Pergament gemalt, zusammengeheftet und in
Maroccin gebunden, so daß sie wie unsere Portefeuilles aussehen. Auf
Schilfmatten hingestreckt, liegen die jungen türkischen Doctoren und
Studenten den Wissenschaften ob, abschreibend oder lesend, aber nicht
rauchend, denn die Pfeife ist daselbst verboten. Manchem Orientali¬
sten wird der Mund gewässert haben nach den geheimen Schätzen, die
in den morgenländischen Brieftaschen versteckt sein mögen, aber die
Sache hat einen Haken; in der Türkei sind nämlich Kirche und Staat
noch sehr innig verbunden, und jene ist dort, wie bei uns im Mittel¬
alter, die Wiege und zugleich der Sarg alles Wissens. Die vierzig
constantinopolitanischen Buchhandlungen befinden sich in vierzig Mo¬
scheen und sind daher dem Ungläubigen sehr schwer oder gar nicht
zugänglich.

-- Man erinnert sich wohl, wie Don Ranudo de Colibrados,
ergötzlichen Angedenkens, die löbliche Vorsicht gebrauchte, wenn sein
Salon Gäste hatte, sich mit steifer Würde so an die Wand zu stel¬
len, daß er der Welt die gutconservirten Gnlons der Vorderseite zeigte,
während die partio noiirvusiz der geflickten Schöße und der durchsich¬
tigen Unaussprechlichen verborgen blieb. Neapel ist auch so ein Don
Ranudo; und jetzt, da es empfängt, putzt es sich vor Kaiser Nicolaus
eben so von vorn heraus, während es sein Hintertheil verschämt in
die Wand drückt. Was werden aber jene armen Lazzaroni schreien,
welche die neapolitanische Polizei, als die Blamage der Hauptstadt,
sorgsam zusammengekehrt und für die Dauer des kaiserlichen Aufent¬
halts eingesperrt hat! Das heißt nicht die Lazzaroni überhaupt, denn
dann wäre Neapel ausgestorben, sondern nur jene zwölf oder fünf¬
zehntausend arme Teufel, welche nicht einmal wohnen, die aber die
Zeichen, daß sie trotzdem gut essen und trinken, auf den Schwellen
aller Kirchen und Paläste dankbar zurückzulassen gewohnt sind. Die¬
ses Häuflein Pflastertreter also wird, wie eine unangenehme statisti¬
sche Notiz, gestrichen. Dagegen werden, als galonirte Vorderseite,
die Mitglieder des Naturforschercongresses "in seidenen Roben mit
Sammetverbramung" dem Kaiser vorgezeigt werden. Glücklicher Weise
gibt es dort noch andere Herrlichkeiten, als Gelehrte in seidenen Ro¬
ben, Dinge die freilich kein Verdienst der neapolitanischen Verwaltung
sind: der Vesuv und das Meer.

-- Man hat sehr gut spotten über die Unfruchtbarkeit der papier-
nen Constitutionen in kleinen Staaten, wenn man alles Mögliche


lichkeit haben. In Constantinopel giebt es, nach dem Blackwood Ma¬
gazine, vierzig große Buchhandlungen, die zugleich als Bibliotheken
dienen und, um Allah's willen, auch dem Armen zur Benutzung frei
stehen. Da findet man, zum Kauf, zum Abschreiben oder Lesen feil¬
gestellt, kostbare Sammlungen persischer, türkischer und arabischer Ma-
nuscripte, zierlich auf Pergament gemalt, zusammengeheftet und in
Maroccin gebunden, so daß sie wie unsere Portefeuilles aussehen. Auf
Schilfmatten hingestreckt, liegen die jungen türkischen Doctoren und
Studenten den Wissenschaften ob, abschreibend oder lesend, aber nicht
rauchend, denn die Pfeife ist daselbst verboten. Manchem Orientali¬
sten wird der Mund gewässert haben nach den geheimen Schätzen, die
in den morgenländischen Brieftaschen versteckt sein mögen, aber die
Sache hat einen Haken; in der Türkei sind nämlich Kirche und Staat
noch sehr innig verbunden, und jene ist dort, wie bei uns im Mittel¬
alter, die Wiege und zugleich der Sarg alles Wissens. Die vierzig
constantinopolitanischen Buchhandlungen befinden sich in vierzig Mo¬
scheen und sind daher dem Ungläubigen sehr schwer oder gar nicht
zugänglich.

— Man erinnert sich wohl, wie Don Ranudo de Colibrados,
ergötzlichen Angedenkens, die löbliche Vorsicht gebrauchte, wenn sein
Salon Gäste hatte, sich mit steifer Würde so an die Wand zu stel¬
len, daß er der Welt die gutconservirten Gnlons der Vorderseite zeigte,
während die partio noiirvusiz der geflickten Schöße und der durchsich¬
tigen Unaussprechlichen verborgen blieb. Neapel ist auch so ein Don
Ranudo; und jetzt, da es empfängt, putzt es sich vor Kaiser Nicolaus
eben so von vorn heraus, während es sein Hintertheil verschämt in
die Wand drückt. Was werden aber jene armen Lazzaroni schreien,
welche die neapolitanische Polizei, als die Blamage der Hauptstadt,
sorgsam zusammengekehrt und für die Dauer des kaiserlichen Aufent¬
halts eingesperrt hat! Das heißt nicht die Lazzaroni überhaupt, denn
dann wäre Neapel ausgestorben, sondern nur jene zwölf oder fünf¬
zehntausend arme Teufel, welche nicht einmal wohnen, die aber die
Zeichen, daß sie trotzdem gut essen und trinken, auf den Schwellen
aller Kirchen und Paläste dankbar zurückzulassen gewohnt sind. Die¬
ses Häuflein Pflastertreter also wird, wie eine unangenehme statisti¬
sche Notiz, gestrichen. Dagegen werden, als galonirte Vorderseite,
die Mitglieder des Naturforschercongresses „in seidenen Roben mit
Sammetverbramung" dem Kaiser vorgezeigt werden. Glücklicher Weise
gibt es dort noch andere Herrlichkeiten, als Gelehrte in seidenen Ro¬
ben, Dinge die freilich kein Verdienst der neapolitanischen Verwaltung
sind: der Vesuv und das Meer.

— Man hat sehr gut spotten über die Unfruchtbarkeit der papier-
nen Constitutionen in kleinen Staaten, wenn man alles Mögliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/606>, abgerufen am 05.02.2025.