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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Muster eine politische einige Großmacht werden. Dies ist die Ursache
alles Uebels, denn es schreckt nicht blos die deutschen Fürsten und Minister,
es schreckt die deutschen Volksstamme vom politischen Fortschritt zurück.
Der Besitz eines eigenen Staatshaushalts erschöpftet ein volles Jahrtausend
hindurch den Begriff der "deutschen Freiheit", welche das Panier aller
Reichskämpfe gewesen ist, und noch heutzutag ist diese äußere Freiheit den
deutschen Stämmen wichtiger als die innere. Allein diese politische Eigen¬
thümlichkeit des deutschen Volkes verdient keineswegs in ihrer ursprüng¬
lichen Wesenheit, sondern nur in ihrer Venrrung und Ausartung die Ver¬
achtung und den Fluch, womit sie gewöhnlich belegt wird, denn sie ist
ihrer Wesenheit nach nur die Wirkung jener stolzen Geltung des In¬
dividuums, welche schon Tacitus an den Germanen bewunderte, und
wodurch sich noch heutzutag germanisches Volks - und Staatsleben
vor dem asiatischen und französischen vortheilhaft auszeichnet. Wir
nennen hier mit gutem Bedacht Frankreich neben Asien, denn unter
allen europäisch gebildeten Großstaaten herrscht allein in Frankreich
das asiatis^e Sraatsprincip despotischer Centralisation und Uniformi-
rung, ja in Frankreich ist dieses Princip sogar mächtiger al6 in Asien.
Diese französische Staatsform war und ist den Deutschen el" Gräuel.
Die Vortheile der französischen Machteinheit verkannten sie nicht, aber
um den Preis der individuellen Selbstständigkeit wollten sie diese
Einheit nicht verkaufen. Dieser Charakterzug des deutschen Volkes
hat Deutschland zersplittert, nicht aber die Herrschsucht der deutschen
Fürsten, was auffallend genug dadurch bewiesen ist, daß Deutschland
nicht blos aus Fürstenthümern bestand und besteht, sondern auch aus
Bürgerstaaten. Und haben etwa die Reichsstädte sich seltener gegen
die Reichsinacht aufgelehnt als die Reichsfürsten? Sehen wir ja
doch, wie noch heutzutag freie Vürgergemcinden sich hartnäckiger gegen
Deutschlands Einigung sträuben als fürstliche Regierungen, und
wahrlich, nicht blos kaufmännische Berechnungen sind schuld daran,
sondern in höherm Grad eben nur die stolze altdeutsche Vorliebe für eine
Staatswirthschaft nach völlig eigenem Sinn und Willen. Die wahre
und dem Wesen nach einzige Ursache unseres politischen Unglücks ist,
daß wir für unser politisches Bedürfniß ein volles Jahrtausend
hindurch nicht die rechte Staatsform gefunden. Wenn aber irgend
eine Gesammtstaatsform dem Charakter des deutschen Volkes entspricht
und für die nächstnaturnothwendige Gestaltung seiner geschichtlichen
Entwickelung gehalten werden muß, so ist es die freie Bundesform
und nur diese. Ein freier Bund freier Staaten soll Deutschland werden." --
Herr l)> Krause kann es nicht übel nehmen, wenn ich behaupte,
daß er nur den Titel und den Schlußsatz meines Buches gelesen und
dann aufs gerathewohl darüber geschrieben hat.


Franz Schuselka.


Berlog von Fr. Ludw. Herbig. Redacteur I. .sknranda.
Druck von Friedrich Andrä.

Muster eine politische einige Großmacht werden. Dies ist die Ursache
alles Uebels, denn es schreckt nicht blos die deutschen Fürsten und Minister,
es schreckt die deutschen Volksstamme vom politischen Fortschritt zurück.
Der Besitz eines eigenen Staatshaushalts erschöpftet ein volles Jahrtausend
hindurch den Begriff der „deutschen Freiheit", welche das Panier aller
Reichskämpfe gewesen ist, und noch heutzutag ist diese äußere Freiheit den
deutschen Stämmen wichtiger als die innere. Allein diese politische Eigen¬
thümlichkeit des deutschen Volkes verdient keineswegs in ihrer ursprüng¬
lichen Wesenheit, sondern nur in ihrer Venrrung und Ausartung die Ver¬
achtung und den Fluch, womit sie gewöhnlich belegt wird, denn sie ist
ihrer Wesenheit nach nur die Wirkung jener stolzen Geltung des In¬
dividuums, welche schon Tacitus an den Germanen bewunderte, und
wodurch sich noch heutzutag germanisches Volks - und Staatsleben
vor dem asiatischen und französischen vortheilhaft auszeichnet. Wir
nennen hier mit gutem Bedacht Frankreich neben Asien, denn unter
allen europäisch gebildeten Großstaaten herrscht allein in Frankreich
das asiatis^e Sraatsprincip despotischer Centralisation und Uniformi-
rung, ja in Frankreich ist dieses Princip sogar mächtiger al6 in Asien.
Diese französische Staatsform war und ist den Deutschen el« Gräuel.
Die Vortheile der französischen Machteinheit verkannten sie nicht, aber
um den Preis der individuellen Selbstständigkeit wollten sie diese
Einheit nicht verkaufen. Dieser Charakterzug des deutschen Volkes
hat Deutschland zersplittert, nicht aber die Herrschsucht der deutschen
Fürsten, was auffallend genug dadurch bewiesen ist, daß Deutschland
nicht blos aus Fürstenthümern bestand und besteht, sondern auch aus
Bürgerstaaten. Und haben etwa die Reichsstädte sich seltener gegen
die Reichsinacht aufgelehnt als die Reichsfürsten? Sehen wir ja
doch, wie noch heutzutag freie Vürgergemcinden sich hartnäckiger gegen
Deutschlands Einigung sträuben als fürstliche Regierungen, und
wahrlich, nicht blos kaufmännische Berechnungen sind schuld daran,
sondern in höherm Grad eben nur die stolze altdeutsche Vorliebe für eine
Staatswirthschaft nach völlig eigenem Sinn und Willen. Die wahre
und dem Wesen nach einzige Ursache unseres politischen Unglücks ist,
daß wir für unser politisches Bedürfniß ein volles Jahrtausend
hindurch nicht die rechte Staatsform gefunden. Wenn aber irgend
eine Gesammtstaatsform dem Charakter des deutschen Volkes entspricht
und für die nächstnaturnothwendige Gestaltung seiner geschichtlichen
Entwickelung gehalten werden muß, so ist es die freie Bundesform
und nur diese. Ein freier Bund freier Staaten soll Deutschland werden." —
Herr l)> Krause kann es nicht übel nehmen, wenn ich behaupte,
daß er nur den Titel und den Schlußsatz meines Buches gelesen und
dann aufs gerathewohl darüber geschrieben hat.


Franz Schuselka.


Berlog von Fr. Ludw. Herbig. Redacteur I. .sknranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0528] Muster eine politische einige Großmacht werden. Dies ist die Ursache alles Uebels, denn es schreckt nicht blos die deutschen Fürsten und Minister, es schreckt die deutschen Volksstamme vom politischen Fortschritt zurück. Der Besitz eines eigenen Staatshaushalts erschöpftet ein volles Jahrtausend hindurch den Begriff der „deutschen Freiheit", welche das Panier aller Reichskämpfe gewesen ist, und noch heutzutag ist diese äußere Freiheit den deutschen Stämmen wichtiger als die innere. Allein diese politische Eigen¬ thümlichkeit des deutschen Volkes verdient keineswegs in ihrer ursprüng¬ lichen Wesenheit, sondern nur in ihrer Venrrung und Ausartung die Ver¬ achtung und den Fluch, womit sie gewöhnlich belegt wird, denn sie ist ihrer Wesenheit nach nur die Wirkung jener stolzen Geltung des In¬ dividuums, welche schon Tacitus an den Germanen bewunderte, und wodurch sich noch heutzutag germanisches Volks - und Staatsleben vor dem asiatischen und französischen vortheilhaft auszeichnet. Wir nennen hier mit gutem Bedacht Frankreich neben Asien, denn unter allen europäisch gebildeten Großstaaten herrscht allein in Frankreich das asiatis^e Sraatsprincip despotischer Centralisation und Uniformi- rung, ja in Frankreich ist dieses Princip sogar mächtiger al6 in Asien. Diese französische Staatsform war und ist den Deutschen el« Gräuel. Die Vortheile der französischen Machteinheit verkannten sie nicht, aber um den Preis der individuellen Selbstständigkeit wollten sie diese Einheit nicht verkaufen. Dieser Charakterzug des deutschen Volkes hat Deutschland zersplittert, nicht aber die Herrschsucht der deutschen Fürsten, was auffallend genug dadurch bewiesen ist, daß Deutschland nicht blos aus Fürstenthümern bestand und besteht, sondern auch aus Bürgerstaaten. Und haben etwa die Reichsstädte sich seltener gegen die Reichsinacht aufgelehnt als die Reichsfürsten? Sehen wir ja doch, wie noch heutzutag freie Vürgergemcinden sich hartnäckiger gegen Deutschlands Einigung sträuben als fürstliche Regierungen, und wahrlich, nicht blos kaufmännische Berechnungen sind schuld daran, sondern in höherm Grad eben nur die stolze altdeutsche Vorliebe für eine Staatswirthschaft nach völlig eigenem Sinn und Willen. Die wahre und dem Wesen nach einzige Ursache unseres politischen Unglücks ist, daß wir für unser politisches Bedürfniß ein volles Jahrtausend hindurch nicht die rechte Staatsform gefunden. Wenn aber irgend eine Gesammtstaatsform dem Charakter des deutschen Volkes entspricht und für die nächstnaturnothwendige Gestaltung seiner geschichtlichen Entwickelung gehalten werden muß, so ist es die freie Bundesform und nur diese. Ein freier Bund freier Staaten soll Deutschland werden." — Herr l)> Krause kann es nicht übel nehmen, wenn ich behaupte, daß er nur den Titel und den Schlußsatz meines Buches gelesen und dann aufs gerathewohl darüber geschrieben hat. Franz Schuselka. Berlog von Fr. Ludw. Herbig. Redacteur I. .sknranda. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/528>, abgerufen am 05.02.2025.