Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

vor einigen Wochen einen Artikel über Preußen, der mit etwas schrei¬
end rothen Farben und mit wenig galanten Ausdrücken geschrieben
war. Der preußische Geschäftsträger in den vereinigten Staaten, Herr
von Gerolt, soll darauf bestanden haben, daß dieser Artikel widerrufen
werde, und soll sogar erklärt haben, im Weigerungsfalle seine Passe
. zu verlangen. Die "Union" hat nachgegeben und den fraglichen Ar¬
tikel einige Nummern spater als übertrieben und unschicklich erklärt.
Das Ministerium der Vereinigten Staaten soll aber zu gleicher Zeit
erklärt haben, daß es sich vorbehalte, den nordamerikanischen Geschäfts¬
träger in Berlin zurückzurufen, im Falle die preußische Staatszeitung
(in Washington kennt man sie noch unter diesem Titel) einen die
republikanischen Institutionen Amerikas verunglimpfenden Artikel brin¬
gen würde.

-- Bei der Entdeckung der jüngsten Verschwörung in Posen
tauchte ein kleiner Nebenpunkt auf, der einige Beachtung verdient.
Die Verschwörer wollten zur Einleitung die Juden in Sulmierzyce
ermorden, um, wie es heißt, durch diese Diversion die Besatzung von
Krotoszyn herauszulocken und desto leichter Krotoszyn selbst einnehmen
zu können. So wohlfeil ist dort das Bischen Judenblut; das Ge¬
metzel wäre zugleich ein Privatvergnügen und ein geschicktes Manoeuvre
gewesen. Bezeichnend für die Stellung der Juden ist es, daß sie,
nicht blos in Polen, sondern auch in Ungarn, Böhmen und Mähren,
wohin sie großentheils in alter Zeit aus Deutschland eingewandert sind,
doppelt gehaßt werden, erst als Juden und dann als Deutsche. Der
Leser mag darüber lächeln; eines unserer großen Nationalblätter hat
sogar, als ein magyarischer Deputirter einst auf dem Reichstag gegen
die Emancipation der Juden aus demselben Grunde sprach, mit einer
nasenrümpfenden Bemerkung sich "für die Ehre bedankt", an den un¬
garischen Juden Vertreter des deutschen Elements zu haben: es ist
dennoch so, sie gelten dort für Deutsche, weil sie deutsch reden und
deutsche Bildung besitzen; angemaßt haben sie sich die Ehre gewiß
nicht, denn sie leiden darunter. Sie schwelgen nicht, sondern sie fa¬
sten an zwei Tafeln. Dort, wo es ein verstärkender Grund zum Haß
ist, erkennt man ihr Deutschthum sehr bereitwillig an; bei uns da¬
gegen wird Nichts so hartnäckig bestricken als ihr Deutschthum, weil
es ein Grund wäre, sie zu naturalisiren. Wir wollen uns hier nicht
auf die Emancipationsfrage einlassen, die seit fünfzig Jahren gründlich
genug durchgedroschen worden ist und die hoffentlich nach hundert Jah¬
ren weiterer Forschung endlich gelöst werden dürste, "wer zahllose Bei¬
spiele zeigen, daß die Juden in vielen Gegenden Deutschlands nicht
nur nicht als Staatsbürger, sondern kaum als Menschen behandelt
werden. Ein Blick auf Oesterreich, Baiern, Hannover, Meklenburg
oder die Hansestädte wird Jedem beweisen, daß wir nicht übertreiben.
Die Geschichte des Schulen Moses, welche so eben durch die deutschen
Zeitungen läuft, gehört durchaus nicht zu den unerhörten Fällen.


vor einigen Wochen einen Artikel über Preußen, der mit etwas schrei¬
end rothen Farben und mit wenig galanten Ausdrücken geschrieben
war. Der preußische Geschäftsträger in den vereinigten Staaten, Herr
von Gerolt, soll darauf bestanden haben, daß dieser Artikel widerrufen
werde, und soll sogar erklärt haben, im Weigerungsfalle seine Passe
. zu verlangen. Die „Union" hat nachgegeben und den fraglichen Ar¬
tikel einige Nummern spater als übertrieben und unschicklich erklärt.
Das Ministerium der Vereinigten Staaten soll aber zu gleicher Zeit
erklärt haben, daß es sich vorbehalte, den nordamerikanischen Geschäfts¬
träger in Berlin zurückzurufen, im Falle die preußische Staatszeitung
(in Washington kennt man sie noch unter diesem Titel) einen die
republikanischen Institutionen Amerikas verunglimpfenden Artikel brin¬
gen würde.

— Bei der Entdeckung der jüngsten Verschwörung in Posen
tauchte ein kleiner Nebenpunkt auf, der einige Beachtung verdient.
Die Verschwörer wollten zur Einleitung die Juden in Sulmierzyce
ermorden, um, wie es heißt, durch diese Diversion die Besatzung von
Krotoszyn herauszulocken und desto leichter Krotoszyn selbst einnehmen
zu können. So wohlfeil ist dort das Bischen Judenblut; das Ge¬
metzel wäre zugleich ein Privatvergnügen und ein geschicktes Manoeuvre
gewesen. Bezeichnend für die Stellung der Juden ist es, daß sie,
nicht blos in Polen, sondern auch in Ungarn, Böhmen und Mähren,
wohin sie großentheils in alter Zeit aus Deutschland eingewandert sind,
doppelt gehaßt werden, erst als Juden und dann als Deutsche. Der
Leser mag darüber lächeln; eines unserer großen Nationalblätter hat
sogar, als ein magyarischer Deputirter einst auf dem Reichstag gegen
die Emancipation der Juden aus demselben Grunde sprach, mit einer
nasenrümpfenden Bemerkung sich „für die Ehre bedankt", an den un¬
garischen Juden Vertreter des deutschen Elements zu haben: es ist
dennoch so, sie gelten dort für Deutsche, weil sie deutsch reden und
deutsche Bildung besitzen; angemaßt haben sie sich die Ehre gewiß
nicht, denn sie leiden darunter. Sie schwelgen nicht, sondern sie fa¬
sten an zwei Tafeln. Dort, wo es ein verstärkender Grund zum Haß
ist, erkennt man ihr Deutschthum sehr bereitwillig an; bei uns da¬
gegen wird Nichts so hartnäckig bestricken als ihr Deutschthum, weil
es ein Grund wäre, sie zu naturalisiren. Wir wollen uns hier nicht
auf die Emancipationsfrage einlassen, die seit fünfzig Jahren gründlich
genug durchgedroschen worden ist und die hoffentlich nach hundert Jah¬
ren weiterer Forschung endlich gelöst werden dürste, »wer zahllose Bei¬
spiele zeigen, daß die Juden in vielen Gegenden Deutschlands nicht
nur nicht als Staatsbürger, sondern kaum als Menschen behandelt
werden. Ein Blick auf Oesterreich, Baiern, Hannover, Meklenburg
oder die Hansestädte wird Jedem beweisen, daß wir nicht übertreiben.
Die Geschichte des Schulen Moses, welche so eben durch die deutschen
Zeitungen läuft, gehört durchaus nicht zu den unerhörten Fällen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0525" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271786"/>
            <p xml:id="ID_1413" prev="#ID_1412"> vor einigen Wochen einen Artikel über Preußen, der mit etwas schrei¬<lb/>
end rothen Farben und mit wenig galanten Ausdrücken geschrieben<lb/>
war. Der preußische Geschäftsträger in den vereinigten Staaten, Herr<lb/>
von Gerolt, soll darauf bestanden haben, daß dieser Artikel widerrufen<lb/>
werde, und soll sogar erklärt haben, im Weigerungsfalle seine Passe<lb/>
. zu verlangen. Die &#x201E;Union" hat nachgegeben und den fraglichen Ar¬<lb/>
tikel einige Nummern spater als übertrieben und unschicklich erklärt.<lb/>
Das Ministerium der Vereinigten Staaten soll aber zu gleicher Zeit<lb/>
erklärt haben, daß es sich vorbehalte, den nordamerikanischen Geschäfts¬<lb/>
träger in Berlin zurückzurufen, im Falle die preußische Staatszeitung<lb/>
(in Washington kennt man sie noch unter diesem Titel) einen die<lb/>
republikanischen Institutionen Amerikas verunglimpfenden Artikel brin¬<lb/>
gen würde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1414" next="#ID_1415"> &#x2014; Bei der Entdeckung der jüngsten Verschwörung in Posen<lb/>
tauchte ein kleiner Nebenpunkt auf, der einige Beachtung verdient.<lb/>
Die Verschwörer wollten zur Einleitung die Juden in Sulmierzyce<lb/>
ermorden, um, wie es heißt, durch diese Diversion die Besatzung von<lb/>
Krotoszyn herauszulocken und desto leichter Krotoszyn selbst einnehmen<lb/>
zu können. So wohlfeil ist dort das Bischen Judenblut; das Ge¬<lb/>
metzel wäre zugleich ein Privatvergnügen und ein geschicktes Manoeuvre<lb/>
gewesen. Bezeichnend für die Stellung der Juden ist es, daß sie,<lb/>
nicht blos in Polen, sondern auch in Ungarn, Böhmen und Mähren,<lb/>
wohin sie großentheils in alter Zeit aus Deutschland eingewandert sind,<lb/>
doppelt gehaßt werden, erst als Juden und dann als Deutsche. Der<lb/>
Leser mag darüber lächeln; eines unserer großen Nationalblätter hat<lb/>
sogar, als ein magyarischer Deputirter einst auf dem Reichstag gegen<lb/>
die Emancipation der Juden aus demselben Grunde sprach, mit einer<lb/>
nasenrümpfenden Bemerkung sich &#x201E;für die Ehre bedankt", an den un¬<lb/>
garischen Juden Vertreter des deutschen Elements zu haben: es ist<lb/>
dennoch so, sie gelten dort für Deutsche, weil sie deutsch reden und<lb/>
deutsche Bildung besitzen; angemaßt haben sie sich die Ehre gewiß<lb/>
nicht, denn sie leiden darunter. Sie schwelgen nicht, sondern sie fa¬<lb/>
sten an zwei Tafeln. Dort, wo es ein verstärkender Grund zum Haß<lb/>
ist, erkennt man ihr Deutschthum sehr bereitwillig an; bei uns da¬<lb/>
gegen wird Nichts so hartnäckig bestricken als ihr Deutschthum, weil<lb/>
es ein Grund wäre, sie zu naturalisiren. Wir wollen uns hier nicht<lb/>
auf die Emancipationsfrage einlassen, die seit fünfzig Jahren gründlich<lb/>
genug durchgedroschen worden ist und die hoffentlich nach hundert Jah¬<lb/>
ren weiterer Forschung endlich gelöst werden dürste, »wer zahllose Bei¬<lb/>
spiele zeigen, daß die Juden in vielen Gegenden Deutschlands nicht<lb/>
nur nicht als Staatsbürger, sondern kaum als Menschen behandelt<lb/>
werden. Ein Blick auf Oesterreich, Baiern, Hannover, Meklenburg<lb/>
oder die Hansestädte wird Jedem beweisen, daß wir nicht übertreiben.<lb/>
Die Geschichte des Schulen Moses, welche so eben durch die deutschen<lb/>
Zeitungen läuft, gehört durchaus nicht zu den unerhörten Fällen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0525] vor einigen Wochen einen Artikel über Preußen, der mit etwas schrei¬ end rothen Farben und mit wenig galanten Ausdrücken geschrieben war. Der preußische Geschäftsträger in den vereinigten Staaten, Herr von Gerolt, soll darauf bestanden haben, daß dieser Artikel widerrufen werde, und soll sogar erklärt haben, im Weigerungsfalle seine Passe . zu verlangen. Die „Union" hat nachgegeben und den fraglichen Ar¬ tikel einige Nummern spater als übertrieben und unschicklich erklärt. Das Ministerium der Vereinigten Staaten soll aber zu gleicher Zeit erklärt haben, daß es sich vorbehalte, den nordamerikanischen Geschäfts¬ träger in Berlin zurückzurufen, im Falle die preußische Staatszeitung (in Washington kennt man sie noch unter diesem Titel) einen die republikanischen Institutionen Amerikas verunglimpfenden Artikel brin¬ gen würde. — Bei der Entdeckung der jüngsten Verschwörung in Posen tauchte ein kleiner Nebenpunkt auf, der einige Beachtung verdient. Die Verschwörer wollten zur Einleitung die Juden in Sulmierzyce ermorden, um, wie es heißt, durch diese Diversion die Besatzung von Krotoszyn herauszulocken und desto leichter Krotoszyn selbst einnehmen zu können. So wohlfeil ist dort das Bischen Judenblut; das Ge¬ metzel wäre zugleich ein Privatvergnügen und ein geschicktes Manoeuvre gewesen. Bezeichnend für die Stellung der Juden ist es, daß sie, nicht blos in Polen, sondern auch in Ungarn, Böhmen und Mähren, wohin sie großentheils in alter Zeit aus Deutschland eingewandert sind, doppelt gehaßt werden, erst als Juden und dann als Deutsche. Der Leser mag darüber lächeln; eines unserer großen Nationalblätter hat sogar, als ein magyarischer Deputirter einst auf dem Reichstag gegen die Emancipation der Juden aus demselben Grunde sprach, mit einer nasenrümpfenden Bemerkung sich „für die Ehre bedankt", an den un¬ garischen Juden Vertreter des deutschen Elements zu haben: es ist dennoch so, sie gelten dort für Deutsche, weil sie deutsch reden und deutsche Bildung besitzen; angemaßt haben sie sich die Ehre gewiß nicht, denn sie leiden darunter. Sie schwelgen nicht, sondern sie fa¬ sten an zwei Tafeln. Dort, wo es ein verstärkender Grund zum Haß ist, erkennt man ihr Deutschthum sehr bereitwillig an; bei uns da¬ gegen wird Nichts so hartnäckig bestricken als ihr Deutschthum, weil es ein Grund wäre, sie zu naturalisiren. Wir wollen uns hier nicht auf die Emancipationsfrage einlassen, die seit fünfzig Jahren gründlich genug durchgedroschen worden ist und die hoffentlich nach hundert Jah¬ ren weiterer Forschung endlich gelöst werden dürste, »wer zahllose Bei¬ spiele zeigen, daß die Juden in vielen Gegenden Deutschlands nicht nur nicht als Staatsbürger, sondern kaum als Menschen behandelt werden. Ein Blick auf Oesterreich, Baiern, Hannover, Meklenburg oder die Hansestädte wird Jedem beweisen, daß wir nicht übertreiben. Die Geschichte des Schulen Moses, welche so eben durch die deutschen Zeitungen läuft, gehört durchaus nicht zu den unerhörten Fällen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/525
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/525>, abgerufen am 05.02.2025.