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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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langen Sie Beweise? O, ich habe deren in Bereitschaft. I. B.,
Donnerstag den 25. September ließ der Herr Director Ranke im
Friedrich-Wilhelms-Gymnasium etliche seiner Primaner die Elektra in
griechischer Sprache aufführen. Nun bitte ich Sie, in griechischer
Sprache! Welch' eine Wiederherstellung des eigentlichen ganz alten
Alterthums! Welch' ein -- so zu sagen -- hochgealtertes Berlin!
Und Herr Dr. O. Lange, der jetzt in der Vossischen Zeitung eine
Verjüngung der freilich etwas alt gewordenen Theaterkritik der Vos¬
sischen besorgt, unterließ auch nicht, über diese Veraltung des jun¬
gen Berlin in Entzückung zu gerathen und "das lebendige Eingehen
in ein vollendetes Kunstwerk dadurch, daß man es selbst darstellt und
zu seinem Eigenthum macht", zu rühmen und zu preisen. "Und
noch mehr", ruft er aus. "Diese Uebungen können der Kunst selbst
förderlich sein." Und wie das? "Die Jugend bekommt Respekt vor
dem Theater und der darstellenden Kunst." Respekt vor dem Thea¬
ter! O Sodom und Gomorra! Und das am Sitze der -- evange¬
lischen Kirchenzeitung! der Kirchenzeitung, welche predigt: "Alle Theile
des Gymnasialunterrichts müssen in dem Religionsunterricht ihren
Vollendungspunkt finden." Da aber in Berlin alle Bestrebungen
und Richtungen, es sei denn, sie wären oder würden ausgeschlossen
oder ausgewiesen, einer holdseligen Vereinigung in organischer Har¬
monie zugeführt werden, so ließe es sich denken, daß auch die päda¬
gogischen Richtungen oder Bestrebungen der Herren "r. Lange, Direk¬
tor Ranke und I^r. Hengstenberg nebst Consorten organisch im Gym-
nastalunterricht zusammenwüchsen, und es würde dann, wie mir
scheint, nur die Frage sein können, ob das Komödiespielen zur Reli¬
gion der Berlinischen Jugend, oder die Religion ihr zum Komödien¬
spiel gemacht werden solle. Aber nicht nur wird auf besagte Weise
die junge Welt alt in Berlin; es ist ganz unglaublich, wie jung die
alte Welt wird. Was wollen Sie mehr? Sogar der Magistrat, nein,
Sie werden es für einen Puff halten, aber es ist doch wahr, der hoch¬
edle Magistrat, Bürgermeister und Rath der Stadt Berlin, ist jung,
jugendlich, poetisch, romantisch, schwärmerisch geworden. Es ist aber
gar nicht zu sagen, wie jung, wie kühn, wie -- wie -- nun, wenn
ein junger Schriftsteller, so etwa ein deutscher Heimathloser in Leipzig
dergleichen Sprünge machte, so würde ihn die "gute Presse" unfehl¬
bar "frech" und wer weiß wie sonst betiteln. Erstlich ist zu sagen, daß
die Stadtbehörden sich um die Aufklärung der Stadt und des Landes
mit einer Entschlossenheit, die in den Annalen Berlins roth ange¬
schrieben stehen wirb, verdient machen. Daß der Magistrat sich unter¬
thanigst erkühnt haben soll, Sr. Majestät den König darüber aufzu¬
klären, daß die aufgeklärte Mehrzahl im Lande nicht nur die Mehr¬
zahl, sondern auch aufgeklärt sei, haben Sie aus den Zeitungen erse¬
hen. Aber das ist noch gar nichts. Der Magistrat und die Stadt-


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langen Sie Beweise? O, ich habe deren in Bereitschaft. I. B.,
Donnerstag den 25. September ließ der Herr Director Ranke im
Friedrich-Wilhelms-Gymnasium etliche seiner Primaner die Elektra in
griechischer Sprache aufführen. Nun bitte ich Sie, in griechischer
Sprache! Welch' eine Wiederherstellung des eigentlichen ganz alten
Alterthums! Welch' ein — so zu sagen — hochgealtertes Berlin!
Und Herr Dr. O. Lange, der jetzt in der Vossischen Zeitung eine
Verjüngung der freilich etwas alt gewordenen Theaterkritik der Vos¬
sischen besorgt, unterließ auch nicht, über diese Veraltung des jun¬
gen Berlin in Entzückung zu gerathen und „das lebendige Eingehen
in ein vollendetes Kunstwerk dadurch, daß man es selbst darstellt und
zu seinem Eigenthum macht", zu rühmen und zu preisen. „Und
noch mehr", ruft er aus. „Diese Uebungen können der Kunst selbst
förderlich sein." Und wie das? „Die Jugend bekommt Respekt vor
dem Theater und der darstellenden Kunst." Respekt vor dem Thea¬
ter! O Sodom und Gomorra! Und das am Sitze der — evange¬
lischen Kirchenzeitung! der Kirchenzeitung, welche predigt: „Alle Theile
des Gymnasialunterrichts müssen in dem Religionsunterricht ihren
Vollendungspunkt finden." Da aber in Berlin alle Bestrebungen
und Richtungen, es sei denn, sie wären oder würden ausgeschlossen
oder ausgewiesen, einer holdseligen Vereinigung in organischer Har¬
monie zugeführt werden, so ließe es sich denken, daß auch die päda¬
gogischen Richtungen oder Bestrebungen der Herren »r. Lange, Direk¬
tor Ranke und I^r. Hengstenberg nebst Consorten organisch im Gym-
nastalunterricht zusammenwüchsen, und es würde dann, wie mir
scheint, nur die Frage sein können, ob das Komödiespielen zur Reli¬
gion der Berlinischen Jugend, oder die Religion ihr zum Komödien¬
spiel gemacht werden solle. Aber nicht nur wird auf besagte Weise
die junge Welt alt in Berlin; es ist ganz unglaublich, wie jung die
alte Welt wird. Was wollen Sie mehr? Sogar der Magistrat, nein,
Sie werden es für einen Puff halten, aber es ist doch wahr, der hoch¬
edle Magistrat, Bürgermeister und Rath der Stadt Berlin, ist jung,
jugendlich, poetisch, romantisch, schwärmerisch geworden. Es ist aber
gar nicht zu sagen, wie jung, wie kühn, wie — wie — nun, wenn
ein junger Schriftsteller, so etwa ein deutscher Heimathloser in Leipzig
dergleichen Sprünge machte, so würde ihn die „gute Presse" unfehl¬
bar „frech" und wer weiß wie sonst betiteln. Erstlich ist zu sagen, daß
die Stadtbehörden sich um die Aufklärung der Stadt und des Landes
mit einer Entschlossenheit, die in den Annalen Berlins roth ange¬
schrieben stehen wirb, verdient machen. Daß der Magistrat sich unter¬
thanigst erkühnt haben soll, Sr. Majestät den König darüber aufzu¬
klären, daß die aufgeklärte Mehrzahl im Lande nicht nur die Mehr¬
zahl, sondern auch aufgeklärt sei, haben Sie aus den Zeitungen erse¬
hen. Aber das ist noch gar nichts. Der Magistrat und die Stadt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/51>, abgerufen am 05.02.2025.