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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Alles bespricht man nur im Fluge, die Verhaftungen in Posen,
Hie bevorstehende Auflösung des Centralvercins für das Wohl der
arbeitenden Klassen, die Kammergcrichtsangelegenheiten, den Proceß
des Freihecrn von Loe -- um immer wieder aus die berliner him¬
melblau gefärbten Angelegenheiten zurückzukommen; die übrigen wer¬
den dann auch noch nicht selten mit in diesen Duft hineingezo¬
gen. Der erste Präsident des Kammergerichts Herr von Bülow
ist gestorben -- aha! die Rechcssphäre wird nun auch bald,
heißt es sogleich, einen gewissen bekannten Farbenton annehmen.
Oder es sei von Kunst die Rede! Oho! Man hat in Charlottenburg
ein "biblisches Stück" gespielt: Racine's Attalie, von Raupach
übersetzt, mit neuen Chören von Mendelssohn. Die christliche Kunst
fängt an die heidnische ;u verdrängen. -- Die Künstler von der bil¬
denden Kunst beschweren sich übrigens, daß der Musik zu viel könig¬
liche Gunst und Vorschub zu Theil werde. Sie sollen bei dem Cul-
tusminister eingekommen sein um -- "Hebung der Kunst." Unter
der gewünschten Kunst sollen sie gesagt haben, sei "nicht zu verstehen
eine Kunst in einzelnen zerstreuten Werken" sondern eine Kunst, die
-- bemerken Sie wohl! -- "aus dem innersten germanischen Wesen
fließend, in großartiger Weise organisch sich gestaltend, Werke von
monumentaler Bedeutung schaffe."

Eine unserer Malernotabilitäten ist den Weg alles Fleisches ge¬
gangen, Professor Wach. Professor Begas hat von den Mitgliedern
des Kammergerichts Auftrag erhalten ein Vildniß ihres vormaligen
Chefpräsidenten, des wackeren Grolmann zu malen, welches mit Er¬
laubniß des Königs im Saale des Kammergcrichts aufgehängt wer¬
den soll.

Inzwischen rührt sich doch auch unsere lichtsreundliche Partei;
ich fürchte nur, sie geht wieder einmal damit um, Windeier zu legen.
Es soll eine viertheilige Monatschrift gegründet werden, die aber nur eine,
also eigentlich eine Wochenschrift ist: ein vierfaltiges Unternehmen, das
aber im Grunde ein einfältiges ist. An einer Monatschrift ist k.me Con¬
cession erforderlich, zu einer Wochenschrift wohl: nun hört man über¬
all hier das öffentliche Geheimniß, daß diese gesetzliche Klippe in vier
Böten umschifft werden soll; jede Woche wird eines fahren und dann
erst in vier Wochen wieder, und jedes wird somit als Monatschrift
aufgetakelt fein; jedes unter anderem Steuermann, d. h. Redacteur,
und anderem Schiffspartner, will sagen: Verleger; das eine wird die
Flagge: Communalangelegenheiten führen, das andere: Politik, das
dritte: Nechtswesen, das vierte: Volksthum. So sagt die Fama.
Nun, erwarten wir denn, ob sie nicht alle vier zu guterletzt doch noch
ein besagter Klippe scheitern!'

Die Projeccenwuth ist auch nicht müßig. Fast gemahnts mich
an die "Wasserblasen" der großen Stockjobber-Zeit im vorigen Zahr-


Alles bespricht man nur im Fluge, die Verhaftungen in Posen,
Hie bevorstehende Auflösung des Centralvercins für das Wohl der
arbeitenden Klassen, die Kammergcrichtsangelegenheiten, den Proceß
des Freihecrn von Loe — um immer wieder aus die berliner him¬
melblau gefärbten Angelegenheiten zurückzukommen; die übrigen wer¬
den dann auch noch nicht selten mit in diesen Duft hineingezo¬
gen. Der erste Präsident des Kammergerichts Herr von Bülow
ist gestorben — aha! die Rechcssphäre wird nun auch bald,
heißt es sogleich, einen gewissen bekannten Farbenton annehmen.
Oder es sei von Kunst die Rede! Oho! Man hat in Charlottenburg
ein „biblisches Stück" gespielt: Racine's Attalie, von Raupach
übersetzt, mit neuen Chören von Mendelssohn. Die christliche Kunst
fängt an die heidnische ;u verdrängen. — Die Künstler von der bil¬
denden Kunst beschweren sich übrigens, daß der Musik zu viel könig¬
liche Gunst und Vorschub zu Theil werde. Sie sollen bei dem Cul-
tusminister eingekommen sein um — „Hebung der Kunst." Unter
der gewünschten Kunst sollen sie gesagt haben, sei „nicht zu verstehen
eine Kunst in einzelnen zerstreuten Werken" sondern eine Kunst, die
— bemerken Sie wohl! — „aus dem innersten germanischen Wesen
fließend, in großartiger Weise organisch sich gestaltend, Werke von
monumentaler Bedeutung schaffe."

Eine unserer Malernotabilitäten ist den Weg alles Fleisches ge¬
gangen, Professor Wach. Professor Begas hat von den Mitgliedern
des Kammergerichts Auftrag erhalten ein Vildniß ihres vormaligen
Chefpräsidenten, des wackeren Grolmann zu malen, welches mit Er¬
laubniß des Königs im Saale des Kammergcrichts aufgehängt wer¬
den soll.

Inzwischen rührt sich doch auch unsere lichtsreundliche Partei;
ich fürchte nur, sie geht wieder einmal damit um, Windeier zu legen.
Es soll eine viertheilige Monatschrift gegründet werden, die aber nur eine,
also eigentlich eine Wochenschrift ist: ein vierfaltiges Unternehmen, das
aber im Grunde ein einfältiges ist. An einer Monatschrift ist k.me Con¬
cession erforderlich, zu einer Wochenschrift wohl: nun hört man über¬
all hier das öffentliche Geheimniß, daß diese gesetzliche Klippe in vier
Böten umschifft werden soll; jede Woche wird eines fahren und dann
erst in vier Wochen wieder, und jedes wird somit als Monatschrift
aufgetakelt fein; jedes unter anderem Steuermann, d. h. Redacteur,
und anderem Schiffspartner, will sagen: Verleger; das eine wird die
Flagge: Communalangelegenheiten führen, das andere: Politik, das
dritte: Nechtswesen, das vierte: Volksthum. So sagt die Fama.
Nun, erwarten wir denn, ob sie nicht alle vier zu guterletzt doch noch
ein besagter Klippe scheitern!'

Die Projeccenwuth ist auch nicht müßig. Fast gemahnts mich
an die „Wasserblasen" der großen Stockjobber-Zeit im vorigen Zahr-


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[0474] Alles bespricht man nur im Fluge, die Verhaftungen in Posen, Hie bevorstehende Auflösung des Centralvercins für das Wohl der arbeitenden Klassen, die Kammergcrichtsangelegenheiten, den Proceß des Freihecrn von Loe — um immer wieder aus die berliner him¬ melblau gefärbten Angelegenheiten zurückzukommen; die übrigen wer¬ den dann auch noch nicht selten mit in diesen Duft hineingezo¬ gen. Der erste Präsident des Kammergerichts Herr von Bülow ist gestorben — aha! die Rechcssphäre wird nun auch bald, heißt es sogleich, einen gewissen bekannten Farbenton annehmen. Oder es sei von Kunst die Rede! Oho! Man hat in Charlottenburg ein „biblisches Stück" gespielt: Racine's Attalie, von Raupach übersetzt, mit neuen Chören von Mendelssohn. Die christliche Kunst fängt an die heidnische ;u verdrängen. — Die Künstler von der bil¬ denden Kunst beschweren sich übrigens, daß der Musik zu viel könig¬ liche Gunst und Vorschub zu Theil werde. Sie sollen bei dem Cul- tusminister eingekommen sein um — „Hebung der Kunst." Unter der gewünschten Kunst sollen sie gesagt haben, sei „nicht zu verstehen eine Kunst in einzelnen zerstreuten Werken" sondern eine Kunst, die — bemerken Sie wohl! — „aus dem innersten germanischen Wesen fließend, in großartiger Weise organisch sich gestaltend, Werke von monumentaler Bedeutung schaffe." Eine unserer Malernotabilitäten ist den Weg alles Fleisches ge¬ gangen, Professor Wach. Professor Begas hat von den Mitgliedern des Kammergerichts Auftrag erhalten ein Vildniß ihres vormaligen Chefpräsidenten, des wackeren Grolmann zu malen, welches mit Er¬ laubniß des Königs im Saale des Kammergcrichts aufgehängt wer¬ den soll. Inzwischen rührt sich doch auch unsere lichtsreundliche Partei; ich fürchte nur, sie geht wieder einmal damit um, Windeier zu legen. Es soll eine viertheilige Monatschrift gegründet werden, die aber nur eine, also eigentlich eine Wochenschrift ist: ein vierfaltiges Unternehmen, das aber im Grunde ein einfältiges ist. An einer Monatschrift ist k.me Con¬ cession erforderlich, zu einer Wochenschrift wohl: nun hört man über¬ all hier das öffentliche Geheimniß, daß diese gesetzliche Klippe in vier Böten umschifft werden soll; jede Woche wird eines fahren und dann erst in vier Wochen wieder, und jedes wird somit als Monatschrift aufgetakelt fein; jedes unter anderem Steuermann, d. h. Redacteur, und anderem Schiffspartner, will sagen: Verleger; das eine wird die Flagge: Communalangelegenheiten führen, das andere: Politik, das dritte: Nechtswesen, das vierte: Volksthum. So sagt die Fama. Nun, erwarten wir denn, ob sie nicht alle vier zu guterletzt doch noch ein besagter Klippe scheitern!' Die Projeccenwuth ist auch nicht müßig. Fast gemahnts mich an die „Wasserblasen" der großen Stockjobber-Zeit im vorigen Zahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/474>, abgerufen am 05.02.2025.