Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band. Erinnrungsbildem dunkle Schattenstellen. -- Daß von Bewunderung ihr ganz entflammt, Werft eure Blicke nach den Arbeitstätten, In Ural's Schachte, draus das Kunstwerk stammt. Seht, -- Künstlerhände schufen's, die in Ketten! Des Kaukasus, der Stepp' und Polens Söhne Begeistert Meister Zaar dort für das Schöne. Es hat der Wind, der Lüfte freier Sohn, Der ungehemmt in Gärten, Waldgehegen, Sich Laub und Blumen pflückt zu Kranz und Kron' Und kindisch dann verstreut auf seinen Wegen -- Es hat der Wind in noch nicht fernen Tagen Ein Zeitungsblatt nach dem Ural verschlagen, Und der Gefangenen Einer hat's gefunden Und liest's den Brüdern vor in Mußestunden: "Vernehmt ein Beispiel von des Zaaren Güte! Es lenkt ins Schloßportal am Newastrand Ein Reisewagen mit dem Sechsgespann: Heimführt der Zaarewitsch -- den Gott behüte -- Die Braut, ein Fürstenkind aus deutschem Land. Nun sie die Marmortreppe steigt hinan, Beschleicht ihr Herz Weh der Verlassenheit: Fremd. Alles hier, die Heimath weit, so weit! Erinnerung hat das deutsche Blut beflogen Der Lieben in der Heimath rückgelassen, Nun durchs Spalier sie goldbetreßter Massen, Feinschlitz'ger Augen, stumpfer Nasen zogen. Beugt alle Rücken krumm die Last der Tressen? Treuhcrz'ger Mienen denkt sie ihrer Hessen, Und Freund's, des Hündleins selbst: hier wär's zur Stunde, Der treuste, doch nicht hündischste der Hunde. Da naht der Zaar; er führt, galant wie immer, Die Schwiegertochter in ihr Wohngemach. Wie ward ihr da! Das ist dasselbe Zimmer, Das sie im Elternhaus verlassen kaum! Erinnrungsbildem dunkle Schattenstellen. — Daß von Bewunderung ihr ganz entflammt, Werft eure Blicke nach den Arbeitstätten, In Ural's Schachte, draus das Kunstwerk stammt. Seht, — Künstlerhände schufen's, die in Ketten! Des Kaukasus, der Stepp' und Polens Söhne Begeistert Meister Zaar dort für das Schöne. Es hat der Wind, der Lüfte freier Sohn, Der ungehemmt in Gärten, Waldgehegen, Sich Laub und Blumen pflückt zu Kranz und Kron' Und kindisch dann verstreut auf seinen Wegen — Es hat der Wind in noch nicht fernen Tagen Ein Zeitungsblatt nach dem Ural verschlagen, Und der Gefangenen Einer hat's gefunden Und liest's den Brüdern vor in Mußestunden: „Vernehmt ein Beispiel von des Zaaren Güte! Es lenkt ins Schloßportal am Newastrand Ein Reisewagen mit dem Sechsgespann: Heimführt der Zaarewitsch — den Gott behüte — Die Braut, ein Fürstenkind aus deutschem Land. Nun sie die Marmortreppe steigt hinan, Beschleicht ihr Herz Weh der Verlassenheit: Fremd. Alles hier, die Heimath weit, so weit! Erinnerung hat das deutsche Blut beflogen Der Lieben in der Heimath rückgelassen, Nun durchs Spalier sie goldbetreßter Massen, Feinschlitz'ger Augen, stumpfer Nasen zogen. Beugt alle Rücken krumm die Last der Tressen? Treuhcrz'ger Mienen denkt sie ihrer Hessen, Und Freund's, des Hündleins selbst: hier wär's zur Stunde, Der treuste, doch nicht hündischste der Hunde. Da naht der Zaar; er führt, galant wie immer, Die Schwiegertochter in ihr Wohngemach. Wie ward ihr da! Das ist dasselbe Zimmer, Das sie im Elternhaus verlassen kaum! <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0461" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271722"/> <lg xml:id="POEMID_13" prev="#POEMID_12" type="poem" next="#POEMID_14"> <l> Erinnrungsbildem dunkle Schattenstellen. —<lb/> Daß von Bewunderung ihr ganz entflammt,<lb/> Werft eure Blicke nach den Arbeitstätten,<lb/> In Ural's Schachte, draus das Kunstwerk stammt.<lb/> Seht, — Künstlerhände schufen's, die in Ketten!<lb/> Des Kaukasus, der Stepp' und Polens Söhne<lb/> Begeistert Meister Zaar dort für das Schöne.</l> </lg><lb/> <lg xml:id="POEMID_14" prev="#POEMID_13" type="poem" next="#POEMID_15"> <l> Es hat der Wind, der Lüfte freier Sohn,<lb/> Der ungehemmt in Gärten, Waldgehegen,<lb/> Sich Laub und Blumen pflückt zu Kranz und Kron'<lb/> Und kindisch dann verstreut auf seinen Wegen —<lb/> Es hat der Wind in noch nicht fernen Tagen<lb/> Ein Zeitungsblatt nach dem Ural verschlagen,<lb/> Und der Gefangenen Einer hat's gefunden<lb/> Und liest's den Brüdern vor in Mußestunden:</l> </lg><lb/> <lg xml:id="POEMID_15" prev="#POEMID_14" type="poem" next="#POEMID_16"> <l> „Vernehmt ein Beispiel von des Zaaren Güte!<lb/> Es lenkt ins Schloßportal am Newastrand<lb/> Ein Reisewagen mit dem Sechsgespann:<lb/> Heimführt der Zaarewitsch — den Gott behüte —<lb/> Die Braut, ein Fürstenkind aus deutschem Land.<lb/> Nun sie die Marmortreppe steigt hinan,<lb/> Beschleicht ihr Herz Weh der Verlassenheit:<lb/> Fremd. 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Erinnrungsbildem dunkle Schattenstellen. —
Daß von Bewunderung ihr ganz entflammt,
Werft eure Blicke nach den Arbeitstätten,
In Ural's Schachte, draus das Kunstwerk stammt.
Seht, — Künstlerhände schufen's, die in Ketten!
Des Kaukasus, der Stepp' und Polens Söhne
Begeistert Meister Zaar dort für das Schöne.
Es hat der Wind, der Lüfte freier Sohn,
Der ungehemmt in Gärten, Waldgehegen,
Sich Laub und Blumen pflückt zu Kranz und Kron'
Und kindisch dann verstreut auf seinen Wegen —
Es hat der Wind in noch nicht fernen Tagen
Ein Zeitungsblatt nach dem Ural verschlagen,
Und der Gefangenen Einer hat's gefunden
Und liest's den Brüdern vor in Mußestunden:
„Vernehmt ein Beispiel von des Zaaren Güte!
Es lenkt ins Schloßportal am Newastrand
Ein Reisewagen mit dem Sechsgespann:
Heimführt der Zaarewitsch — den Gott behüte —
Die Braut, ein Fürstenkind aus deutschem Land.
Nun sie die Marmortreppe steigt hinan,
Beschleicht ihr Herz Weh der Verlassenheit:
Fremd. Alles hier, die Heimath weit, so weit!
Erinnerung hat das deutsche Blut beflogen
Der Lieben in der Heimath rückgelassen,
Nun durchs Spalier sie goldbetreßter Massen,
Feinschlitz'ger Augen, stumpfer Nasen zogen.
Beugt alle Rücken krumm die Last der Tressen?
Treuhcrz'ger Mienen denkt sie ihrer Hessen,
Und Freund's, des Hündleins selbst: hier wär's zur Stunde,
Der treuste, doch nicht hündischste der Hunde.
Da naht der Zaar; er führt, galant wie immer,
Die Schwiegertochter in ihr Wohngemach.
Wie ward ihr da! Das ist dasselbe Zimmer,
Das sie im Elternhaus verlassen kaum!
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