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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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jene graciösen Traditionen, durch jene Eleganz der Sitte, des Ge¬
schmacks und des geistreichen Tones, den die alten Adelsgeschlechter
Frankreichs noch aus den Zeiten des vierzehnten Ludwig überkommen
und fortgepflanzt haben und dessen Unnachahmlichkeit selbst die demokra¬
tischsten Franzosen eingestehen. Die Wiener Adelswelt hat aber el--
nerseits aus den Zeiten Carls VI. sehr wenig zu lernen, noch gibt
sie sich Mühe, durch geistige Ueberlegenheit die aufstrebenden Bür-
gcrklasscn zu verdunkeln. Ihr Stolz geht bisweilen so weit, daß er
die Humanität verletzt und die einfachsten Gesetze der Schicklichkeit
bricht, die man doch von der in der Atmosphäre des Hofes lebenden
Welt am ersten zu fordern berechtigt ist. -- Ich war voriges Jahr
Zeuge einer solchen Scene. Bei einem Concerte, das die Elite der
Gesellschaft vereinigte, saß in der ersten Reihe ein verdienstvoller Ge¬
lehrter und höherer Staatsbeamter, der obendrein von gutem Adel
ist. Neben ihm saß seine Frau, eine ausgezeichnete, liebenswürdige
Dame aus einem der besten und reichsten bürgerlichen Häuser. Da
rauschte die vor Kurzem gestorbene Fürstin herein und
nahm den leeren Sitz neben letzterer ein. Da das Concert noch
nicht begonnen hatte, so lichtete die artige Frau einige freundliche
Worte an die Fürstin; diese aber maß ihre Nachbarin mit langem
Blicke und wendete nach einem lakonischer Ja den Rücken, worauf
jene empört den Concertsaal alsogleich in Begleitung ihres Gatten
verließ. Ich muß zur Steuer der Wahrheit sagen, daß die erwähnte
Fürstin keine Deutsche und der Schauplatz dieses Vorfalls in Ischl
war; aber beides verschärft nur die erlebte Scene. Wenn derlei
eine halbe Fremde sich erlauben kann, wenn derlei Dinge in einem
Badeorte vorfallen, wo doch die ohnehin kleine, zum Theil kränkliche
Gesellschaft auf ein gleichmäßigeres Zusammenleben verwiesen ist,
wie erst---

Die Gedankenstriche, die sich hier finden, bedeuten, daß wir an
der Grenze stehen, wo diese leichten Gesellschaftsskizzen an das ernst¬
hafte Gebiet der Politik stoßen. Was da anzuknüpfen wäre, gehört
in einen anderen Nahmen. Hier soll keineswegs dem Adel als In¬
stitut der Krieg gemacht werden. Dazu ist in Oesterreich jetzt weder
die Zeit, noch räth die höhere politische Klugheit dazu. An der
Schwelle einer Uebergangsepoche, zu einer Zeit, wo der Gesammt-
staat an eine Verjüngung und Erkräftigung denken muß, wo das


Gre"zbote", l"is. IV. 56

jene graciösen Traditionen, durch jene Eleganz der Sitte, des Ge¬
schmacks und des geistreichen Tones, den die alten Adelsgeschlechter
Frankreichs noch aus den Zeiten des vierzehnten Ludwig überkommen
und fortgepflanzt haben und dessen Unnachahmlichkeit selbst die demokra¬
tischsten Franzosen eingestehen. Die Wiener Adelswelt hat aber el--
nerseits aus den Zeiten Carls VI. sehr wenig zu lernen, noch gibt
sie sich Mühe, durch geistige Ueberlegenheit die aufstrebenden Bür-
gcrklasscn zu verdunkeln. Ihr Stolz geht bisweilen so weit, daß er
die Humanität verletzt und die einfachsten Gesetze der Schicklichkeit
bricht, die man doch von der in der Atmosphäre des Hofes lebenden
Welt am ersten zu fordern berechtigt ist. — Ich war voriges Jahr
Zeuge einer solchen Scene. Bei einem Concerte, das die Elite der
Gesellschaft vereinigte, saß in der ersten Reihe ein verdienstvoller Ge¬
lehrter und höherer Staatsbeamter, der obendrein von gutem Adel
ist. Neben ihm saß seine Frau, eine ausgezeichnete, liebenswürdige
Dame aus einem der besten und reichsten bürgerlichen Häuser. Da
rauschte die vor Kurzem gestorbene Fürstin herein und
nahm den leeren Sitz neben letzterer ein. Da das Concert noch
nicht begonnen hatte, so lichtete die artige Frau einige freundliche
Worte an die Fürstin; diese aber maß ihre Nachbarin mit langem
Blicke und wendete nach einem lakonischer Ja den Rücken, worauf
jene empört den Concertsaal alsogleich in Begleitung ihres Gatten
verließ. Ich muß zur Steuer der Wahrheit sagen, daß die erwähnte
Fürstin keine Deutsche und der Schauplatz dieses Vorfalls in Ischl
war; aber beides verschärft nur die erlebte Scene. Wenn derlei
eine halbe Fremde sich erlauben kann, wenn derlei Dinge in einem
Badeorte vorfallen, wo doch die ohnehin kleine, zum Theil kränkliche
Gesellschaft auf ein gleichmäßigeres Zusammenleben verwiesen ist,
wie erst---

Die Gedankenstriche, die sich hier finden, bedeuten, daß wir an
der Grenze stehen, wo diese leichten Gesellschaftsskizzen an das ernst¬
hafte Gebiet der Politik stoßen. Was da anzuknüpfen wäre, gehört
in einen anderen Nahmen. Hier soll keineswegs dem Adel als In¬
stitut der Krieg gemacht werden. Dazu ist in Oesterreich jetzt weder
die Zeit, noch räth die höhere politische Klugheit dazu. An der
Schwelle einer Uebergangsepoche, zu einer Zeit, wo der Gesammt-
staat an eine Verjüngung und Erkräftigung denken muß, wo das


Gre«zbote», l«is. IV. 56
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[0441] jene graciösen Traditionen, durch jene Eleganz der Sitte, des Ge¬ schmacks und des geistreichen Tones, den die alten Adelsgeschlechter Frankreichs noch aus den Zeiten des vierzehnten Ludwig überkommen und fortgepflanzt haben und dessen Unnachahmlichkeit selbst die demokra¬ tischsten Franzosen eingestehen. Die Wiener Adelswelt hat aber el-- nerseits aus den Zeiten Carls VI. sehr wenig zu lernen, noch gibt sie sich Mühe, durch geistige Ueberlegenheit die aufstrebenden Bür- gcrklasscn zu verdunkeln. Ihr Stolz geht bisweilen so weit, daß er die Humanität verletzt und die einfachsten Gesetze der Schicklichkeit bricht, die man doch von der in der Atmosphäre des Hofes lebenden Welt am ersten zu fordern berechtigt ist. — Ich war voriges Jahr Zeuge einer solchen Scene. Bei einem Concerte, das die Elite der Gesellschaft vereinigte, saß in der ersten Reihe ein verdienstvoller Ge¬ lehrter und höherer Staatsbeamter, der obendrein von gutem Adel ist. Neben ihm saß seine Frau, eine ausgezeichnete, liebenswürdige Dame aus einem der besten und reichsten bürgerlichen Häuser. Da rauschte die vor Kurzem gestorbene Fürstin herein und nahm den leeren Sitz neben letzterer ein. Da das Concert noch nicht begonnen hatte, so lichtete die artige Frau einige freundliche Worte an die Fürstin; diese aber maß ihre Nachbarin mit langem Blicke und wendete nach einem lakonischer Ja den Rücken, worauf jene empört den Concertsaal alsogleich in Begleitung ihres Gatten verließ. Ich muß zur Steuer der Wahrheit sagen, daß die erwähnte Fürstin keine Deutsche und der Schauplatz dieses Vorfalls in Ischl war; aber beides verschärft nur die erlebte Scene. Wenn derlei eine halbe Fremde sich erlauben kann, wenn derlei Dinge in einem Badeorte vorfallen, wo doch die ohnehin kleine, zum Theil kränkliche Gesellschaft auf ein gleichmäßigeres Zusammenleben verwiesen ist, wie erst--- Die Gedankenstriche, die sich hier finden, bedeuten, daß wir an der Grenze stehen, wo diese leichten Gesellschaftsskizzen an das ernst¬ hafte Gebiet der Politik stoßen. Was da anzuknüpfen wäre, gehört in einen anderen Nahmen. Hier soll keineswegs dem Adel als In¬ stitut der Krieg gemacht werden. Dazu ist in Oesterreich jetzt weder die Zeit, noch räth die höhere politische Klugheit dazu. An der Schwelle einer Uebergangsepoche, zu einer Zeit, wo der Gesammt- staat an eine Verjüngung und Erkräftigung denken muß, wo das Gre«zbote», l«is. IV. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/441>, abgerufen am 05.02.2025.