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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Spanien, Italien und Deutschland, theils aus aufrichtigem Fanatis¬
mus, theils aus politischem Ehrgeiz, verfolgt hat. Petersburg ist ste,
lenloscr und unfruchtbarer, als Rom, aber eben so seelengierig und
rücksichtslos consequent, und deshalb ist zu fürchten, daß es seinen
Willen durchsetzen wird in Polen, in Litthauen und in den Ostsee-
provinzen. Rom ließ die Protestanten mit Hunden in die Messe
Hetzen, Rußland laßt katholischen Nonnen Augen und Zahne ausreißen;
jenes stürzte die ketzerischen Pastoren in die Flammen des Scheiter¬
haufens, dieses schickt die katholischen Pfarrer in die kalte Hölle Si¬
biriens. Der Unterschied ist nicht groß. Merkwürdig aber ist die
indolente Zuschauerrolle Europas bei diesen Episoden des 19. Jahr¬
hunderts. Wer hat nicht die monströse Bekehrungsgeschichte jener
armen Nonnen gehört, die von russischen Popen zu Märtyrern ge¬
macht wurden? Sie geht ja durch alle europäischen Journale. Wenn
man auch einzelne Züge darin für hochrothe Uebertreibung halt, bleibt
noch genug schreiende Farbe übrig, und man sollte glauben, die ka¬
tholische Christenheit werde zum Kreuzzuge rufen gegen die Mosko¬
witer. Nun, wahrend der heilige Vater mit zerrissenem Herzen seine
Hirtenbriefe schreibt über die Noth der Kirche, amüsirt sich ihr Erb¬
feind, das Haupt der russisch-griechischen Kirche, eine Tagereise davon
am neapolitanischen Hofe; und wenn Seine griechische Majestät aus¬
fährt, springt die katholische Majestät beider Sicilien gefälligst auf
den Bock. (Siehe Augsb. Allg. Ztg. Eorresp. aus Palermo.) In
Rom betet man diesen Augenblick in den Kirchen: ^ l'ni'öl-v Wvu-
I-ti Il>>ol!t "l"5, clumiiu ! (s. Journal des Dvbats, 23. November),
aber doch ist schon beschlossen, falls der Czar die ewige Stadt mit
seinem Besuche erfreuen sollte, ihm zu Ehren wenigstens die Kuppel
von Se. Peter zu illuminiren. O wie mächtig ist doch der Rubel
auf Reisen, und wie viel schwerer wiegt Brennus' Schwert in der
Waagschale, als der bannstrahlende Krummstab!

-- Ein gewiegter Diplomat hat eine reizende Naivetät begangen.
Das Journal des Dvbats fordert nämlich in loyalster Weise den
Kaiser von Rußland auf, sich über die famose Nonnenmärtvrergeschichte
öffentlich zu erklaren; gewiß sei die gehässige Mähre zum Theil er¬
funden oder übertrieben, und es werde ja nur eines offenen officiellen
Wortes bedürfen, um die Welt zu beruhigen und die Bosheit der
schlechten Presse -- d. h. der ganzen europäischen Presse -- Lügen
zu strafen. Frankreich und England seien gewohnt, nicht nur über
ihre Handlungen, sondern sogar über ihre "i"tot>ti,i"8" Rechenschaft
abzulegen, aber auch streng monarchische Regierungen, wie die von
Oesterreich und Preußen, hatten das Tribunal der öffentlichen Mei¬
nung anerkannt und hielten es nicht unter ihrer Würde, sich vor
demselben, wo es nöthig, zu vertheidigen. Da nun aber Rußland
sich seit Peter dem Großen zu den europäischen Staaten zähle, el^"
u. s. w. -- Das Journal des Dvbats sagt dies Alles in einem Pa-


Spanien, Italien und Deutschland, theils aus aufrichtigem Fanatis¬
mus, theils aus politischem Ehrgeiz, verfolgt hat. Petersburg ist ste,
lenloscr und unfruchtbarer, als Rom, aber eben so seelengierig und
rücksichtslos consequent, und deshalb ist zu fürchten, daß es seinen
Willen durchsetzen wird in Polen, in Litthauen und in den Ostsee-
provinzen. Rom ließ die Protestanten mit Hunden in die Messe
Hetzen, Rußland laßt katholischen Nonnen Augen und Zahne ausreißen;
jenes stürzte die ketzerischen Pastoren in die Flammen des Scheiter¬
haufens, dieses schickt die katholischen Pfarrer in die kalte Hölle Si¬
biriens. Der Unterschied ist nicht groß. Merkwürdig aber ist die
indolente Zuschauerrolle Europas bei diesen Episoden des 19. Jahr¬
hunderts. Wer hat nicht die monströse Bekehrungsgeschichte jener
armen Nonnen gehört, die von russischen Popen zu Märtyrern ge¬
macht wurden? Sie geht ja durch alle europäischen Journale. Wenn
man auch einzelne Züge darin für hochrothe Uebertreibung halt, bleibt
noch genug schreiende Farbe übrig, und man sollte glauben, die ka¬
tholische Christenheit werde zum Kreuzzuge rufen gegen die Mosko¬
witer. Nun, wahrend der heilige Vater mit zerrissenem Herzen seine
Hirtenbriefe schreibt über die Noth der Kirche, amüsirt sich ihr Erb¬
feind, das Haupt der russisch-griechischen Kirche, eine Tagereise davon
am neapolitanischen Hofe; und wenn Seine griechische Majestät aus¬
fährt, springt die katholische Majestät beider Sicilien gefälligst auf
den Bock. (Siehe Augsb. Allg. Ztg. Eorresp. aus Palermo.) In
Rom betet man diesen Augenblick in den Kirchen: ^ l'ni'öl-v Wvu-
I-ti Il>>ol!t »l»5, clumiiu ! (s. Journal des Dvbats, 23. November),
aber doch ist schon beschlossen, falls der Czar die ewige Stadt mit
seinem Besuche erfreuen sollte, ihm zu Ehren wenigstens die Kuppel
von Se. Peter zu illuminiren. O wie mächtig ist doch der Rubel
auf Reisen, und wie viel schwerer wiegt Brennus' Schwert in der
Waagschale, als der bannstrahlende Krummstab!

— Ein gewiegter Diplomat hat eine reizende Naivetät begangen.
Das Journal des Dvbats fordert nämlich in loyalster Weise den
Kaiser von Rußland auf, sich über die famose Nonnenmärtvrergeschichte
öffentlich zu erklaren; gewiß sei die gehässige Mähre zum Theil er¬
funden oder übertrieben, und es werde ja nur eines offenen officiellen
Wortes bedürfen, um die Welt zu beruhigen und die Bosheit der
schlechten Presse — d. h. der ganzen europäischen Presse — Lügen
zu strafen. Frankreich und England seien gewohnt, nicht nur über
ihre Handlungen, sondern sogar über ihre „i»tot>ti,i»8" Rechenschaft
abzulegen, aber auch streng monarchische Regierungen, wie die von
Oesterreich und Preußen, hatten das Tribunal der öffentlichen Mei¬
nung anerkannt und hielten es nicht unter ihrer Würde, sich vor
demselben, wo es nöthig, zu vertheidigen. Da nun aber Rußland
sich seit Peter dem Großen zu den europäischen Staaten zähle, el^»
u. s. w. — Das Journal des Dvbats sagt dies Alles in einem Pa-


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[0431] Spanien, Italien und Deutschland, theils aus aufrichtigem Fanatis¬ mus, theils aus politischem Ehrgeiz, verfolgt hat. Petersburg ist ste, lenloscr und unfruchtbarer, als Rom, aber eben so seelengierig und rücksichtslos consequent, und deshalb ist zu fürchten, daß es seinen Willen durchsetzen wird in Polen, in Litthauen und in den Ostsee- provinzen. Rom ließ die Protestanten mit Hunden in die Messe Hetzen, Rußland laßt katholischen Nonnen Augen und Zahne ausreißen; jenes stürzte die ketzerischen Pastoren in die Flammen des Scheiter¬ haufens, dieses schickt die katholischen Pfarrer in die kalte Hölle Si¬ biriens. Der Unterschied ist nicht groß. Merkwürdig aber ist die indolente Zuschauerrolle Europas bei diesen Episoden des 19. Jahr¬ hunderts. Wer hat nicht die monströse Bekehrungsgeschichte jener armen Nonnen gehört, die von russischen Popen zu Märtyrern ge¬ macht wurden? Sie geht ja durch alle europäischen Journale. Wenn man auch einzelne Züge darin für hochrothe Uebertreibung halt, bleibt noch genug schreiende Farbe übrig, und man sollte glauben, die ka¬ tholische Christenheit werde zum Kreuzzuge rufen gegen die Mosko¬ witer. Nun, wahrend der heilige Vater mit zerrissenem Herzen seine Hirtenbriefe schreibt über die Noth der Kirche, amüsirt sich ihr Erb¬ feind, das Haupt der russisch-griechischen Kirche, eine Tagereise davon am neapolitanischen Hofe; und wenn Seine griechische Majestät aus¬ fährt, springt die katholische Majestät beider Sicilien gefälligst auf den Bock. (Siehe Augsb. Allg. Ztg. Eorresp. aus Palermo.) In Rom betet man diesen Augenblick in den Kirchen: ^ l'ni'öl-v Wvu- I-ti Il>>ol!t »l»5, clumiiu ! (s. Journal des Dvbats, 23. November), aber doch ist schon beschlossen, falls der Czar die ewige Stadt mit seinem Besuche erfreuen sollte, ihm zu Ehren wenigstens die Kuppel von Se. Peter zu illuminiren. O wie mächtig ist doch der Rubel auf Reisen, und wie viel schwerer wiegt Brennus' Schwert in der Waagschale, als der bannstrahlende Krummstab! — Ein gewiegter Diplomat hat eine reizende Naivetät begangen. Das Journal des Dvbats fordert nämlich in loyalster Weise den Kaiser von Rußland auf, sich über die famose Nonnenmärtvrergeschichte öffentlich zu erklaren; gewiß sei die gehässige Mähre zum Theil er¬ funden oder übertrieben, und es werde ja nur eines offenen officiellen Wortes bedürfen, um die Welt zu beruhigen und die Bosheit der schlechten Presse — d. h. der ganzen europäischen Presse — Lügen zu strafen. Frankreich und England seien gewohnt, nicht nur über ihre Handlungen, sondern sogar über ihre „i»tot>ti,i»8" Rechenschaft abzulegen, aber auch streng monarchische Regierungen, wie die von Oesterreich und Preußen, hatten das Tribunal der öffentlichen Mei¬ nung anerkannt und hielten es nicht unter ihrer Würde, sich vor demselben, wo es nöthig, zu vertheidigen. Da nun aber Rußland sich seit Peter dem Großen zu den europäischen Staaten zähle, el^» u. s. w. — Das Journal des Dvbats sagt dies Alles in einem Pa-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/431>, abgerufen am 05.02.2025.