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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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In Bonn fand ich viele Anstalten zum Feste und viel Leben.
Da Lißt noch nicht dort war, so hielt ich mich nicht länger ans, son¬
dern fuhr mit dem nächsten Tage nach Co'in. Der Freund war hier
und gerade mit der Probe der Cantate beschäftigt, wobei ich ihn
aufsuchte. Ich fand ihn sehr wohl und kräftig aussehend, in allem
Uebrigen wie immer. Lißt wird sich nie ändern; seine Seele ist aus
eigenem Metall vom Herrn droben geschmiedet, weder Zeit noch
Stürme werden sie zu wandeln vermögen. Was auch die Mißgunst
über ihn in die Welt hinausfahren, oder flüstert, es gibt kein sich
selbst, und dem einmal als groß und gut Erkannten treueres Ge¬
müth als das seine. Seine Behandlung meines, wenn auch nur
musikalische Motive darbietenden, doch wegen der Wendung der Ideen,
eben für den Componisten äußerst schwierigen TerteS hat mich ent¬
zückt, und mich mit meinen Versen, mit denen ich eigentlich gar nicht
zufrieden war, weil sie mir weit hinter der Aufgabe zurückgeblieben
schienen, wieder etwas ausgesöhnt. Im Grunde kann und soll frei¬
lich alle Dichtung zur Musik weiter Nichts sein als ein Gerüste, das
zu bekleiden und zu schmücken durchaus dem Componisten überlassen
bleiben muß; will die Poesie sich selbstständig geberden und mehr
sein als die zwar reich ausgestattete, aber bescheidene Dienerin der
Musik, so wird sie dieser im Wege stehn und das Resultat immer
etwas Zwitterhaftes werden. -- Einen tiefen Eindruck machte auf
mich besonders, daß Lißt mit dem feinen und begeisterten Gefühl der
Pietät, die Worte, welche den Genius charakterisiren sollen,


Er, den keine Nacht umfing,
Den nicht irrt des Alltags Spott;
Er, der demantfcste Ring
Der die Menschheit eint mit Gott;
Er dem Gott die Stirne krönet
Hat das Schicksal kühn versöhnet;
Er verleiht der Spanne
Abglanz hellster Ewigkeit.
Wie sein Werk er offenbare
Göttcrgleich ist, was er bot;
Nimmer beugt ihn Wucht der Jahre,
Er bezwingt, ein Held, den Tod --

dem prachtvollen Andante des großen Trio in Ixwr von Beethoven
untergelegt, und dieses ausgezeichnet schön instrumeutirt hatte.
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In Bonn fand ich viele Anstalten zum Feste und viel Leben.
Da Lißt noch nicht dort war, so hielt ich mich nicht länger ans, son¬
dern fuhr mit dem nächsten Tage nach Co'in. Der Freund war hier
und gerade mit der Probe der Cantate beschäftigt, wobei ich ihn
aufsuchte. Ich fand ihn sehr wohl und kräftig aussehend, in allem
Uebrigen wie immer. Lißt wird sich nie ändern; seine Seele ist aus
eigenem Metall vom Herrn droben geschmiedet, weder Zeit noch
Stürme werden sie zu wandeln vermögen. Was auch die Mißgunst
über ihn in die Welt hinausfahren, oder flüstert, es gibt kein sich
selbst, und dem einmal als groß und gut Erkannten treueres Ge¬
müth als das seine. Seine Behandlung meines, wenn auch nur
musikalische Motive darbietenden, doch wegen der Wendung der Ideen,
eben für den Componisten äußerst schwierigen TerteS hat mich ent¬
zückt, und mich mit meinen Versen, mit denen ich eigentlich gar nicht
zufrieden war, weil sie mir weit hinter der Aufgabe zurückgeblieben
schienen, wieder etwas ausgesöhnt. Im Grunde kann und soll frei¬
lich alle Dichtung zur Musik weiter Nichts sein als ein Gerüste, das
zu bekleiden und zu schmücken durchaus dem Componisten überlassen
bleiben muß; will die Poesie sich selbstständig geberden und mehr
sein als die zwar reich ausgestattete, aber bescheidene Dienerin der
Musik, so wird sie dieser im Wege stehn und das Resultat immer
etwas Zwitterhaftes werden. — Einen tiefen Eindruck machte auf
mich besonders, daß Lißt mit dem feinen und begeisterten Gefühl der
Pietät, die Worte, welche den Genius charakterisiren sollen,


Er, den keine Nacht umfing,
Den nicht irrt des Alltags Spott;
Er, der demantfcste Ring
Der die Menschheit eint mit Gott;
Er dem Gott die Stirne krönet
Hat das Schicksal kühn versöhnet;
Er verleiht der Spanne
Abglanz hellster Ewigkeit.
Wie sein Werk er offenbare
Göttcrgleich ist, was er bot;
Nimmer beugt ihn Wucht der Jahre,
Er bezwingt, ein Held, den Tod —

dem prachtvollen Andante des großen Trio in Ixwr von Beethoven
untergelegt, und dieses ausgezeichnet schön instrumeutirt hatte.
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[0043] In Bonn fand ich viele Anstalten zum Feste und viel Leben. Da Lißt noch nicht dort war, so hielt ich mich nicht länger ans, son¬ dern fuhr mit dem nächsten Tage nach Co'in. Der Freund war hier und gerade mit der Probe der Cantate beschäftigt, wobei ich ihn aufsuchte. Ich fand ihn sehr wohl und kräftig aussehend, in allem Uebrigen wie immer. Lißt wird sich nie ändern; seine Seele ist aus eigenem Metall vom Herrn droben geschmiedet, weder Zeit noch Stürme werden sie zu wandeln vermögen. Was auch die Mißgunst über ihn in die Welt hinausfahren, oder flüstert, es gibt kein sich selbst, und dem einmal als groß und gut Erkannten treueres Ge¬ müth als das seine. Seine Behandlung meines, wenn auch nur musikalische Motive darbietenden, doch wegen der Wendung der Ideen, eben für den Componisten äußerst schwierigen TerteS hat mich ent¬ zückt, und mich mit meinen Versen, mit denen ich eigentlich gar nicht zufrieden war, weil sie mir weit hinter der Aufgabe zurückgeblieben schienen, wieder etwas ausgesöhnt. Im Grunde kann und soll frei¬ lich alle Dichtung zur Musik weiter Nichts sein als ein Gerüste, das zu bekleiden und zu schmücken durchaus dem Componisten überlassen bleiben muß; will die Poesie sich selbstständig geberden und mehr sein als die zwar reich ausgestattete, aber bescheidene Dienerin der Musik, so wird sie dieser im Wege stehn und das Resultat immer etwas Zwitterhaftes werden. — Einen tiefen Eindruck machte auf mich besonders, daß Lißt mit dem feinen und begeisterten Gefühl der Pietät, die Worte, welche den Genius charakterisiren sollen, Er, den keine Nacht umfing, Den nicht irrt des Alltags Spott; Er, der demantfcste Ring Der die Menschheit eint mit Gott; Er dem Gott die Stirne krönet Hat das Schicksal kühn versöhnet; Er verleiht der Spanne Abglanz hellster Ewigkeit. Wie sein Werk er offenbare Göttcrgleich ist, was er bot; Nimmer beugt ihn Wucht der Jahre, Er bezwingt, ein Held, den Tod — dem prachtvollen Andante des großen Trio in Ixwr von Beethoven untergelegt, und dieses ausgezeichnet schön instrumeutirt hatte. ' 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/43>, abgerufen am 05.02.2025.