Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.können, wegen eines kecken Wortes in die Hausvoigtei zu wandern; -- Ein französischer Obrist Daumas hat über den algierschcn können, wegen eines kecken Wortes in die Hausvoigtei zu wandern; — Ein französischer Obrist Daumas hat über den algierschcn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0429" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271690"/> <p xml:id="ID_1195" prev="#ID_1194"> können, wegen eines kecken Wortes in die Hausvoigtei zu wandern;<lb/> oder daß eine süßflötendc erste Heldin in Gefahr sein soll, vierzehn<lb/> Tage brummen zu müssen. Ha! rufen die Theatcrenthusiasten, die<lb/> Nesidenzlöwen und die Ritter des Opernguckers; das beleidigt den<lb/> Künstlerstolz, es verletzt die Künstlerchre! Ganz recht; aber während<lb/> ihr es in der Ordnung findet, daß auf einen Dichter gefahndet, oder<lb/> daß ein philosophischer Schriftsteller in der ehrenvollen Gesellschaft<lb/> von ein paar Vagabunden nach der Festung geschubt werden kann<lb/> — und nicht um ein gemeines Verbrechen — seid ihr noch immer<lb/> gewöhnt, Schauspieler und Virtuosen als sacrosancte Personen zu be¬<lb/> trachten. Künstlerstolz! Als ob der Poet, der schöpferische Geist,<lb/> nicht mehr Künstler wäre, als der Mime, der seine Schöpfung blos<lb/> reproducirt! Und doch, wer sieht eine Verletzung der Künstlerehre<lb/> darin, wenn ein Poet sich erst von der Censur schulmeistern und dann<lb/> noch von der Polizeiwillkür wie ein Vogelfreier behandeln lassen muß?<lb/> Der Stolz des Dichters, des Philosophen, des Schriftstellers aus Ue¬<lb/> berzeugung soll ein dickeres Fell haben? Uebrigens repräsentiren die<lb/> heutigen Schauspieler nicht mehr den freien Künstlerstand, sondern<lb/> ihr Stolz ist es, eine solide, bürgerliche Aunst zu bilden; die Genia¬<lb/> lität der fahrenden Tragöden von einst ist auf die armen Literaten<lb/> übergegangen, und mancher Charakterspicler Pflegt sich dem Schrift¬<lb/> steller gegenüber in die Brust zu werfen, als förmlich angestellter,<lb/> avancements- und penstonsfähiger „Hofbeamter", — vixo. Es soll<lb/> uns recht freuen, wenn wir nächstens hören, daß die Berliner Haus¬<lb/> oder Stadtvoigtei mit Komikern, Liebhabern, und Primadonnen be¬<lb/> völkert wird; vielleicht kommt die joviale Gesellschaft dort einmal mit<lb/> einem verlassenen Literaten zusammen und tröstet ihn.</p><lb/> <p xml:id="ID_1196" next="#ID_1197"> — Ein französischer Obrist Daumas hat über den algierschcn<lb/> Theil der Sahara eine Schrift herausgegeben, die sich sehr angenehm<lb/> lesen läßt. Das „Ausland" sucht zwar zu beweisen, daß der Fran¬<lb/> zose kein glaubwürdiger Tourist sei; es weist ihm offenbare Wider¬<lb/> sprüche und UnWahrscheinlichkeiten nach: aber was liegt daran? Wir<lb/> brauchen keine Wahrheit über die Sahara, wir werden dort keine<lb/> deutschen Colonien gründen, wie auf der Mosquitoküste; wir freuen<lb/> uns vielmehr, daß trotz der prosaischen Forscher und Statistiker, die<lb/> heutzutage von allem Fernen und Nomanrischen den Schleier lüften<lb/> und die den Erdball mit Eisenbahnreisen umschnüren möchten, bis er<lb/> uns zu enge wird, — daß trotz dem Allen noch so unermeßlich viel<lb/> dei-rit iliLo^int-t übrig bleibt, noch so viel unnahbare heimliche Win¬<lb/> kel, wo die europamüde Phantasie sich neue Welten träumen kann.<lb/> Japan und China sind schon angebissen, und werden bald der soge¬<lb/> nannten objectiven Forschung verfallen, aber noch bleiben uns Gott¬<lb/> lob die Pole, die unentdeckten Inseln im Süden des stillen Oceans,<lb/> die waldigen Berge und Thäler auf dem Boden des Meeres und<lb/> die Sahara. Man hat diese Wüste immer für leer und unfruchtbar</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0429]
können, wegen eines kecken Wortes in die Hausvoigtei zu wandern;
oder daß eine süßflötendc erste Heldin in Gefahr sein soll, vierzehn
Tage brummen zu müssen. Ha! rufen die Theatcrenthusiasten, die
Nesidenzlöwen und die Ritter des Opernguckers; das beleidigt den
Künstlerstolz, es verletzt die Künstlerchre! Ganz recht; aber während
ihr es in der Ordnung findet, daß auf einen Dichter gefahndet, oder
daß ein philosophischer Schriftsteller in der ehrenvollen Gesellschaft
von ein paar Vagabunden nach der Festung geschubt werden kann
— und nicht um ein gemeines Verbrechen — seid ihr noch immer
gewöhnt, Schauspieler und Virtuosen als sacrosancte Personen zu be¬
trachten. Künstlerstolz! Als ob der Poet, der schöpferische Geist,
nicht mehr Künstler wäre, als der Mime, der seine Schöpfung blos
reproducirt! Und doch, wer sieht eine Verletzung der Künstlerehre
darin, wenn ein Poet sich erst von der Censur schulmeistern und dann
noch von der Polizeiwillkür wie ein Vogelfreier behandeln lassen muß?
Der Stolz des Dichters, des Philosophen, des Schriftstellers aus Ue¬
berzeugung soll ein dickeres Fell haben? Uebrigens repräsentiren die
heutigen Schauspieler nicht mehr den freien Künstlerstand, sondern
ihr Stolz ist es, eine solide, bürgerliche Aunst zu bilden; die Genia¬
lität der fahrenden Tragöden von einst ist auf die armen Literaten
übergegangen, und mancher Charakterspicler Pflegt sich dem Schrift¬
steller gegenüber in die Brust zu werfen, als förmlich angestellter,
avancements- und penstonsfähiger „Hofbeamter", — vixo. Es soll
uns recht freuen, wenn wir nächstens hören, daß die Berliner Haus¬
oder Stadtvoigtei mit Komikern, Liebhabern, und Primadonnen be¬
völkert wird; vielleicht kommt die joviale Gesellschaft dort einmal mit
einem verlassenen Literaten zusammen und tröstet ihn.
— Ein französischer Obrist Daumas hat über den algierschcn
Theil der Sahara eine Schrift herausgegeben, die sich sehr angenehm
lesen läßt. Das „Ausland" sucht zwar zu beweisen, daß der Fran¬
zose kein glaubwürdiger Tourist sei; es weist ihm offenbare Wider¬
sprüche und UnWahrscheinlichkeiten nach: aber was liegt daran? Wir
brauchen keine Wahrheit über die Sahara, wir werden dort keine
deutschen Colonien gründen, wie auf der Mosquitoküste; wir freuen
uns vielmehr, daß trotz der prosaischen Forscher und Statistiker, die
heutzutage von allem Fernen und Nomanrischen den Schleier lüften
und die den Erdball mit Eisenbahnreisen umschnüren möchten, bis er
uns zu enge wird, — daß trotz dem Allen noch so unermeßlich viel
dei-rit iliLo^int-t übrig bleibt, noch so viel unnahbare heimliche Win¬
kel, wo die europamüde Phantasie sich neue Welten träumen kann.
Japan und China sind schon angebissen, und werden bald der soge¬
nannten objectiven Forschung verfallen, aber noch bleiben uns Gott¬
lob die Pole, die unentdeckten Inseln im Süden des stillen Oceans,
die waldigen Berge und Thäler auf dem Boden des Meeres und
die Sahara. Man hat diese Wüste immer für leer und unfruchtbar
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