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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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heiliger Sonnenwärme verblaßte, noch blässer. Ich dachte an No¬
valis, den frommen, romantischen Bergmann, und an seine Verse:

Der ist der Herr der Erde,
Der ihre Tiefen mißt,
Und jegliche Beschwerde
In ihrem Schoß vergißt.
Er führt des Goldes Ströme
In seines Königs Haus,
Und schmückt die Diademe
Mit edlen Steinen aus.

Wie viel Ironie liegt in diesen romantischen, gewiß ernst gemeinten
Versen, wenn man die verkümmerten, frühgealterten Gesichter der
Bergknappen betrachtet!

Ich traf in den Gängen viele gute Bekannte aus den Dörfern,
mit denen ich erst Sonntags vorher in der Schenke aus die fröh¬
lichste Weise Brüderschaft getrunken hatte, und wollte sie als alte
Freunde mit einem Scherze ansprechen, daß wir uns hier wieder¬
finden; aber sie gingen mit ernsten Gesichtern an mir vorüber, in¬
dem sie mir nur ein feierliches "Glück auf!" zuriefen. Selbst einen
kleinen, leichtbeweglichen Steiger, der vor der Fahrt draußen allerlei
Possen trieb, sah ich hier mit feierlichen Schritten an mir vorüber¬
gehen. Die Bergleute sprechen im Schachte fast gar nicht mit ein¬
ander, und es schien mir sogar, daß es sie genirte, wenn ich mit
meinem Führer laut wurde. Ich glaube, eS ist ein Aberglaube, der
ihnen das Sprechen verbietet. Sie fürchten damit die günstigen
Berggeister zu vertreiben und dann nichts als taubes Erz zu finden.
Ein Aberglaube, der seine guten Früchte trägt, indem sie dadurch
desto fleißiger arbeiten. Die Bergleute überhaupt gehören hier wie
überall zu den abergläubischsten Volksklassen. Der Glaube an Berg¬
geister und an die Mittel sie zu beschwören, ist heute wie in den
ersten Zeiten des Bergbaues lebendig. Erzählte mir doch selbst mein
Führer, der ein sehr unterrichteter Steiger war, daß man erst vor
Kurzem den alten Berggeist habe arbeiten hören, und daß sich jetzt
eben der alte Bergrath Franz vernehmen lasse. Der Bergrath Franz
ist nämlich ein vor. ungefähr 15 Jahren verstorbener Bergbeamte,
der sich um das Bergwerk von Przibram große Verdienste erworben


Grenzboten. ISig. IV. 46

heiliger Sonnenwärme verblaßte, noch blässer. Ich dachte an No¬
valis, den frommen, romantischen Bergmann, und an seine Verse:

Der ist der Herr der Erde,
Der ihre Tiefen mißt,
Und jegliche Beschwerde
In ihrem Schoß vergißt.
Er führt des Goldes Ströme
In seines Königs Haus,
Und schmückt die Diademe
Mit edlen Steinen aus.

Wie viel Ironie liegt in diesen romantischen, gewiß ernst gemeinten
Versen, wenn man die verkümmerten, frühgealterten Gesichter der
Bergknappen betrachtet!

Ich traf in den Gängen viele gute Bekannte aus den Dörfern,
mit denen ich erst Sonntags vorher in der Schenke aus die fröh¬
lichste Weise Brüderschaft getrunken hatte, und wollte sie als alte
Freunde mit einem Scherze ansprechen, daß wir uns hier wieder¬
finden; aber sie gingen mit ernsten Gesichtern an mir vorüber, in¬
dem sie mir nur ein feierliches „Glück auf!" zuriefen. Selbst einen
kleinen, leichtbeweglichen Steiger, der vor der Fahrt draußen allerlei
Possen trieb, sah ich hier mit feierlichen Schritten an mir vorüber¬
gehen. Die Bergleute sprechen im Schachte fast gar nicht mit ein¬
ander, und es schien mir sogar, daß es sie genirte, wenn ich mit
meinem Führer laut wurde. Ich glaube, eS ist ein Aberglaube, der
ihnen das Sprechen verbietet. Sie fürchten damit die günstigen
Berggeister zu vertreiben und dann nichts als taubes Erz zu finden.
Ein Aberglaube, der seine guten Früchte trägt, indem sie dadurch
desto fleißiger arbeiten. Die Bergleute überhaupt gehören hier wie
überall zu den abergläubischsten Volksklassen. Der Glaube an Berg¬
geister und an die Mittel sie zu beschwören, ist heute wie in den
ersten Zeiten des Bergbaues lebendig. Erzählte mir doch selbst mein
Führer, der ein sehr unterrichteter Steiger war, daß man erst vor
Kurzem den alten Berggeist habe arbeiten hören, und daß sich jetzt
eben der alte Bergrath Franz vernehmen lasse. Der Bergrath Franz
ist nämlich ein vor. ungefähr 15 Jahren verstorbener Bergbeamte,
der sich um das Bergwerk von Przibram große Verdienste erworben


Grenzboten. ISig. IV. 46
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[0361] heiliger Sonnenwärme verblaßte, noch blässer. Ich dachte an No¬ valis, den frommen, romantischen Bergmann, und an seine Verse: Der ist der Herr der Erde, Der ihre Tiefen mißt, Und jegliche Beschwerde In ihrem Schoß vergißt. Er führt des Goldes Ströme In seines Königs Haus, Und schmückt die Diademe Mit edlen Steinen aus. Wie viel Ironie liegt in diesen romantischen, gewiß ernst gemeinten Versen, wenn man die verkümmerten, frühgealterten Gesichter der Bergknappen betrachtet! Ich traf in den Gängen viele gute Bekannte aus den Dörfern, mit denen ich erst Sonntags vorher in der Schenke aus die fröh¬ lichste Weise Brüderschaft getrunken hatte, und wollte sie als alte Freunde mit einem Scherze ansprechen, daß wir uns hier wieder¬ finden; aber sie gingen mit ernsten Gesichtern an mir vorüber, in¬ dem sie mir nur ein feierliches „Glück auf!" zuriefen. Selbst einen kleinen, leichtbeweglichen Steiger, der vor der Fahrt draußen allerlei Possen trieb, sah ich hier mit feierlichen Schritten an mir vorüber¬ gehen. Die Bergleute sprechen im Schachte fast gar nicht mit ein¬ ander, und es schien mir sogar, daß es sie genirte, wenn ich mit meinem Führer laut wurde. Ich glaube, eS ist ein Aberglaube, der ihnen das Sprechen verbietet. Sie fürchten damit die günstigen Berggeister zu vertreiben und dann nichts als taubes Erz zu finden. Ein Aberglaube, der seine guten Früchte trägt, indem sie dadurch desto fleißiger arbeiten. Die Bergleute überhaupt gehören hier wie überall zu den abergläubischsten Volksklassen. Der Glaube an Berg¬ geister und an die Mittel sie zu beschwören, ist heute wie in den ersten Zeiten des Bergbaues lebendig. Erzählte mir doch selbst mein Führer, der ein sehr unterrichteter Steiger war, daß man erst vor Kurzem den alten Berggeist habe arbeiten hören, und daß sich jetzt eben der alte Bergrath Franz vernehmen lasse. Der Bergrath Franz ist nämlich ein vor. ungefähr 15 Jahren verstorbener Bergbeamte, der sich um das Bergwerk von Przibram große Verdienste erworben Grenzboten. ISig. IV. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/361>, abgerufen am 05.02.2025.