Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Gefährten zu unterscheiden. Die Bergleute waren mit ihren Vor¬
bereitungen fertig. Da läutete ein Glöcklein, und auf dieses Zeichen
warfen sich alle vor ein Crucifix auf die Knie, bekreuzten sich und
beteten. Es war eine feierliche Stille. Wie sie leise an ihre Brust
schlugen, wendete ich mich an den mir zum Begleiter bestimmten
Steiger mit fragender Miene. Er raunte mir leise und ernst zu:
Sie bereiten sich zum Tode; denn wer von Allen, die hinunterstei-
gen, weiß, ob er jemals wieder zurückkommt? Und wie er es
sagte, wurde er selbst stille und ernst und begann leise mit zu beten.
Nach vollendetem Gebete erhoben sie sich und schritten mit ernsten
Mienen zur Stube hinaus. Ich folgte ihnen. Nicht die geringste
Angst, aber eine feierliche Todtenweihe hatte sich meiner bemächtigt.
Am Rande der Grube gab mir mein Steiger noch einige Lehre",
wie ich beim Steigen, oder, wie er es nannte, beim "Fahren", Arme
und Beine nach dem Tacte zu bewegen hätte, um weder von ihm,
noch einem Fahrenden auf die Hände getreten zu werden, noch
meine Vorfahrer selbst auf die Hände zu treten. Sie bekreuzten sich
noch einmal, nahmen mich in die Mitte und begannen die Fahrt.
Die angezündeten Grubenlichte in den Tiegeln steckten sie rückwärts
über das Schurzfell, so daß jeder dem vor ihm Fahrenden leuchtete.

Die Leitern, die in die Tiefe führen, stehen in grader, perpen-
dicularer Richtung; ihre Sprossen sind kothig und naß. Neben den
Leitern schwirrt das ungeheure Seil, das die Erze ununterbrochen
Tag und Nacht aus den tiefsten Tiefen in großen Kübeln ans Ta¬
geslicht fördert. Manchmal fällt ein Steinchen heraus und das
fällt und fällt, schlägt rechts und links an die Felsenwände und giebt
so sonderbaren Klang, immer leiser und leiser, bis es wie ein Ton
im Schlaf gehört, zu verschwinden scheint. Wehe dem Bergknappen,
der eben in den Tiefen steht und davon getroffen wird. Das kleine
Steinchen in seinem ungeheuren Falle aus der schwindelnden Höhe
bekommt eine furchtbare Gewalt. Das Seil wird durch eine
Rädermaschine getrieben, die wieder durch die angesammelten
Wasser der Grube in Bewegung gesetzt wird. Es ist durch eine
Bretterwand von den steigenden Bergknappen getrennt; eine Vor¬
richtung, die dadurch nöthig geworden sein soll, daß das Seil in
seiner schwirrenden Kraft früher manchen unvorsichtigen Bergmann
mit sich gerissen, und ihn in die ungeheure Tiefe gestürzt. Am


Gefährten zu unterscheiden. Die Bergleute waren mit ihren Vor¬
bereitungen fertig. Da läutete ein Glöcklein, und auf dieses Zeichen
warfen sich alle vor ein Crucifix auf die Knie, bekreuzten sich und
beteten. Es war eine feierliche Stille. Wie sie leise an ihre Brust
schlugen, wendete ich mich an den mir zum Begleiter bestimmten
Steiger mit fragender Miene. Er raunte mir leise und ernst zu:
Sie bereiten sich zum Tode; denn wer von Allen, die hinunterstei-
gen, weiß, ob er jemals wieder zurückkommt? Und wie er es
sagte, wurde er selbst stille und ernst und begann leise mit zu beten.
Nach vollendetem Gebete erhoben sie sich und schritten mit ernsten
Mienen zur Stube hinaus. Ich folgte ihnen. Nicht die geringste
Angst, aber eine feierliche Todtenweihe hatte sich meiner bemächtigt.
Am Rande der Grube gab mir mein Steiger noch einige Lehre»,
wie ich beim Steigen, oder, wie er es nannte, beim „Fahren", Arme
und Beine nach dem Tacte zu bewegen hätte, um weder von ihm,
noch einem Fahrenden auf die Hände getreten zu werden, noch
meine Vorfahrer selbst auf die Hände zu treten. Sie bekreuzten sich
noch einmal, nahmen mich in die Mitte und begannen die Fahrt.
Die angezündeten Grubenlichte in den Tiegeln steckten sie rückwärts
über das Schurzfell, so daß jeder dem vor ihm Fahrenden leuchtete.

Die Leitern, die in die Tiefe führen, stehen in grader, perpen-
dicularer Richtung; ihre Sprossen sind kothig und naß. Neben den
Leitern schwirrt das ungeheure Seil, das die Erze ununterbrochen
Tag und Nacht aus den tiefsten Tiefen in großen Kübeln ans Ta¬
geslicht fördert. Manchmal fällt ein Steinchen heraus und das
fällt und fällt, schlägt rechts und links an die Felsenwände und giebt
so sonderbaren Klang, immer leiser und leiser, bis es wie ein Ton
im Schlaf gehört, zu verschwinden scheint. Wehe dem Bergknappen,
der eben in den Tiefen steht und davon getroffen wird. Das kleine
Steinchen in seinem ungeheuren Falle aus der schwindelnden Höhe
bekommt eine furchtbare Gewalt. Das Seil wird durch eine
Rädermaschine getrieben, die wieder durch die angesammelten
Wasser der Grube in Bewegung gesetzt wird. Es ist durch eine
Bretterwand von den steigenden Bergknappen getrennt; eine Vor¬
richtung, die dadurch nöthig geworden sein soll, daß das Seil in
seiner schwirrenden Kraft früher manchen unvorsichtigen Bergmann
mit sich gerissen, und ihn in die ungeheure Tiefe gestürzt. Am


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0359" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271620"/>
          <p xml:id="ID_975" prev="#ID_974"> Gefährten zu unterscheiden. Die Bergleute waren mit ihren Vor¬<lb/>
bereitungen fertig. Da läutete ein Glöcklein, und auf dieses Zeichen<lb/>
warfen sich alle vor ein Crucifix auf die Knie, bekreuzten sich und<lb/>
beteten. Es war eine feierliche Stille. Wie sie leise an ihre Brust<lb/>
schlugen, wendete ich mich an den mir zum Begleiter bestimmten<lb/>
Steiger mit fragender Miene. Er raunte mir leise und ernst zu:<lb/>
Sie bereiten sich zum Tode; denn wer von Allen, die hinunterstei-<lb/>
gen, weiß, ob er jemals wieder zurückkommt? Und wie er es<lb/>
sagte, wurde er selbst stille und ernst und begann leise mit zu beten.<lb/>
Nach vollendetem Gebete erhoben sie sich und schritten mit ernsten<lb/>
Mienen zur Stube hinaus. Ich folgte ihnen. Nicht die geringste<lb/>
Angst, aber eine feierliche Todtenweihe hatte sich meiner bemächtigt.<lb/>
Am Rande der Grube gab mir mein Steiger noch einige Lehre»,<lb/>
wie ich beim Steigen, oder, wie er es nannte, beim &#x201E;Fahren", Arme<lb/>
und Beine nach dem Tacte zu bewegen hätte, um weder von ihm,<lb/>
noch einem Fahrenden auf die Hände getreten zu werden, noch<lb/>
meine Vorfahrer selbst auf die Hände zu treten. Sie bekreuzten sich<lb/>
noch einmal, nahmen mich in die Mitte und begannen die Fahrt.<lb/>
Die angezündeten Grubenlichte in den Tiegeln steckten sie rückwärts<lb/>
über das Schurzfell, so daß jeder dem vor ihm Fahrenden leuchtete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_976" next="#ID_977"> Die Leitern, die in die Tiefe führen, stehen in grader, perpen-<lb/>
dicularer Richtung; ihre Sprossen sind kothig und naß. Neben den<lb/>
Leitern schwirrt das ungeheure Seil, das die Erze ununterbrochen<lb/>
Tag und Nacht aus den tiefsten Tiefen in großen Kübeln ans Ta¬<lb/>
geslicht fördert. Manchmal fällt ein Steinchen heraus und das<lb/>
fällt und fällt, schlägt rechts und links an die Felsenwände und giebt<lb/>
so sonderbaren Klang, immer leiser und leiser, bis es wie ein Ton<lb/>
im Schlaf gehört, zu verschwinden scheint. Wehe dem Bergknappen,<lb/>
der eben in den Tiefen steht und davon getroffen wird. Das kleine<lb/>
Steinchen in seinem ungeheuren Falle aus der schwindelnden Höhe<lb/>
bekommt eine furchtbare Gewalt. Das Seil wird durch eine<lb/>
Rädermaschine getrieben, die wieder durch die angesammelten<lb/>
Wasser der Grube in Bewegung gesetzt wird. Es ist durch eine<lb/>
Bretterwand von den steigenden Bergknappen getrennt; eine Vor¬<lb/>
richtung, die dadurch nöthig geworden sein soll, daß das Seil in<lb/>
seiner schwirrenden Kraft früher manchen unvorsichtigen Bergmann<lb/>
mit sich gerissen, und ihn in die ungeheure Tiefe gestürzt. Am</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0359] Gefährten zu unterscheiden. Die Bergleute waren mit ihren Vor¬ bereitungen fertig. Da läutete ein Glöcklein, und auf dieses Zeichen warfen sich alle vor ein Crucifix auf die Knie, bekreuzten sich und beteten. Es war eine feierliche Stille. Wie sie leise an ihre Brust schlugen, wendete ich mich an den mir zum Begleiter bestimmten Steiger mit fragender Miene. Er raunte mir leise und ernst zu: Sie bereiten sich zum Tode; denn wer von Allen, die hinunterstei- gen, weiß, ob er jemals wieder zurückkommt? Und wie er es sagte, wurde er selbst stille und ernst und begann leise mit zu beten. Nach vollendetem Gebete erhoben sie sich und schritten mit ernsten Mienen zur Stube hinaus. Ich folgte ihnen. Nicht die geringste Angst, aber eine feierliche Todtenweihe hatte sich meiner bemächtigt. Am Rande der Grube gab mir mein Steiger noch einige Lehre», wie ich beim Steigen, oder, wie er es nannte, beim „Fahren", Arme und Beine nach dem Tacte zu bewegen hätte, um weder von ihm, noch einem Fahrenden auf die Hände getreten zu werden, noch meine Vorfahrer selbst auf die Hände zu treten. Sie bekreuzten sich noch einmal, nahmen mich in die Mitte und begannen die Fahrt. Die angezündeten Grubenlichte in den Tiegeln steckten sie rückwärts über das Schurzfell, so daß jeder dem vor ihm Fahrenden leuchtete. Die Leitern, die in die Tiefe führen, stehen in grader, perpen- dicularer Richtung; ihre Sprossen sind kothig und naß. Neben den Leitern schwirrt das ungeheure Seil, das die Erze ununterbrochen Tag und Nacht aus den tiefsten Tiefen in großen Kübeln ans Ta¬ geslicht fördert. Manchmal fällt ein Steinchen heraus und das fällt und fällt, schlägt rechts und links an die Felsenwände und giebt so sonderbaren Klang, immer leiser und leiser, bis es wie ein Ton im Schlaf gehört, zu verschwinden scheint. Wehe dem Bergknappen, der eben in den Tiefen steht und davon getroffen wird. Das kleine Steinchen in seinem ungeheuren Falle aus der schwindelnden Höhe bekommt eine furchtbare Gewalt. Das Seil wird durch eine Rädermaschine getrieben, die wieder durch die angesammelten Wasser der Grube in Bewegung gesetzt wird. Es ist durch eine Bretterwand von den steigenden Bergknappen getrennt; eine Vor¬ richtung, die dadurch nöthig geworden sein soll, daß das Seil in seiner schwirrenden Kraft früher manchen unvorsichtigen Bergmann mit sich gerissen, und ihn in die ungeheure Tiefe gestürzt. Am

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/359
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/359>, abgerufen am 10.02.2025.