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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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-- Man schreibt aus Wien: Jetzt erst, nach ungefähr zwei Jah¬
ren, ist die Untersuchung über 0i. Wiesner, der bekanntlich ohne
österreichische Censurerlaubniß in Leipzig zwei Bande Russisch-politische
Arithmetik (gegen Tengoborskv) publicirte, beendigt und das Resultat
ist --- eine Straft von fünf Ducaten! -- Dies scheint aller¬
dings sehr milde und ist es auch. Aber fragt man nicht mit Recht:
?oui^noi cluiic dient, >!v >)rat unir uno omvlotts? Zwei Jahre
Untersuchung, Protocolle, vollgeschriebene Papierbogen, Richter, Ac-
tuare und Inquirent in großem Zeitverlust, und wegen fünf Duca¬
ten! Freilich antwortet man: das Gesetz ist nun einmal da, und es
muß auf die Aufrechthaltung desselben gesehen werden, wir können
milde strafen, denn wir müssen strafen und vor Allem untersuchen.
Aber wenn ihr selbst das Gesetz für zu hart haltet, warum änderet
ihr es nicht im Princip? Warum erspart ihr euch nicht die trost¬
lose Mühe, das Aufsehen, die Gehässigkeit des Schrittes und vor
allem die Ungerechtigkeit, zu welcher die Consequenz -- trotz aller
beabsichtigten Milde -- treibt. Nehmen wir an, Wiesner hatte,
wie z. B. Schuselka zur Zeit des Erscheinens seines Buches im
Auslande gelebt, so hätte man ihn natürlich behufs der Untersuchung
nach Hause reclamiren müssen, man hatte ihn zwei Jahre in seinem
Berufe, in seinem Erwerbe stören müssen, um ihn am Ende -- zu
fünf Ducaten zu verurtheilen! Ist doch ein Aehnliches voriges Jahr
mit einem andern, wenn auch unbedeutenderen Literaten aus Brody
geschehen, den man aus Leipzig zurückberief, weil er im Verdachte
stand, eine Brochüre bei Reclam publizirt zu haben. Die Untersu¬
chung hatte keinen Erfolg, es wurde nichts bewiesen, aber der un¬
bemittelte Schriftsteller wurde aus seinem mäßigen durch Uebersetzun-
gen ihm gesicherten Nahrungszweig in Leipzig gedrängt und wurde
zu der kostspieliger. Reise in seine Heimath gezwungen um eine Ba¬
gatelle! Ihr h^t gut mild sein wollen, ihr könnt es nicht! Ihr
seid selbst von dem Geiste der Zeit unwillkührlich so bewältigt, daß
euer Strafen dem Buchstaben des Gesetzes nur zur Noth genügt und
doch fuhrt euch dies Gesetz eben so unwillkührlich zu schreienden Con-
sequenzen.

-- Die Eisenbahnen werden nicht blos den Kriegen und Schlach¬
ten der Zukunft, sondern auch den Liebesromanen und Novellen der
Zukunft eine andere Gestalt geben. Wie viel neue Motive, Hinder¬
nisse, Zufälle und Situationen lassen sich an die Locomotivenpfeife
und den Dampfkessel knüpfen, welche Sehnsüchts-, Wiedersehens- und
Enttauschungssccnen können in den Wartesälen und auf den Zwi¬
schenstationen spielen! Auch der persönliche Muth der Helden wird
sich anders äußern müssen, als sonst; den Dampfrossen können pol¬
ternde Bater und Oheime nicht in den Zügel fallen, aber entlaufener


Grenzboten, I8is. lo.

— Man schreibt aus Wien: Jetzt erst, nach ungefähr zwei Jah¬
ren, ist die Untersuchung über 0i. Wiesner, der bekanntlich ohne
österreichische Censurerlaubniß in Leipzig zwei Bande Russisch-politische
Arithmetik (gegen Tengoborskv) publicirte, beendigt und das Resultat
ist —- eine Straft von fünf Ducaten! — Dies scheint aller¬
dings sehr milde und ist es auch. Aber fragt man nicht mit Recht:
?oui^noi cluiic dient, >!v >)rat unir uno omvlotts? Zwei Jahre
Untersuchung, Protocolle, vollgeschriebene Papierbogen, Richter, Ac-
tuare und Inquirent in großem Zeitverlust, und wegen fünf Duca¬
ten! Freilich antwortet man: das Gesetz ist nun einmal da, und es
muß auf die Aufrechthaltung desselben gesehen werden, wir können
milde strafen, denn wir müssen strafen und vor Allem untersuchen.
Aber wenn ihr selbst das Gesetz für zu hart haltet, warum änderet
ihr es nicht im Princip? Warum erspart ihr euch nicht die trost¬
lose Mühe, das Aufsehen, die Gehässigkeit des Schrittes und vor
allem die Ungerechtigkeit, zu welcher die Consequenz — trotz aller
beabsichtigten Milde — treibt. Nehmen wir an, Wiesner hatte,
wie z. B. Schuselka zur Zeit des Erscheinens seines Buches im
Auslande gelebt, so hätte man ihn natürlich behufs der Untersuchung
nach Hause reclamiren müssen, man hatte ihn zwei Jahre in seinem
Berufe, in seinem Erwerbe stören müssen, um ihn am Ende — zu
fünf Ducaten zu verurtheilen! Ist doch ein Aehnliches voriges Jahr
mit einem andern, wenn auch unbedeutenderen Literaten aus Brody
geschehen, den man aus Leipzig zurückberief, weil er im Verdachte
stand, eine Brochüre bei Reclam publizirt zu haben. Die Untersu¬
chung hatte keinen Erfolg, es wurde nichts bewiesen, aber der un¬
bemittelte Schriftsteller wurde aus seinem mäßigen durch Uebersetzun-
gen ihm gesicherten Nahrungszweig in Leipzig gedrängt und wurde
zu der kostspieliger. Reise in seine Heimath gezwungen um eine Ba¬
gatelle! Ihr h^t gut mild sein wollen, ihr könnt es nicht! Ihr
seid selbst von dem Geiste der Zeit unwillkührlich so bewältigt, daß
euer Strafen dem Buchstaben des Gesetzes nur zur Noth genügt und
doch fuhrt euch dies Gesetz eben so unwillkührlich zu schreienden Con-
sequenzen.

— Die Eisenbahnen werden nicht blos den Kriegen und Schlach¬
ten der Zukunft, sondern auch den Liebesromanen und Novellen der
Zukunft eine andere Gestalt geben. Wie viel neue Motive, Hinder¬
nisse, Zufälle und Situationen lassen sich an die Locomotivenpfeife
und den Dampfkessel knüpfen, welche Sehnsüchts-, Wiedersehens- und
Enttauschungssccnen können in den Wartesälen und auf den Zwi¬
schenstationen spielen! Auch der persönliche Muth der Helden wird
sich anders äußern müssen, als sonst; den Dampfrossen können pol¬
ternde Bater und Oheime nicht in den Zügel fallen, aber entlaufener


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[0333] — Man schreibt aus Wien: Jetzt erst, nach ungefähr zwei Jah¬ ren, ist die Untersuchung über 0i. Wiesner, der bekanntlich ohne österreichische Censurerlaubniß in Leipzig zwei Bande Russisch-politische Arithmetik (gegen Tengoborskv) publicirte, beendigt und das Resultat ist —- eine Straft von fünf Ducaten! — Dies scheint aller¬ dings sehr milde und ist es auch. Aber fragt man nicht mit Recht: ?oui^noi cluiic dient, >!v >)rat unir uno omvlotts? Zwei Jahre Untersuchung, Protocolle, vollgeschriebene Papierbogen, Richter, Ac- tuare und Inquirent in großem Zeitverlust, und wegen fünf Duca¬ ten! Freilich antwortet man: das Gesetz ist nun einmal da, und es muß auf die Aufrechthaltung desselben gesehen werden, wir können milde strafen, denn wir müssen strafen und vor Allem untersuchen. Aber wenn ihr selbst das Gesetz für zu hart haltet, warum änderet ihr es nicht im Princip? Warum erspart ihr euch nicht die trost¬ lose Mühe, das Aufsehen, die Gehässigkeit des Schrittes und vor allem die Ungerechtigkeit, zu welcher die Consequenz — trotz aller beabsichtigten Milde — treibt. Nehmen wir an, Wiesner hatte, wie z. B. Schuselka zur Zeit des Erscheinens seines Buches im Auslande gelebt, so hätte man ihn natürlich behufs der Untersuchung nach Hause reclamiren müssen, man hatte ihn zwei Jahre in seinem Berufe, in seinem Erwerbe stören müssen, um ihn am Ende — zu fünf Ducaten zu verurtheilen! Ist doch ein Aehnliches voriges Jahr mit einem andern, wenn auch unbedeutenderen Literaten aus Brody geschehen, den man aus Leipzig zurückberief, weil er im Verdachte stand, eine Brochüre bei Reclam publizirt zu haben. Die Untersu¬ chung hatte keinen Erfolg, es wurde nichts bewiesen, aber der un¬ bemittelte Schriftsteller wurde aus seinem mäßigen durch Uebersetzun- gen ihm gesicherten Nahrungszweig in Leipzig gedrängt und wurde zu der kostspieliger. Reise in seine Heimath gezwungen um eine Ba¬ gatelle! Ihr h^t gut mild sein wollen, ihr könnt es nicht! Ihr seid selbst von dem Geiste der Zeit unwillkührlich so bewältigt, daß euer Strafen dem Buchstaben des Gesetzes nur zur Noth genügt und doch fuhrt euch dies Gesetz eben so unwillkührlich zu schreienden Con- sequenzen. — Die Eisenbahnen werden nicht blos den Kriegen und Schlach¬ ten der Zukunft, sondern auch den Liebesromanen und Novellen der Zukunft eine andere Gestalt geben. Wie viel neue Motive, Hinder¬ nisse, Zufälle und Situationen lassen sich an die Locomotivenpfeife und den Dampfkessel knüpfen, welche Sehnsüchts-, Wiedersehens- und Enttauschungssccnen können in den Wartesälen und auf den Zwi¬ schenstationen spielen! Auch der persönliche Muth der Helden wird sich anders äußern müssen, als sonst; den Dampfrossen können pol¬ ternde Bater und Oheime nicht in den Zügel fallen, aber entlaufener Grenzboten, I8is. lo.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/333>, abgerufen am 05.02.2025.