Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band. Stand es den ganzen Tag am Heerd, Hat's Nachts die schlechtste Slud' besessen. Bracht' eS zu Tisch die Speis' heran, Kaum daß man'S freundlich angeblicket; Nur manchmal hat ein armer Mann Verstohlen ihr die Hand gedrücket. Geschlecht ging an Geschlecht vorbei, Wie Bäume sprossen, blühn und sterben, Doch blieb die alte Hausmagd treu Ms Erbstück allen kunst'gen Erben. Da eines Morgens -- was geschah ? Da Alles um den Tisch gesessen, Und Jeder nach der Schüssel sah -- Da hatten Alle Nichts zu essen. Denn unser gutes Mütterlein, Die Frau Kartoffel lag darnieder; Sie fühlte eine arge Pein Durchrieseln ihre alten Glieder. Und ists ein Wunder, da die Kraft Ihr nahm die Arbeit ohne Rasten? Sie hat so lang daS Haus beschafft, Daß nicht die armen Menschen fasten. Fürwahr, ein Wunder ist eS nur, Daß ihr so lang die Güte hattet; Daß ihre kräftige Natur Nicht lange vorher schon ermattet. Da gingen denn die Gaste fort Vom Imbiß noch mit leerem Magen, Sie sprachen manch besorgtes Wort Und wollten Mittag" wieder fragen. Der Mittag kam sehr schnell heran, Der Tisch war leerer als am Morgen; Stand es den ganzen Tag am Heerd, Hat's Nachts die schlechtste Slud' besessen. Bracht' eS zu Tisch die Speis' heran, Kaum daß man'S freundlich angeblicket; Nur manchmal hat ein armer Mann Verstohlen ihr die Hand gedrücket. Geschlecht ging an Geschlecht vorbei, Wie Bäume sprossen, blühn und sterben, Doch blieb die alte Hausmagd treu Ms Erbstück allen kunst'gen Erben. Da eines Morgens — was geschah ? Da Alles um den Tisch gesessen, Und Jeder nach der Schüssel sah — Da hatten Alle Nichts zu essen. Denn unser gutes Mütterlein, Die Frau Kartoffel lag darnieder; Sie fühlte eine arge Pein Durchrieseln ihre alten Glieder. Und ists ein Wunder, da die Kraft Ihr nahm die Arbeit ohne Rasten? Sie hat so lang daS Haus beschafft, Daß nicht die armen Menschen fasten. Fürwahr, ein Wunder ist eS nur, Daß ihr so lang die Güte hattet; Daß ihre kräftige Natur Nicht lange vorher schon ermattet. Da gingen denn die Gaste fort Vom Imbiß noch mit leerem Magen, Sie sprachen manch besorgtes Wort Und wollten Mittag« wieder fragen. Der Mittag kam sehr schnell heran, Der Tisch war leerer als am Morgen; <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271572"/> <lg xml:id="POEMID_5" type="poem"> <l> Stand es den ganzen Tag am Heerd,<lb/> Hat's Nachts die schlechtste Slud' besessen.</l> <l> Bracht' eS zu Tisch die Speis' heran,<lb/> Kaum daß man'S freundlich angeblicket;<lb/> Nur manchmal hat ein armer Mann<lb/> Verstohlen ihr die Hand gedrücket.</l> <l> Geschlecht ging an Geschlecht vorbei,<lb/> Wie Bäume sprossen, blühn und sterben,<lb/> Doch blieb die alte Hausmagd treu<lb/> Ms Erbstück allen kunst'gen Erben.</l> <l> Da eines Morgens — was geschah ?<lb/> Da Alles um den Tisch gesessen,<lb/> Und Jeder nach der Schüssel sah —<lb/> Da hatten Alle Nichts zu essen.</l> <l> Denn unser gutes Mütterlein,<lb/> Die Frau Kartoffel lag darnieder;<lb/> Sie fühlte eine arge Pein<lb/> Durchrieseln ihre alten Glieder.</l> <l> Und ists ein Wunder, da die Kraft<lb/> Ihr nahm die Arbeit ohne Rasten?<lb/> Sie hat so lang daS Haus beschafft,<lb/> Daß nicht die armen Menschen fasten.</l> <l> Fürwahr, ein Wunder ist eS nur,<lb/> Daß ihr so lang die Güte hattet;<lb/> Daß ihre kräftige Natur<lb/> Nicht lange vorher schon ermattet.</l> <l> Da gingen denn die Gaste fort<lb/> Vom Imbiß noch mit leerem Magen,<lb/> Sie sprachen manch besorgtes Wort<lb/> Und wollten Mittag« wieder fragen.</l> <l> Der Mittag kam sehr schnell heran,<lb/> Der Tisch war leerer als am Morgen;</l> </lg><lb/> <fw type="sig" place="bottom"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0311]
Stand es den ganzen Tag am Heerd,
Hat's Nachts die schlechtste Slud' besessen. Bracht' eS zu Tisch die Speis' heran,
Kaum daß man'S freundlich angeblicket;
Nur manchmal hat ein armer Mann
Verstohlen ihr die Hand gedrücket. Geschlecht ging an Geschlecht vorbei,
Wie Bäume sprossen, blühn und sterben,
Doch blieb die alte Hausmagd treu
Ms Erbstück allen kunst'gen Erben. Da eines Morgens — was geschah ?
Da Alles um den Tisch gesessen,
Und Jeder nach der Schüssel sah —
Da hatten Alle Nichts zu essen. Denn unser gutes Mütterlein,
Die Frau Kartoffel lag darnieder;
Sie fühlte eine arge Pein
Durchrieseln ihre alten Glieder. Und ists ein Wunder, da die Kraft
Ihr nahm die Arbeit ohne Rasten?
Sie hat so lang daS Haus beschafft,
Daß nicht die armen Menschen fasten. Fürwahr, ein Wunder ist eS nur,
Daß ihr so lang die Güte hattet;
Daß ihre kräftige Natur
Nicht lange vorher schon ermattet. Da gingen denn die Gaste fort
Vom Imbiß noch mit leerem Magen,
Sie sprachen manch besorgtes Wort
Und wollten Mittag« wieder fragen. Der Mittag kam sehr schnell heran,
Der Tisch war leerer als am Morgen;
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