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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Er genoß seinen ersten Unterricht zu Chaumont, in einer Schule der
"Väter von der christlichen Lehre," eines Lehrordens, dessen Vorsteher
einer von seinen Onkeln war. Von Chaumont ging er nach Saint-
Omer in eine andere geistliche Lehranstalt über, wo er seine Erzie¬
hung vollendete und einige Zeit lang Unterricht in der Mathematik
gab. Seinen Neigungen, welche ihn zum Advokatenstande hinzogen,
folgend, verließ er Saint-Omer, ging nach Paris, um bei einem
Rechtsgelehrten praktische Studien zu machen, und ward von dem
Parlamente in dem Augenblicke zum Advokaten ernannt, in welchem
der letzte Streit zwischen dieser Körperschaft und dem Hofe ausbrach,
ein Streit, auf welchen bald die Zusammenberufung der General¬
stände und der Schwur im Ballhause als Anfangspunkte einer neuen
Aera folgten.

Der junge Avvokat sah mit Freuden die Wahrzeichen einer ge¬
sellschaftlichen Umbildung, welche den Gedanken und Menschen ein
weiteres Feld öffnen mußte. Er warf sich mit der ganzen Glut sei¬
nes Alters, welche aber durch ein tiefes Gefühl des Guten und
sittlich Schönen, geschöpft aus einer durchaus christlichen Erziehung,
gemäßigt wurde, der revolutionären Bewegung in die Arme.

Paris wurde in Sektionen eingetheilt und darnach organisirt.
Royer-Collard gehörte zur Section der Insel Saint-Louis, wo er
wohnte. In der Versammlung seiner Section nun verdiente sich der
Redner, welcher später die französische Tribüne zieren sollte, seine
ersten Sporen. Die Wasserträger und Holzhändler der Insel Saint-
Louis waren keine Cicero's, und so machte denn auch schon die erste
Rede des jungen Royer-Collard einen wunderbaren Eindruck. Die
Mitglieder der Section ernannten ihn einstimmig zum Präsidenten,
und in dieser Eigenschaft wurde er bald zum Mitgliede des Muni¬
cipalraths von Paris ernannt, welcher aus einem Vertreter jeder
Section gebildet wurde. Der Gemeinderath ernannte ihn zum zweiten
Secretär. Schon begannen schreckliche Gemetzel die Straßen von
Paris mit Blut zu überschwemmen, schon suchte die Flut der De¬
magogie das Königthum zu verschlingen. Royer-Collard sah die
Führer der Jacobinerparlei in der Nähe. Die Mehrzahl dieser Män¬
ner, welche sich damals umarmten und sich einst vernichten sollten,
die Mehrzahl jener Männer, welche nur seitdem in phantastische und
verhängnißvolle Titanen timgewandelt haben, blieb für Royer-Collard


Grciijbotcn, IV. Z

Er genoß seinen ersten Unterricht zu Chaumont, in einer Schule der
„Väter von der christlichen Lehre," eines Lehrordens, dessen Vorsteher
einer von seinen Onkeln war. Von Chaumont ging er nach Saint-
Omer in eine andere geistliche Lehranstalt über, wo er seine Erzie¬
hung vollendete und einige Zeit lang Unterricht in der Mathematik
gab. Seinen Neigungen, welche ihn zum Advokatenstande hinzogen,
folgend, verließ er Saint-Omer, ging nach Paris, um bei einem
Rechtsgelehrten praktische Studien zu machen, und ward von dem
Parlamente in dem Augenblicke zum Advokaten ernannt, in welchem
der letzte Streit zwischen dieser Körperschaft und dem Hofe ausbrach,
ein Streit, auf welchen bald die Zusammenberufung der General¬
stände und der Schwur im Ballhause als Anfangspunkte einer neuen
Aera folgten.

Der junge Avvokat sah mit Freuden die Wahrzeichen einer ge¬
sellschaftlichen Umbildung, welche den Gedanken und Menschen ein
weiteres Feld öffnen mußte. Er warf sich mit der ganzen Glut sei¬
nes Alters, welche aber durch ein tiefes Gefühl des Guten und
sittlich Schönen, geschöpft aus einer durchaus christlichen Erziehung,
gemäßigt wurde, der revolutionären Bewegung in die Arme.

Paris wurde in Sektionen eingetheilt und darnach organisirt.
Royer-Collard gehörte zur Section der Insel Saint-Louis, wo er
wohnte. In der Versammlung seiner Section nun verdiente sich der
Redner, welcher später die französische Tribüne zieren sollte, seine
ersten Sporen. Die Wasserträger und Holzhändler der Insel Saint-
Louis waren keine Cicero's, und so machte denn auch schon die erste
Rede des jungen Royer-Collard einen wunderbaren Eindruck. Die
Mitglieder der Section ernannten ihn einstimmig zum Präsidenten,
und in dieser Eigenschaft wurde er bald zum Mitgliede des Muni¬
cipalraths von Paris ernannt, welcher aus einem Vertreter jeder
Section gebildet wurde. Der Gemeinderath ernannte ihn zum zweiten
Secretär. Schon begannen schreckliche Gemetzel die Straßen von
Paris mit Blut zu überschwemmen, schon suchte die Flut der De¬
magogie das Königthum zu verschlingen. Royer-Collard sah die
Führer der Jacobinerparlei in der Nähe. Die Mehrzahl dieser Män¬
ner, welche sich damals umarmten und sich einst vernichten sollten,
die Mehrzahl jener Männer, welche nur seitdem in phantastische und
verhängnißvolle Titanen timgewandelt haben, blieb für Royer-Collard


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[0025] Er genoß seinen ersten Unterricht zu Chaumont, in einer Schule der „Väter von der christlichen Lehre," eines Lehrordens, dessen Vorsteher einer von seinen Onkeln war. Von Chaumont ging er nach Saint- Omer in eine andere geistliche Lehranstalt über, wo er seine Erzie¬ hung vollendete und einige Zeit lang Unterricht in der Mathematik gab. Seinen Neigungen, welche ihn zum Advokatenstande hinzogen, folgend, verließ er Saint-Omer, ging nach Paris, um bei einem Rechtsgelehrten praktische Studien zu machen, und ward von dem Parlamente in dem Augenblicke zum Advokaten ernannt, in welchem der letzte Streit zwischen dieser Körperschaft und dem Hofe ausbrach, ein Streit, auf welchen bald die Zusammenberufung der General¬ stände und der Schwur im Ballhause als Anfangspunkte einer neuen Aera folgten. Der junge Avvokat sah mit Freuden die Wahrzeichen einer ge¬ sellschaftlichen Umbildung, welche den Gedanken und Menschen ein weiteres Feld öffnen mußte. Er warf sich mit der ganzen Glut sei¬ nes Alters, welche aber durch ein tiefes Gefühl des Guten und sittlich Schönen, geschöpft aus einer durchaus christlichen Erziehung, gemäßigt wurde, der revolutionären Bewegung in die Arme. Paris wurde in Sektionen eingetheilt und darnach organisirt. Royer-Collard gehörte zur Section der Insel Saint-Louis, wo er wohnte. In der Versammlung seiner Section nun verdiente sich der Redner, welcher später die französische Tribüne zieren sollte, seine ersten Sporen. Die Wasserträger und Holzhändler der Insel Saint- Louis waren keine Cicero's, und so machte denn auch schon die erste Rede des jungen Royer-Collard einen wunderbaren Eindruck. Die Mitglieder der Section ernannten ihn einstimmig zum Präsidenten, und in dieser Eigenschaft wurde er bald zum Mitgliede des Muni¬ cipalraths von Paris ernannt, welcher aus einem Vertreter jeder Section gebildet wurde. Der Gemeinderath ernannte ihn zum zweiten Secretär. Schon begannen schreckliche Gemetzel die Straßen von Paris mit Blut zu überschwemmen, schon suchte die Flut der De¬ magogie das Königthum zu verschlingen. Royer-Collard sah die Führer der Jacobinerparlei in der Nähe. Die Mehrzahl dieser Män¬ ner, welche sich damals umarmten und sich einst vernichten sollten, die Mehrzahl jener Männer, welche nur seitdem in phantastische und verhängnißvolle Titanen timgewandelt haben, blieb für Royer-Collard Grciijbotcn, IV. Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/25>, abgerufen am 05.02.2025.