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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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einem beginnenden Feste so gerne ausspricht. Wenn dann am fol¬
genden Tage nach feierlichem Gottesdienste mit Posaunenschall die
Bürgergarde sich in langgestreckten Colonnen auf dem Noßmarkte
aufstellte und von den regierenden Bürgermeistern und dem General-
stave inspicirt wurde, dann im Paradeschritt vor dem an dem Ein¬
gange des Römers stehenden Senate vorbeidesilirte, so war man eben
nicht aufgelegt, hierin etwas anderes, als eine penible Pflichterfüllung
von der einen und ein Schauspiel auf der andern Seite zu sehen,
wobei es an Witzen und Spöttereien nicht fehlte. Auf gleiche Weise,
wie am vergangenen Tage ward dann das zwischen 4 und 5 Uhr
stattfindende Schlußschießen nur als Gelegenheit zu zahlreich besuchten
Spaziergange betrachtet, worauf Alles in die gewohnte Ordnung zu¬
rückkehrte.

In diesem Jahre war jedoch das Fest von einem andern Geiste,
oder vielmehr wirklich von einem Geiste beseelt, wodurch Alles einen
andern Anstrich erhielt.

Man sprach vielfach davon, daß der 18. October, als Constitu-
tionssest, Gelegenheit böte, dem Senate die Zufriedenheit mit seiner
Verwaltung, im Gegensatze zu gewissen Zeitungsartikeln, welche ihn
wegen seiner toleranten Behandlung der religiösen Bewegung ange¬
griffen harten, an den Tag zu legen. Die Sangervercine sollen um
Erlaubniß zu einem feierlichen Ständchen bei den regierenden Bür¬
germeistern eingekommen sein; wie man aber hört, hat die Behörde
davon abgerathen. Auch wäre den Bürgern damit nicht gedient ge¬
wesen. Diese wünschten etwas Eklatanteres.

Demgemäß versammelte man sich nach getroffener Uebereinkunft,
aber ohne daß ein Leiter sich gezeigt, ohne daß ein Ausschuß gebildet
worden wäre, Freitags den 17. kurz vor 8 Uhr auf dem Roßmarkte,
wo sich alle diejenigen, die sich entweder früher oder auch noch auf
dem Platze mit Fackeln hatten versehen können, zusammenschaarten,
letztere an einem Harzseuer entzündeten und, ein Musikcorps in der
Mitte, von einer unzählbaren Menschenmenge begleitet, in musterhaf¬
ter Ordnung hinzogen vor die Wohnung des älteren und dann vor
die des jüngeren Bürgermeisters.

Es ist fast unbegreiflich, wie der Zug bei der ungeheuren Volks¬
masse auf den Straßen sich Bahn zu brechen vermochte, ohne Bei¬
hülfe irgend eines gesetzlichen Schutzes, wahrend bei dem Göthefeste,
trotz Comitee und Polizei, der Sängerzug mit seinen Laternen zwischen
den zudrangenden Zuschauern in die größte Unordnung gerieth und
Einzelne in Gefahr waren, erdrückt zu werden. Aber damals bildete
das Volk Opposition und störte absichtlich, -- hier herrscht- Ein Geist,
und bereitwillig trug Jeder das Seine zur Aufrechthaltung der Ord¬
nung bei.

Als an des altern Bürgermeisters Hause das geachtete Haupt


Grenzboten, l"is. IV. Zy

einem beginnenden Feste so gerne ausspricht. Wenn dann am fol¬
genden Tage nach feierlichem Gottesdienste mit Posaunenschall die
Bürgergarde sich in langgestreckten Colonnen auf dem Noßmarkte
aufstellte und von den regierenden Bürgermeistern und dem General-
stave inspicirt wurde, dann im Paradeschritt vor dem an dem Ein¬
gange des Römers stehenden Senate vorbeidesilirte, so war man eben
nicht aufgelegt, hierin etwas anderes, als eine penible Pflichterfüllung
von der einen und ein Schauspiel auf der andern Seite zu sehen,
wobei es an Witzen und Spöttereien nicht fehlte. Auf gleiche Weise,
wie am vergangenen Tage ward dann das zwischen 4 und 5 Uhr
stattfindende Schlußschießen nur als Gelegenheit zu zahlreich besuchten
Spaziergange betrachtet, worauf Alles in die gewohnte Ordnung zu¬
rückkehrte.

In diesem Jahre war jedoch das Fest von einem andern Geiste,
oder vielmehr wirklich von einem Geiste beseelt, wodurch Alles einen
andern Anstrich erhielt.

Man sprach vielfach davon, daß der 18. October, als Constitu-
tionssest, Gelegenheit böte, dem Senate die Zufriedenheit mit seiner
Verwaltung, im Gegensatze zu gewissen Zeitungsartikeln, welche ihn
wegen seiner toleranten Behandlung der religiösen Bewegung ange¬
griffen harten, an den Tag zu legen. Die Sangervercine sollen um
Erlaubniß zu einem feierlichen Ständchen bei den regierenden Bür¬
germeistern eingekommen sein; wie man aber hört, hat die Behörde
davon abgerathen. Auch wäre den Bürgern damit nicht gedient ge¬
wesen. Diese wünschten etwas Eklatanteres.

Demgemäß versammelte man sich nach getroffener Uebereinkunft,
aber ohne daß ein Leiter sich gezeigt, ohne daß ein Ausschuß gebildet
worden wäre, Freitags den 17. kurz vor 8 Uhr auf dem Roßmarkte,
wo sich alle diejenigen, die sich entweder früher oder auch noch auf
dem Platze mit Fackeln hatten versehen können, zusammenschaarten,
letztere an einem Harzseuer entzündeten und, ein Musikcorps in der
Mitte, von einer unzählbaren Menschenmenge begleitet, in musterhaf¬
ter Ordnung hinzogen vor die Wohnung des älteren und dann vor
die des jüngeren Bürgermeisters.

Es ist fast unbegreiflich, wie der Zug bei der ungeheuren Volks¬
masse auf den Straßen sich Bahn zu brechen vermochte, ohne Bei¬
hülfe irgend eines gesetzlichen Schutzes, wahrend bei dem Göthefeste,
trotz Comitee und Polizei, der Sängerzug mit seinen Laternen zwischen
den zudrangenden Zuschauern in die größte Unordnung gerieth und
Einzelne in Gefahr waren, erdrückt zu werden. Aber damals bildete
das Volk Opposition und störte absichtlich, — hier herrscht- Ein Geist,
und bereitwillig trug Jeder das Seine zur Aufrechthaltung der Ord¬
nung bei.

Als an des altern Bürgermeisters Hause das geachtete Haupt


Grenzboten, l«is. IV. Zy
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[0241] einem beginnenden Feste so gerne ausspricht. Wenn dann am fol¬ genden Tage nach feierlichem Gottesdienste mit Posaunenschall die Bürgergarde sich in langgestreckten Colonnen auf dem Noßmarkte aufstellte und von den regierenden Bürgermeistern und dem General- stave inspicirt wurde, dann im Paradeschritt vor dem an dem Ein¬ gange des Römers stehenden Senate vorbeidesilirte, so war man eben nicht aufgelegt, hierin etwas anderes, als eine penible Pflichterfüllung von der einen und ein Schauspiel auf der andern Seite zu sehen, wobei es an Witzen und Spöttereien nicht fehlte. Auf gleiche Weise, wie am vergangenen Tage ward dann das zwischen 4 und 5 Uhr stattfindende Schlußschießen nur als Gelegenheit zu zahlreich besuchten Spaziergange betrachtet, worauf Alles in die gewohnte Ordnung zu¬ rückkehrte. In diesem Jahre war jedoch das Fest von einem andern Geiste, oder vielmehr wirklich von einem Geiste beseelt, wodurch Alles einen andern Anstrich erhielt. Man sprach vielfach davon, daß der 18. October, als Constitu- tionssest, Gelegenheit böte, dem Senate die Zufriedenheit mit seiner Verwaltung, im Gegensatze zu gewissen Zeitungsartikeln, welche ihn wegen seiner toleranten Behandlung der religiösen Bewegung ange¬ griffen harten, an den Tag zu legen. Die Sangervercine sollen um Erlaubniß zu einem feierlichen Ständchen bei den regierenden Bür¬ germeistern eingekommen sein; wie man aber hört, hat die Behörde davon abgerathen. Auch wäre den Bürgern damit nicht gedient ge¬ wesen. Diese wünschten etwas Eklatanteres. Demgemäß versammelte man sich nach getroffener Uebereinkunft, aber ohne daß ein Leiter sich gezeigt, ohne daß ein Ausschuß gebildet worden wäre, Freitags den 17. kurz vor 8 Uhr auf dem Roßmarkte, wo sich alle diejenigen, die sich entweder früher oder auch noch auf dem Platze mit Fackeln hatten versehen können, zusammenschaarten, letztere an einem Harzseuer entzündeten und, ein Musikcorps in der Mitte, von einer unzählbaren Menschenmenge begleitet, in musterhaf¬ ter Ordnung hinzogen vor die Wohnung des älteren und dann vor die des jüngeren Bürgermeisters. Es ist fast unbegreiflich, wie der Zug bei der ungeheuren Volks¬ masse auf den Straßen sich Bahn zu brechen vermochte, ohne Bei¬ hülfe irgend eines gesetzlichen Schutzes, wahrend bei dem Göthefeste, trotz Comitee und Polizei, der Sängerzug mit seinen Laternen zwischen den zudrangenden Zuschauern in die größte Unordnung gerieth und Einzelne in Gefahr waren, erdrückt zu werden. Aber damals bildete das Volk Opposition und störte absichtlich, — hier herrscht- Ein Geist, und bereitwillig trug Jeder das Seine zur Aufrechthaltung der Ord¬ nung bei. Als an des altern Bürgermeisters Hause das geachtete Haupt Grenzboten, l«is. IV. Zy

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/241>, abgerufen am 05.02.2025.