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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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und ihm mit den Kindern nachkommen möge. Therese wurde von
ihren Einrichtungen fast zwei Monate zurückgehalten, da der Verkauf
ihrer Möbel, die Vermiethung der Wohnung, und Aehnliches ihr
viel Sorge machten. Als sie bei ihrem Gatten eintraf, war der
Herbst eben angebrochen. Hier wurden die Anordnungen schneller
besorgt, und die wiedervereinigten Gatten begannen bald ihre Tren¬
nung in der freudigen Zuversicht auf eine ruhige Zukunft zu ver¬
schmerzen. Aber das Unglück, wenn es einmal ein Opfer erkoren,
läßt sich so leicht nicht von der Spur bringen.

In Pauls Vaterstadt befand sich unter den Gemeindevorständen
ein Mann, mit dem Paul zusammen die Universität besucht hatte.
Die beiden Gespielen waren einander früh entfremdet worden. Paul
hatte sich von Anfang an mit ausschließlichem Ernst seinen Studien
zugewendet, während der lebhafte Konrad den Freudenbecher deS un¬
gebundenen Studentenlebens bis auf die Hefe genoß. Sie sahen
sich dazumal schon selten. Ein tieferes Mißverhältniß entstand aber,
als Paul in Folge eines Zusammentreffens mit einem andern Stu¬
denten sich weigerte, "loszugehen". Konrad hielt ihn von da an
für einen Feigling und Heimtückcr, und wenn sich die frühern Ju¬
gendgespielen auf der Straße begegneten, gingen sie stumm an ein¬
ander vorüber. Später verloren sie sich aus den Augen. Paul
siedelte nach K., während Konrad in Staatsdienste trat. Er hatte
in der Residenz einen mächtigen Verwandten, dessen Protektion ihn
eine schnelle Carriere machen ließ. Gegenwärtig bekleidete er das
oberste Gemeindeamt in seiner Vaterstadt, und galt hier seiner per¬
sönlichen Stellung, wie seines weitern Einflusses wegen, für den an¬
gesehensten Mann. Als Paul jetzt zurückkehrte, war der alte Groll
zwar im Laufe der Zeit ziemlich verdampft, aber eine leise Mißach¬
tung war doch in Konrad's Herzen gegen den "Heimtücker" geblie¬
ben. Da Paul keinen Schritt that, um sich dem ehemaligen Kame¬
raden zu nähern, vielmehr als er Konrads Stimmung erkannte, sich
in kalte, fremde Gleichgültigkeit zurückzog, so stieg in Konrad bald
auch eine gewisse Eifersucht auf sein bürgerliches Ansehen auf, und
er wünschte im Stillen eine Gelegenheit herbei, den zweideutigen
Kaltsinn Pauls durch einen Beweis seiner Macht zu beugen. Diese
Gelegenheit wurde ihm, Dank einigen kleinen Beamtenseelen, ganz
unerwartet gegeben.'


und ihm mit den Kindern nachkommen möge. Therese wurde von
ihren Einrichtungen fast zwei Monate zurückgehalten, da der Verkauf
ihrer Möbel, die Vermiethung der Wohnung, und Aehnliches ihr
viel Sorge machten. Als sie bei ihrem Gatten eintraf, war der
Herbst eben angebrochen. Hier wurden die Anordnungen schneller
besorgt, und die wiedervereinigten Gatten begannen bald ihre Tren¬
nung in der freudigen Zuversicht auf eine ruhige Zukunft zu ver¬
schmerzen. Aber das Unglück, wenn es einmal ein Opfer erkoren,
läßt sich so leicht nicht von der Spur bringen.

In Pauls Vaterstadt befand sich unter den Gemeindevorständen
ein Mann, mit dem Paul zusammen die Universität besucht hatte.
Die beiden Gespielen waren einander früh entfremdet worden. Paul
hatte sich von Anfang an mit ausschließlichem Ernst seinen Studien
zugewendet, während der lebhafte Konrad den Freudenbecher deS un¬
gebundenen Studentenlebens bis auf die Hefe genoß. Sie sahen
sich dazumal schon selten. Ein tieferes Mißverhältniß entstand aber,
als Paul in Folge eines Zusammentreffens mit einem andern Stu¬
denten sich weigerte, „loszugehen". Konrad hielt ihn von da an
für einen Feigling und Heimtückcr, und wenn sich die frühern Ju¬
gendgespielen auf der Straße begegneten, gingen sie stumm an ein¬
ander vorüber. Später verloren sie sich aus den Augen. Paul
siedelte nach K., während Konrad in Staatsdienste trat. Er hatte
in der Residenz einen mächtigen Verwandten, dessen Protektion ihn
eine schnelle Carriere machen ließ. Gegenwärtig bekleidete er das
oberste Gemeindeamt in seiner Vaterstadt, und galt hier seiner per¬
sönlichen Stellung, wie seines weitern Einflusses wegen, für den an¬
gesehensten Mann. Als Paul jetzt zurückkehrte, war der alte Groll
zwar im Laufe der Zeit ziemlich verdampft, aber eine leise Mißach¬
tung war doch in Konrad's Herzen gegen den „Heimtücker" geblie¬
ben. Da Paul keinen Schritt that, um sich dem ehemaligen Kame¬
raden zu nähern, vielmehr als er Konrads Stimmung erkannte, sich
in kalte, fremde Gleichgültigkeit zurückzog, so stieg in Konrad bald
auch eine gewisse Eifersucht auf sein bürgerliches Ansehen auf, und
er wünschte im Stillen eine Gelegenheit herbei, den zweideutigen
Kaltsinn Pauls durch einen Beweis seiner Macht zu beugen. Diese
Gelegenheit wurde ihm, Dank einigen kleinen Beamtenseelen, ganz
unerwartet gegeben.'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/222>, abgerufen am 05.02.2025.