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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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das übrige weibliche Personal schweigen wir; wir wollen nicht ohne
Noth ungalant sein. Schlimm genug, daß wir in einem spätern
Artikel über die Oper diesem Schicksal nicht werden entgehen können.


I. Kuranda.
IV.
Das Jgnoriren in der Journalistik.

Es hat sich innerhalb der deutschen Journalistik eine Praris aus¬
gebildet, die ich in flüchtigen Zügen schildern und wider die ich hiemit
öffentlich protestiren will, weil sie in eben so hohem Grade feig, als
gewissenlos und verderblich ist, die Praxis des Jgnorirens.
Seit acht bis zehn Jahren ist ein Gebrauch gang' und gäbe geworden,
der vorzugsweise von den größeren und besseren Organen unserer Ta¬
gespresse geübt und welcher das faule Ruhebette geworden ist, auf
welchem die literarische Vornehmthuerei, die Liebe zur Bequemlichkeit,
der Mangel an muthigem Eifer sich trag und behaglich wiegt, um
darüber die heiligsten Pflichten zu versäumen. Die Journalistik, die
sich früher und mit Recht für verbunden hielt, die Gemeinheit und
Verworfenheit von Sachen und von Personen öffentlichen Interesses
unmittelbar anzugreifen und rücksichtslos zu verfolgen, begnügt sich
heute häufiger als je damit, die Erbärmlichkeiten eines niedrigen Stre-
bens unbeachtet zu lassen. Einmal und eingestandner Weise aus
Klugheit. "Warum durch Polemik zu einer Wichtigkeit erheben,"
heißt es, "was nach der Einsicht aller Besseren bedeutungslos, weil
ohne Geist und sittlichen Hintergrund ist?" Zum andern, und nicht
so deutlich eingestandener Weise, geschieht jenes Unbemerkt - bei Scite-
Licgenlassen aus Hang zur Ruhe, aus Scheu vor dem Skandale,
aus eitlem Dünkel, als ob das schon von selbst wieder aus dem Reiche
des Bestehenden verschwinden müsse, was von geachteten und weitere
Kreise umfassenden Blättern für die Dauer übersehen und gar nicht
der Erwähnung gewürdigt werde.

Jene Klugheit aber ist arge Thorheit und diese selbstgefällige Ver¬
blendung hat bereits die schmerzlichsten Folgen gehabt. Nur eine sehr
ungeschickte Polemik kann an sich kleine und nichtswürdige Persönlich¬
keiten und Dinge beträchtlicher erscheinen lassen als sie sind, anstatt sie
einfach aus dem Wege zu räumen. Wo dennoch große Spuren der
Anstrengung übrig bleiben, sind auch tiefere Wurzeln des Uebels vor¬
handen und die Ausrottung ist desto nothwendiger gewesen. Was
aber die Hoffnung anlangt, daß sich das geistig Unbefugte und sittlich
Verkrüppelte schon von selbst richten und ungenährt verschmachten
werde, wenn man sich nur getreu bleibe im Jgnoriren, so ist dies
falsch, grundfalsch. Als ob das Unkraut, so ihm nicht Sonnenschein
und Regen entzogen würden, nicht gerade so lustig aufwüchse, wie


das übrige weibliche Personal schweigen wir; wir wollen nicht ohne
Noth ungalant sein. Schlimm genug, daß wir in einem spätern
Artikel über die Oper diesem Schicksal nicht werden entgehen können.


I. Kuranda.
IV.
Das Jgnoriren in der Journalistik.

Es hat sich innerhalb der deutschen Journalistik eine Praris aus¬
gebildet, die ich in flüchtigen Zügen schildern und wider die ich hiemit
öffentlich protestiren will, weil sie in eben so hohem Grade feig, als
gewissenlos und verderblich ist, die Praxis des Jgnorirens.
Seit acht bis zehn Jahren ist ein Gebrauch gang' und gäbe geworden,
der vorzugsweise von den größeren und besseren Organen unserer Ta¬
gespresse geübt und welcher das faule Ruhebette geworden ist, auf
welchem die literarische Vornehmthuerei, die Liebe zur Bequemlichkeit,
der Mangel an muthigem Eifer sich trag und behaglich wiegt, um
darüber die heiligsten Pflichten zu versäumen. Die Journalistik, die
sich früher und mit Recht für verbunden hielt, die Gemeinheit und
Verworfenheit von Sachen und von Personen öffentlichen Interesses
unmittelbar anzugreifen und rücksichtslos zu verfolgen, begnügt sich
heute häufiger als je damit, die Erbärmlichkeiten eines niedrigen Stre-
bens unbeachtet zu lassen. Einmal und eingestandner Weise aus
Klugheit. „Warum durch Polemik zu einer Wichtigkeit erheben,"
heißt es, „was nach der Einsicht aller Besseren bedeutungslos, weil
ohne Geist und sittlichen Hintergrund ist?" Zum andern, und nicht
so deutlich eingestandener Weise, geschieht jenes Unbemerkt - bei Scite-
Licgenlassen aus Hang zur Ruhe, aus Scheu vor dem Skandale,
aus eitlem Dünkel, als ob das schon von selbst wieder aus dem Reiche
des Bestehenden verschwinden müsse, was von geachteten und weitere
Kreise umfassenden Blättern für die Dauer übersehen und gar nicht
der Erwähnung gewürdigt werde.

Jene Klugheit aber ist arge Thorheit und diese selbstgefällige Ver¬
blendung hat bereits die schmerzlichsten Folgen gehabt. Nur eine sehr
ungeschickte Polemik kann an sich kleine und nichtswürdige Persönlich¬
keiten und Dinge beträchtlicher erscheinen lassen als sie sind, anstatt sie
einfach aus dem Wege zu räumen. Wo dennoch große Spuren der
Anstrengung übrig bleiben, sind auch tiefere Wurzeln des Uebels vor¬
handen und die Ausrottung ist desto nothwendiger gewesen. Was
aber die Hoffnung anlangt, daß sich das geistig Unbefugte und sittlich
Verkrüppelte schon von selbst richten und ungenährt verschmachten
werde, wenn man sich nur getreu bleibe im Jgnoriren, so ist dies
falsch, grundfalsch. Als ob das Unkraut, so ihm nicht Sonnenschein
und Regen entzogen würden, nicht gerade so lustig aufwüchse, wie


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[0102] das übrige weibliche Personal schweigen wir; wir wollen nicht ohne Noth ungalant sein. Schlimm genug, daß wir in einem spätern Artikel über die Oper diesem Schicksal nicht werden entgehen können. I. Kuranda. IV. Das Jgnoriren in der Journalistik. Es hat sich innerhalb der deutschen Journalistik eine Praris aus¬ gebildet, die ich in flüchtigen Zügen schildern und wider die ich hiemit öffentlich protestiren will, weil sie in eben so hohem Grade feig, als gewissenlos und verderblich ist, die Praxis des Jgnorirens. Seit acht bis zehn Jahren ist ein Gebrauch gang' und gäbe geworden, der vorzugsweise von den größeren und besseren Organen unserer Ta¬ gespresse geübt und welcher das faule Ruhebette geworden ist, auf welchem die literarische Vornehmthuerei, die Liebe zur Bequemlichkeit, der Mangel an muthigem Eifer sich trag und behaglich wiegt, um darüber die heiligsten Pflichten zu versäumen. Die Journalistik, die sich früher und mit Recht für verbunden hielt, die Gemeinheit und Verworfenheit von Sachen und von Personen öffentlichen Interesses unmittelbar anzugreifen und rücksichtslos zu verfolgen, begnügt sich heute häufiger als je damit, die Erbärmlichkeiten eines niedrigen Stre- bens unbeachtet zu lassen. Einmal und eingestandner Weise aus Klugheit. „Warum durch Polemik zu einer Wichtigkeit erheben," heißt es, „was nach der Einsicht aller Besseren bedeutungslos, weil ohne Geist und sittlichen Hintergrund ist?" Zum andern, und nicht so deutlich eingestandener Weise, geschieht jenes Unbemerkt - bei Scite- Licgenlassen aus Hang zur Ruhe, aus Scheu vor dem Skandale, aus eitlem Dünkel, als ob das schon von selbst wieder aus dem Reiche des Bestehenden verschwinden müsse, was von geachteten und weitere Kreise umfassenden Blättern für die Dauer übersehen und gar nicht der Erwähnung gewürdigt werde. Jene Klugheit aber ist arge Thorheit und diese selbstgefällige Ver¬ blendung hat bereits die schmerzlichsten Folgen gehabt. Nur eine sehr ungeschickte Polemik kann an sich kleine und nichtswürdige Persönlich¬ keiten und Dinge beträchtlicher erscheinen lassen als sie sind, anstatt sie einfach aus dem Wege zu räumen. Wo dennoch große Spuren der Anstrengung übrig bleiben, sind auch tiefere Wurzeln des Uebels vor¬ handen und die Ausrottung ist desto nothwendiger gewesen. Was aber die Hoffnung anlangt, daß sich das geistig Unbefugte und sittlich Verkrüppelte schon von selbst richten und ungenährt verschmachten werde, wenn man sich nur getreu bleibe im Jgnoriren, so ist dies falsch, grundfalsch. Als ob das Unkraut, so ihm nicht Sonnenschein und Regen entzogen würden, nicht gerade so lustig aufwüchse, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/102>, abgerufen am 05.02.2025.