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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Recht dazu, denn Viel bleibt uns "och nachzuholen, aber diese Ma¬
nier, mit unendlichen Worten auch das Geringfügigste auszudreschen,
zeigt am Besten, wie große Neulinge wir noch in dieser ganzen Ma¬
terie sind. Freilich gestatten unsere Zustände uns oft nicht mehr als
daS Wort, und noch öfter auch dies nicht einmal, aber warum uns
denn über das, was zu besprechen übrig bleibt, außer Athem reden?
Und nun die Folgen eines solchen Treibens! Selbst das Beste, das
Schönste muß seinen Glanz Verlieren, wenn man sieht, wie seicht,
wie langweilig, wie abgeschmackt man darüber herfährt. Wie
wird es nun gar mit dem dürren Zweige! Was hat das unglück¬
liche Deutschland nicht Alles vom Mäßigkeitsvereine erdulden müssen,
der, wir wollen es zu seiner Ehre glauben, aus rein philanthropi¬
schen Bestrebungen entsprungen ist, obgleich das Muckerthum zu dem¬
selben eine auffallende Neigung manifestirt! Und nun gar der Köl¬
ner Dombau! Nein, es ist unmöglich, daß bei einer andern Nation
als der deutschen dasjenige hat geschrieben und gelesen werden kön¬
nen, womit wir namentlich vor zwei Jahren über diesen Gegenstand
heimgesucht wurden. Wahrlich, Nichts spricht so sehr zu Gunsten
des Zollvereins, als daß er ohne empfindlichen moralischen Nachtheil
das hat ertragen können, was über ihn geschrieben und gefaselt
wurde. Gewiß ist es ein höchst eigenthümliches Zeichen für unsere
Bildungsweise und noch mehr für unsere Bedürfnisse, daß
ein von Natur so wenig idealer Gegenstand, wie ein Zollverein,
nicht blos begeisterte Schwärmer, sondern selbst glühende Fanatiker her¬
vorrufen konnte. Es liegt hierin der Beweis, daß der Idee des
Zollvereins noch eine zweite, ganz andere substituirt wird, die eben
jenen Fanatismus hervorrief. Das ist auch lügenhaft.

Es ergibt sich leicht aus dem bisher Gesagten, wie groß, wie
umfassend das Feld der Lügen unserer Zeit sei, mit welchen Schwie-
rigkeiten der zu kämpfen habe, der es unternimmt, sie zu schildern.
Dies ist um so mehr der Fall, da sie sich in einander verwickeln, ja
verändern. Oft liegt mehreren Lügen dieselbe Idee zu Grunde, oft
verschiedene Ideen einer Lüge. Und doch ist es unmöglich, die
Verhältnisse klar aufzufassen, wenn man sie nicht einzeln untersucht,
weil sonst in der Untersuchung dieselbe Verwirrung herrschen würde,
wie in der Sache selbst. Man könnte nun dabei allerdings von


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Recht dazu, denn Viel bleibt uns »och nachzuholen, aber diese Ma¬
nier, mit unendlichen Worten auch das Geringfügigste auszudreschen,
zeigt am Besten, wie große Neulinge wir noch in dieser ganzen Ma¬
terie sind. Freilich gestatten unsere Zustände uns oft nicht mehr als
daS Wort, und noch öfter auch dies nicht einmal, aber warum uns
denn über das, was zu besprechen übrig bleibt, außer Athem reden?
Und nun die Folgen eines solchen Treibens! Selbst das Beste, das
Schönste muß seinen Glanz Verlieren, wenn man sieht, wie seicht,
wie langweilig, wie abgeschmackt man darüber herfährt. Wie
wird es nun gar mit dem dürren Zweige! Was hat das unglück¬
liche Deutschland nicht Alles vom Mäßigkeitsvereine erdulden müssen,
der, wir wollen es zu seiner Ehre glauben, aus rein philanthropi¬
schen Bestrebungen entsprungen ist, obgleich das Muckerthum zu dem¬
selben eine auffallende Neigung manifestirt! Und nun gar der Köl¬
ner Dombau! Nein, es ist unmöglich, daß bei einer andern Nation
als der deutschen dasjenige hat geschrieben und gelesen werden kön¬
nen, womit wir namentlich vor zwei Jahren über diesen Gegenstand
heimgesucht wurden. Wahrlich, Nichts spricht so sehr zu Gunsten
des Zollvereins, als daß er ohne empfindlichen moralischen Nachtheil
das hat ertragen können, was über ihn geschrieben und gefaselt
wurde. Gewiß ist es ein höchst eigenthümliches Zeichen für unsere
Bildungsweise und noch mehr für unsere Bedürfnisse, daß
ein von Natur so wenig idealer Gegenstand, wie ein Zollverein,
nicht blos begeisterte Schwärmer, sondern selbst glühende Fanatiker her¬
vorrufen konnte. Es liegt hierin der Beweis, daß der Idee des
Zollvereins noch eine zweite, ganz andere substituirt wird, die eben
jenen Fanatismus hervorrief. Das ist auch lügenhaft.

Es ergibt sich leicht aus dem bisher Gesagten, wie groß, wie
umfassend das Feld der Lügen unserer Zeit sei, mit welchen Schwie-
rigkeiten der zu kämpfen habe, der es unternimmt, sie zu schildern.
Dies ist um so mehr der Fall, da sie sich in einander verwickeln, ja
verändern. Oft liegt mehreren Lügen dieselbe Idee zu Grunde, oft
verschiedene Ideen einer Lüge. Und doch ist es unmöglich, die
Verhältnisse klar aufzufassen, wenn man sie nicht einzeln untersucht,
weil sonst in der Untersuchung dieselbe Verwirrung herrschen würde,
wie in der Sache selbst. Man könnte nun dabei allerdings von


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[0609] Recht dazu, denn Viel bleibt uns »och nachzuholen, aber diese Ma¬ nier, mit unendlichen Worten auch das Geringfügigste auszudreschen, zeigt am Besten, wie große Neulinge wir noch in dieser ganzen Ma¬ terie sind. Freilich gestatten unsere Zustände uns oft nicht mehr als daS Wort, und noch öfter auch dies nicht einmal, aber warum uns denn über das, was zu besprechen übrig bleibt, außer Athem reden? Und nun die Folgen eines solchen Treibens! Selbst das Beste, das Schönste muß seinen Glanz Verlieren, wenn man sieht, wie seicht, wie langweilig, wie abgeschmackt man darüber herfährt. Wie wird es nun gar mit dem dürren Zweige! Was hat das unglück¬ liche Deutschland nicht Alles vom Mäßigkeitsvereine erdulden müssen, der, wir wollen es zu seiner Ehre glauben, aus rein philanthropi¬ schen Bestrebungen entsprungen ist, obgleich das Muckerthum zu dem¬ selben eine auffallende Neigung manifestirt! Und nun gar der Köl¬ ner Dombau! Nein, es ist unmöglich, daß bei einer andern Nation als der deutschen dasjenige hat geschrieben und gelesen werden kön¬ nen, womit wir namentlich vor zwei Jahren über diesen Gegenstand heimgesucht wurden. Wahrlich, Nichts spricht so sehr zu Gunsten des Zollvereins, als daß er ohne empfindlichen moralischen Nachtheil das hat ertragen können, was über ihn geschrieben und gefaselt wurde. Gewiß ist es ein höchst eigenthümliches Zeichen für unsere Bildungsweise und noch mehr für unsere Bedürfnisse, daß ein von Natur so wenig idealer Gegenstand, wie ein Zollverein, nicht blos begeisterte Schwärmer, sondern selbst glühende Fanatiker her¬ vorrufen konnte. Es liegt hierin der Beweis, daß der Idee des Zollvereins noch eine zweite, ganz andere substituirt wird, die eben jenen Fanatismus hervorrief. Das ist auch lügenhaft. Es ergibt sich leicht aus dem bisher Gesagten, wie groß, wie umfassend das Feld der Lügen unserer Zeit sei, mit welchen Schwie- rigkeiten der zu kämpfen habe, der es unternimmt, sie zu schildern. Dies ist um so mehr der Fall, da sie sich in einander verwickeln, ja verändern. Oft liegt mehreren Lügen dieselbe Idee zu Grunde, oft verschiedene Ideen einer Lüge. Und doch ist es unmöglich, die Verhältnisse klar aufzufassen, wenn man sie nicht einzeln untersucht, weil sonst in der Untersuchung dieselbe Verwirrung herrschen würde, wie in der Sache selbst. Man könnte nun dabei allerdings von 77 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/609>, abgerufen am 22.07.2024.