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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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geben, Marggraff's "Täubchen von Amsterdam" wurde zum ersten Mal
gar in Se. Petersburg gespielt. Wenige wissen vielleicht, daß Wies¬
ner, der Autor der "russisch-politischen Arithmetik," mit dem Dramen¬
dichter Wiener identisch ist. Von einer Reihe Dramen, die ein jeder
Aufmunterung und Pflege würdiges Talent verriethen, gelang es dem
sehr undiplomatischen Autor blos "Ine; de Castro" aus die Bühne
zu bringen und dieses Stück hat seiner Zeit in Wien und Weimar
verdientes Glück gemacht. Müde des ewigen Pctitionirens und der
eitlen Versprechungen sagte er, wie mancher deutsche Hamlet: "wer
trüge wohl des Censors Joch, der Intendanten Herrschsucht, des Mimen
Stolz , der ersten Heldin Launen, den Trotz des Regisseurs und all
die Leiden, die uns Koulisse und Kostüm bereiten, wenn er was Be߬
res schassen kann," und er wars sich in die publicistische Laufbahn.
Vielleicht daß jetzt in einer dem Drama überhaupt günstigern Periode
seine Versuche über Berlin, Hamburg u. s. w. den Weg auf die hei¬
mische Bühne zurück finden. Oder sollte er sich durch die russisch-po¬
litische Arithmetik darin für immer verrechnet haben? Ist auch hinter
den Koulissen ein Tengoborsky da?

-- "Ottavio Galfagna" heifit ein fünfactiges Trauerspiel von
C. Gaillard, einem Autor, der, wie Viele, an unserem Bühnenwesen
zu verzweifeln scheint, da er seine Arbeit, vor der Aufführung, drucken
ließ. Und doch dünkt uns Galfagna gar nicht unausführbar, auch die
moderne Stimmung des Stückes sollte auf norddeutschen Bühnen kein
Hinderniß sein. Wir hatten weniger in theatralischer als in künst¬
lerischer Hinsicht an dem Stücke auszusetzen. Die Anlage scheint uns
originell und anziehend. Ottavio erlebt aber nur eine Liebes- und
Familienkatastrophe, die ihn erst zum politischen Helden machen soll,
wahrend wir nach der Exposition erwarteten, daß dieses Geschick mit
der tragischen Schuld des leidenschaftlichen Patrioten zusammenhangen
und von ihr ausgehen werde. Byron, der als Lord Georg in die
Handlung eingreift, ist in seinem Stolz und seiner düstern Skepsis
gut getroffen, obgleich die Flamme des Poeten mächtiger aus ihm
leuchten dürfte; die zweite edlere Figur aber, die Wittwe Lara, tritt
zu wenig aus dem Hintergrunde vor. Der Herzog von Ronzini ist
ein Wüstling vom alten ordinären Schlag, so wie die Vergiftung zu¬
letzt uns etwas abgebraucht erscheint. Die Shakspearomanie des Verfs.,
die den Dialog oft schwerfällig macht, ist dagegen den humoristischen
Figuren sehr zu Gute gekommen. Morta und Teresa sind recht er¬
götzliche und erbauliche Gestalten.




Verlag vo" Fr. Liidw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda
Druck von Friedrich Andral.

geben, Marggraff's „Täubchen von Amsterdam" wurde zum ersten Mal
gar in Se. Petersburg gespielt. Wenige wissen vielleicht, daß Wies¬
ner, der Autor der „russisch-politischen Arithmetik," mit dem Dramen¬
dichter Wiener identisch ist. Von einer Reihe Dramen, die ein jeder
Aufmunterung und Pflege würdiges Talent verriethen, gelang es dem
sehr undiplomatischen Autor blos „Ine; de Castro" aus die Bühne
zu bringen und dieses Stück hat seiner Zeit in Wien und Weimar
verdientes Glück gemacht. Müde des ewigen Pctitionirens und der
eitlen Versprechungen sagte er, wie mancher deutsche Hamlet: „wer
trüge wohl des Censors Joch, der Intendanten Herrschsucht, des Mimen
Stolz , der ersten Heldin Launen, den Trotz des Regisseurs und all
die Leiden, die uns Koulisse und Kostüm bereiten, wenn er was Be߬
res schassen kann," und er wars sich in die publicistische Laufbahn.
Vielleicht daß jetzt in einer dem Drama überhaupt günstigern Periode
seine Versuche über Berlin, Hamburg u. s. w. den Weg auf die hei¬
mische Bühne zurück finden. Oder sollte er sich durch die russisch-po¬
litische Arithmetik darin für immer verrechnet haben? Ist auch hinter
den Koulissen ein Tengoborsky da?

— „Ottavio Galfagna" heifit ein fünfactiges Trauerspiel von
C. Gaillard, einem Autor, der, wie Viele, an unserem Bühnenwesen
zu verzweifeln scheint, da er seine Arbeit, vor der Aufführung, drucken
ließ. Und doch dünkt uns Galfagna gar nicht unausführbar, auch die
moderne Stimmung des Stückes sollte auf norddeutschen Bühnen kein
Hinderniß sein. Wir hatten weniger in theatralischer als in künst¬
lerischer Hinsicht an dem Stücke auszusetzen. Die Anlage scheint uns
originell und anziehend. Ottavio erlebt aber nur eine Liebes- und
Familienkatastrophe, die ihn erst zum politischen Helden machen soll,
wahrend wir nach der Exposition erwarteten, daß dieses Geschick mit
der tragischen Schuld des leidenschaftlichen Patrioten zusammenhangen
und von ihr ausgehen werde. Byron, der als Lord Georg in die
Handlung eingreift, ist in seinem Stolz und seiner düstern Skepsis
gut getroffen, obgleich die Flamme des Poeten mächtiger aus ihm
leuchten dürfte; die zweite edlere Figur aber, die Wittwe Lara, tritt
zu wenig aus dem Hintergrunde vor. Der Herzog von Ronzini ist
ein Wüstling vom alten ordinären Schlag, so wie die Vergiftung zu¬
letzt uns etwas abgebraucht erscheint. Die Shakspearomanie des Verfs.,
die den Dialog oft schwerfällig macht, ist dagegen den humoristischen
Figuren sehr zu Gute gekommen. Morta und Teresa sind recht er¬
götzliche und erbauliche Gestalten.




Verlag vo» Fr. Liidw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda
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[0546] geben, Marggraff's „Täubchen von Amsterdam" wurde zum ersten Mal gar in Se. Petersburg gespielt. Wenige wissen vielleicht, daß Wies¬ ner, der Autor der „russisch-politischen Arithmetik," mit dem Dramen¬ dichter Wiener identisch ist. Von einer Reihe Dramen, die ein jeder Aufmunterung und Pflege würdiges Talent verriethen, gelang es dem sehr undiplomatischen Autor blos „Ine; de Castro" aus die Bühne zu bringen und dieses Stück hat seiner Zeit in Wien und Weimar verdientes Glück gemacht. Müde des ewigen Pctitionirens und der eitlen Versprechungen sagte er, wie mancher deutsche Hamlet: „wer trüge wohl des Censors Joch, der Intendanten Herrschsucht, des Mimen Stolz , der ersten Heldin Launen, den Trotz des Regisseurs und all die Leiden, die uns Koulisse und Kostüm bereiten, wenn er was Be߬ res schassen kann," und er wars sich in die publicistische Laufbahn. Vielleicht daß jetzt in einer dem Drama überhaupt günstigern Periode seine Versuche über Berlin, Hamburg u. s. w. den Weg auf die hei¬ mische Bühne zurück finden. Oder sollte er sich durch die russisch-po¬ litische Arithmetik darin für immer verrechnet haben? Ist auch hinter den Koulissen ein Tengoborsky da? — „Ottavio Galfagna" heifit ein fünfactiges Trauerspiel von C. Gaillard, einem Autor, der, wie Viele, an unserem Bühnenwesen zu verzweifeln scheint, da er seine Arbeit, vor der Aufführung, drucken ließ. Und doch dünkt uns Galfagna gar nicht unausführbar, auch die moderne Stimmung des Stückes sollte auf norddeutschen Bühnen kein Hinderniß sein. Wir hatten weniger in theatralischer als in künst¬ lerischer Hinsicht an dem Stücke auszusetzen. Die Anlage scheint uns originell und anziehend. Ottavio erlebt aber nur eine Liebes- und Familienkatastrophe, die ihn erst zum politischen Helden machen soll, wahrend wir nach der Exposition erwarteten, daß dieses Geschick mit der tragischen Schuld des leidenschaftlichen Patrioten zusammenhangen und von ihr ausgehen werde. Byron, der als Lord Georg in die Handlung eingreift, ist in seinem Stolz und seiner düstern Skepsis gut getroffen, obgleich die Flamme des Poeten mächtiger aus ihm leuchten dürfte; die zweite edlere Figur aber, die Wittwe Lara, tritt zu wenig aus dem Hintergrunde vor. Der Herzog von Ronzini ist ein Wüstling vom alten ordinären Schlag, so wie die Vergiftung zu¬ letzt uns etwas abgebraucht erscheint. Die Shakspearomanie des Verfs., die den Dialog oft schwerfällig macht, ist dagegen den humoristischen Figuren sehr zu Gute gekommen. Morta und Teresa sind recht er¬ götzliche und erbauliche Gestalten. Verlag vo» Fr. Liidw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda Druck von Friedrich Andral.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/546>, abgerufen am 22.07.2024.