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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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schlau; ein Bürgerkaiser, der durch Ueberlegenheit des Verstandes herrscht,
durch äußerliche Leutseligkeit gewinnt, stark ist durch berechnende Öko¬
nomie und zähe Geduld wie Andere durch Kühnheit und Gewalt; ein
Mann, an dem nicht Eine ritterliche, heldenthümliche Faser und der
doch, wo es Noth thut, durch souveräne Sicherheit zu imponiren weiß.
Diese Mischung von industriöser Klugheit und von Majestätsbewußt¬
sein gibt dem Friedrich einen recht gesunden politischen Humor; und
man muß sich gestehen, recht moderne Regenten werden immer so ge¬
artet sein, wenn sie wirklich Politiker sind. Freilich ist Friedrich dazu
noch alt und kränkelnd. Max, der ritterliche Prinz, die Hoffnung
Germanias, ist das Gegenstück dazu: ganz deutscher Jüngling, einer
von Denen, deren Verdienst und Tugend in ihrem Lebensalter besteht;
die gewöhnlichen Exemplare dieser idealen Gattung bekehren sich zum
gemeinen Weltlauf, wenn die Jünglingsperiode um ist, von selbst;
die edlern durch irgend einen Unglücksschlag. Max, der als Präger
Student für die geächtete Tochter Georg's von Podiebrad eine heiße
Leidenschaft gefaßt hat und deshalb den Plänen des Vaters trotzt, der
für ihn um Ladislavs Tochter Ulrike, d. h. um die böhmische Krone
wirbt, wird durch das tragische Ende beider Bräute, der geliebten selbst¬
gewählten und der verhaßten aufgedrungenen, aus allen Jünglings¬
himmeln gestürzt und auf seine ernste Braut Germania hingewiesen,
während auch Friedrich sehen muß, daß Natur und Leidenschaft
oft stärker sind, als alle grübelnde Regcntcnweisheit. Wäre es mög¬
lich gewesen, die übrigens edel und stolz gehaltene Tochter Podiebrads
an die Spitze einer nationalböhmischen Hussitenpartei zu stellen und
den Prinzen in den Conflict zwischen jugendlicher Begeisterung für die
Schildcrhebung der Unterdrückten und dem Beruf des deutschen Kaiser¬
sohns zu bringen, so hätte das Interesse vielleicht einen stärkeren Mit¬
telpunkt, die Handlung an Leidenschaft gewonnen; die Empörung der
Bürger im vierten Acte, welche die gefangene WlaSka befreien wollen,
war eine Handhabe dazu. Ueberhaupt liegen die Vorzüge dieses Stückes,
und das, was für das dramatische Talent des Verfs. spricht, mehr in
der scharfen charakterisirenden Zeichnung, als im Colorit; man sieht,
was die Bühnenkenntniß betrifft, daß der Verf. erst den Proben eines
einzigen Stückes von seiner Hand beigewohnt hat; nur schüchtern ver¬
fügt er über das reiche Arsenal der Theaterwelt. Dagegen zeigt der
echt dramatische Dialog von großem psychologischen Scharfsinn, die
Charakteristik ist voll Sicherheit und reich an den feinsten Zügen, auch
in den Nebenfiguren ist viel Sinn und Bedeutung; wie treffend ist
es z. B. daß der Säckelmeister Wackcrbart als die rechte Hand Fried¬
richs erscheint und der Pfaffe Burda von Niemand besser gewürdigt
wird als von seinem etwas pfäffischen Herrn. Friedrich selbst ist eine
treffliche und neue Figur, auch die stürmische Ulrike, sowie Max
und Wlaska, sind schwungvoll und doch individuell gehalten. Ueber


schlau; ein Bürgerkaiser, der durch Ueberlegenheit des Verstandes herrscht,
durch äußerliche Leutseligkeit gewinnt, stark ist durch berechnende Öko¬
nomie und zähe Geduld wie Andere durch Kühnheit und Gewalt; ein
Mann, an dem nicht Eine ritterliche, heldenthümliche Faser und der
doch, wo es Noth thut, durch souveräne Sicherheit zu imponiren weiß.
Diese Mischung von industriöser Klugheit und von Majestätsbewußt¬
sein gibt dem Friedrich einen recht gesunden politischen Humor; und
man muß sich gestehen, recht moderne Regenten werden immer so ge¬
artet sein, wenn sie wirklich Politiker sind. Freilich ist Friedrich dazu
noch alt und kränkelnd. Max, der ritterliche Prinz, die Hoffnung
Germanias, ist das Gegenstück dazu: ganz deutscher Jüngling, einer
von Denen, deren Verdienst und Tugend in ihrem Lebensalter besteht;
die gewöhnlichen Exemplare dieser idealen Gattung bekehren sich zum
gemeinen Weltlauf, wenn die Jünglingsperiode um ist, von selbst;
die edlern durch irgend einen Unglücksschlag. Max, der als Präger
Student für die geächtete Tochter Georg's von Podiebrad eine heiße
Leidenschaft gefaßt hat und deshalb den Plänen des Vaters trotzt, der
für ihn um Ladislavs Tochter Ulrike, d. h. um die böhmische Krone
wirbt, wird durch das tragische Ende beider Bräute, der geliebten selbst¬
gewählten und der verhaßten aufgedrungenen, aus allen Jünglings¬
himmeln gestürzt und auf seine ernste Braut Germania hingewiesen,
während auch Friedrich sehen muß, daß Natur und Leidenschaft
oft stärker sind, als alle grübelnde Regcntcnweisheit. Wäre es mög¬
lich gewesen, die übrigens edel und stolz gehaltene Tochter Podiebrads
an die Spitze einer nationalböhmischen Hussitenpartei zu stellen und
den Prinzen in den Conflict zwischen jugendlicher Begeisterung für die
Schildcrhebung der Unterdrückten und dem Beruf des deutschen Kaiser¬
sohns zu bringen, so hätte das Interesse vielleicht einen stärkeren Mit¬
telpunkt, die Handlung an Leidenschaft gewonnen; die Empörung der
Bürger im vierten Acte, welche die gefangene WlaSka befreien wollen,
war eine Handhabe dazu. Ueberhaupt liegen die Vorzüge dieses Stückes,
und das, was für das dramatische Talent des Verfs. spricht, mehr in
der scharfen charakterisirenden Zeichnung, als im Colorit; man sieht,
was die Bühnenkenntniß betrifft, daß der Verf. erst den Proben eines
einzigen Stückes von seiner Hand beigewohnt hat; nur schüchtern ver¬
fügt er über das reiche Arsenal der Theaterwelt. Dagegen zeigt der
echt dramatische Dialog von großem psychologischen Scharfsinn, die
Charakteristik ist voll Sicherheit und reich an den feinsten Zügen, auch
in den Nebenfiguren ist viel Sinn und Bedeutung; wie treffend ist
es z. B. daß der Säckelmeister Wackcrbart als die rechte Hand Fried¬
richs erscheint und der Pfaffe Burda von Niemand besser gewürdigt
wird als von seinem etwas pfäffischen Herrn. Friedrich selbst ist eine
treffliche und neue Figur, auch die stürmische Ulrike, sowie Max
und Wlaska, sind schwungvoll und doch individuell gehalten. Ueber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/497>, abgerufen am 22.07.2024.