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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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nigstens nicht auf den Thränensack wirkt. Sie kennen den Herrn Wir,
wissen, daß er Jenaer Burschenschafter?, zweideutiger Mitarbeiter des
Morning-Chronicle und noch zweideutigerer französischer Polizei-Agent
gewesen; Sie haben auch erfahren, daß er jetzt, nachdem er vielen
Leuten gedient und vieler Länder Gefängnisse besucht, in Psow bei
Ratibor unter dem schmeichelnden Zuspruchs eines größeren Besttzthums
von seinen demagogischen Verirrungen zu gesundem Conservcttismus
genesen ist. Lange Zeit hielt er sich passiv oder versuchte höchstens
mit einem gewöhnlich sehr schlecht stylisirten Artikel in das Getriebe
der Staatsmaschinen einzugreifen. Doch bald sollte auch sein Stich¬
wort wieder erschallen. Die Mäßigkeitsbestrebungen in Oberschlesten
nahmen ihren Anfang. Wit sah sich mit einem Male in einer sol¬
chen finanziellen Krise, daß er seine ziemlich bedeutende Brennerei außer
Betrieb setzen mußte. Von jetzt an wurde er ein großer Freund der
Mäßigkeit, doch mehr bei Andern, als bei sich selbst. Was er in
dieser Beziehung gethan, ist bekannt. Daß Tausende von Oberschle-
siern zur Nüchternheit schworen, ist größtentheils sein Werk. Doch
seine excentrische Natur durste sich mit diesem Resultate nicht begnü¬
gen. Wozu diese nüchternen Volksmassen? Welches ist der Zweck,
den du mit diesem selbst geschaffenen Mittel erreichen kannst ? -- So
mochte sich Wit fragen. Er hatte nicht vergessen, was der Liberalis¬
mus ihm für eine Note gegeben. Er erinnerte sich all der Unbill
und der Kränkungen, die ihm von Seiten des modernen Ieitbewußt-
scins zugefügt worden waren. Rache! war das Losungswort. Und
flugs gerirte er sich als Befehlshaber der "nüchternen Pollaken," rief
die katholische Geistlichkeit sich zur Seite und stellte sich dem Fort-
schrittsprinzip gegenüber. Der Ronge'schen Bewegung lieferte er die
erste Schlacht und gründete den Aeitungs-Enthaltsamkeitsverein, etwas
ganz Neues von seiner eigenen Erfindung. Unverbürgte Nachrichten
besagen zwar, daß er hiebei abermals eine Nebenabsicht gehabt, näm¬
lich die, sich Leser sür sein von ihm selbst herauszugebendes Blatt zu
erhungern. Mochten aber die Oberschlesier wirklich keine so große
Apathie gegen die "schlechte" Presse haben, oder fürchteten sie sich vor
dem Wit'schen "guten" Organe -- genug, der Berein fand keinen
sonderlichen Anklang und besteht bis jetzt nur aus dem Gründer allein.
Aber auch dieser ist seinem Gelübde nicht nachgekommen; denn neu¬
lich schickte er der Redaction der Breslauer Zeitung eine Erklärung ein
gegen einen Angriff desselben Blattes aus ihn. Seine zweite große
That war die, daß er an den Bischof Arnoldi einen Trostbricf rich¬
tete, in welchem er ein großes, tiefgehendes Complott, welches als Ab¬
zweigung des Freimaurerbundes in Schlesien unter dem Namen "Lä-
titia" bestehe, verräth. Der Justiz-Commissarius Di. Weidcmcmn,
derselbe, der früher in der Hallenser "Salima" seine literarische Wege-
lagerei trieb, secundirte Herrn Wit und nun entdeckten diese Leute in


nigstens nicht auf den Thränensack wirkt. Sie kennen den Herrn Wir,
wissen, daß er Jenaer Burschenschafter?, zweideutiger Mitarbeiter des
Morning-Chronicle und noch zweideutigerer französischer Polizei-Agent
gewesen; Sie haben auch erfahren, daß er jetzt, nachdem er vielen
Leuten gedient und vieler Länder Gefängnisse besucht, in Psow bei
Ratibor unter dem schmeichelnden Zuspruchs eines größeren Besttzthums
von seinen demagogischen Verirrungen zu gesundem Conservcttismus
genesen ist. Lange Zeit hielt er sich passiv oder versuchte höchstens
mit einem gewöhnlich sehr schlecht stylisirten Artikel in das Getriebe
der Staatsmaschinen einzugreifen. Doch bald sollte auch sein Stich¬
wort wieder erschallen. Die Mäßigkeitsbestrebungen in Oberschlesten
nahmen ihren Anfang. Wit sah sich mit einem Male in einer sol¬
chen finanziellen Krise, daß er seine ziemlich bedeutende Brennerei außer
Betrieb setzen mußte. Von jetzt an wurde er ein großer Freund der
Mäßigkeit, doch mehr bei Andern, als bei sich selbst. Was er in
dieser Beziehung gethan, ist bekannt. Daß Tausende von Oberschle-
siern zur Nüchternheit schworen, ist größtentheils sein Werk. Doch
seine excentrische Natur durste sich mit diesem Resultate nicht begnü¬
gen. Wozu diese nüchternen Volksmassen? Welches ist der Zweck,
den du mit diesem selbst geschaffenen Mittel erreichen kannst ? — So
mochte sich Wit fragen. Er hatte nicht vergessen, was der Liberalis¬
mus ihm für eine Note gegeben. Er erinnerte sich all der Unbill
und der Kränkungen, die ihm von Seiten des modernen Ieitbewußt-
scins zugefügt worden waren. Rache! war das Losungswort. Und
flugs gerirte er sich als Befehlshaber der „nüchternen Pollaken," rief
die katholische Geistlichkeit sich zur Seite und stellte sich dem Fort-
schrittsprinzip gegenüber. Der Ronge'schen Bewegung lieferte er die
erste Schlacht und gründete den Aeitungs-Enthaltsamkeitsverein, etwas
ganz Neues von seiner eigenen Erfindung. Unverbürgte Nachrichten
besagen zwar, daß er hiebei abermals eine Nebenabsicht gehabt, näm¬
lich die, sich Leser sür sein von ihm selbst herauszugebendes Blatt zu
erhungern. Mochten aber die Oberschlesier wirklich keine so große
Apathie gegen die „schlechte" Presse haben, oder fürchteten sie sich vor
dem Wit'schen „guten" Organe — genug, der Berein fand keinen
sonderlichen Anklang und besteht bis jetzt nur aus dem Gründer allein.
Aber auch dieser ist seinem Gelübde nicht nachgekommen; denn neu¬
lich schickte er der Redaction der Breslauer Zeitung eine Erklärung ein
gegen einen Angriff desselben Blattes aus ihn. Seine zweite große
That war die, daß er an den Bischof Arnoldi einen Trostbricf rich¬
tete, in welchem er ein großes, tiefgehendes Complott, welches als Ab¬
zweigung des Freimaurerbundes in Schlesien unter dem Namen „Lä-
titia" bestehe, verräth. Der Justiz-Commissarius Di. Weidcmcmn,
derselbe, der früher in der Hallenser „Salima" seine literarische Wege-
lagerei trieb, secundirte Herrn Wit und nun entdeckten diese Leute in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/495>, abgerufen am 22.07.2024.