Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

schlürfen begeistert von dem goldenen Saft unserer Reben und rufen
ein mühsam hervorgebrachtes Eljen! Die ungarische Brust erschließt
sich ihnen in Leid und in Freude und läßt sie in das Getriebe
der tausend Uebel blicken, an denen der edle Leib des Vaterlandes
krankt. Aber es wird ihr Undank zum Lohn; so ein deutscher Schrei¬
ber ist doch im Grunde nur ein verkappter Spion, der die Schwa¬
chen des Landes auszukundschaften kommt, um sie dann entstellt vor
die Augen des Publicums zu bringen. Dieses Verfahren macht der
gerühmten deutschen Ehrlichkeit keine Ehre.

Die Magyaren nennen aber auch jeden Tadeleine Entstellung;
und jedes freie Urtheil rechnen sie dem, der von ihren Neben geko¬
stet, als Undank an. Wer Ungarn nicht für das erste Land der Welt
erklärt, ist ein Verleumder. Glauben sie denn aber, daß das be¬
kannte Sprichwort: exti-u, IIuiiAmiam non est vit", auch in andern
Ohren als in denen der 6VVM0 Privilegirten gut klingt? Die
Zeit dieses Sprichwortes ist vorüber. Diese blinde Apologie
eines Landes, das in den Geburtswehen einer neuen Gestaltung liegt,
verkehrt sich nachgerade in die bitterste Ironie. Wein, Tabak, Ge¬
treide und Vieh in Ueberfluß besitzen, genügt nicht mehr diesen Un¬
zufriedenen des 19. Jahrhunderts -- die Gesellschaft will auch ihre
Rechte. Ob der norwegische Bauer mit seinen starre" Klippen, un"
angelächelt von dem segnenden Strahl der Sonne, aber auf seine
Rechte pochend, wo man sie anfechten will, sein Loos mit dem un¬
garischen tauschen würde! Das eben ist die schwere Noth der Zeit,
daß ihre Trommel den Sturmschritt schlägt und das Geschrei dieser
dickköpfigen mittelalterlichen Jungen, wie etwa das erwähnte Sprich¬
wort, in dem Gedrohne verhallen muß. Die Zeit kann auf sie keine
Rücksicht nehmen, da sie auf die Zeit nicht achten, während doch alle
Dinge eine andere Gestalt annehmen. So wird auch das Lieblings¬
wort und die letzte Pallisade der Bocökoroö noch in den Staub
sinken. In dem Augenblick, wo dies geschieht, geht der Tag des
Heils über Ungarn auf.

Daß aber der deutsche Journalist gar als Spion nach Ungarn
komme, dieser Vorwurf beweist, daß der Haß sich nicht auf Psycho¬
logie versteht. In wessen Solde sollte er spioniren? Vielleicht in
dem seines Buchhändlers? Verrätherische Absichten sollte er hegen?
Da erzeigt man ihm gar zu große Ehre. Bei uns kennt man noch


Erciizhvtm I"is. I. 6l

schlürfen begeistert von dem goldenen Saft unserer Reben und rufen
ein mühsam hervorgebrachtes Eljen! Die ungarische Brust erschließt
sich ihnen in Leid und in Freude und läßt sie in das Getriebe
der tausend Uebel blicken, an denen der edle Leib des Vaterlandes
krankt. Aber es wird ihr Undank zum Lohn; so ein deutscher Schrei¬
ber ist doch im Grunde nur ein verkappter Spion, der die Schwa¬
chen des Landes auszukundschaften kommt, um sie dann entstellt vor
die Augen des Publicums zu bringen. Dieses Verfahren macht der
gerühmten deutschen Ehrlichkeit keine Ehre.

Die Magyaren nennen aber auch jeden Tadeleine Entstellung;
und jedes freie Urtheil rechnen sie dem, der von ihren Neben geko¬
stet, als Undank an. Wer Ungarn nicht für das erste Land der Welt
erklärt, ist ein Verleumder. Glauben sie denn aber, daß das be¬
kannte Sprichwort: exti-u, IIuiiAmiam non est vit», auch in andern
Ohren als in denen der 6VVM0 Privilegirten gut klingt? Die
Zeit dieses Sprichwortes ist vorüber. Diese blinde Apologie
eines Landes, das in den Geburtswehen einer neuen Gestaltung liegt,
verkehrt sich nachgerade in die bitterste Ironie. Wein, Tabak, Ge¬
treide und Vieh in Ueberfluß besitzen, genügt nicht mehr diesen Un¬
zufriedenen des 19. Jahrhunderts — die Gesellschaft will auch ihre
Rechte. Ob der norwegische Bauer mit seinen starre» Klippen, un«
angelächelt von dem segnenden Strahl der Sonne, aber auf seine
Rechte pochend, wo man sie anfechten will, sein Loos mit dem un¬
garischen tauschen würde! Das eben ist die schwere Noth der Zeit,
daß ihre Trommel den Sturmschritt schlägt und das Geschrei dieser
dickköpfigen mittelalterlichen Jungen, wie etwa das erwähnte Sprich¬
wort, in dem Gedrohne verhallen muß. Die Zeit kann auf sie keine
Rücksicht nehmen, da sie auf die Zeit nicht achten, während doch alle
Dinge eine andere Gestalt annehmen. So wird auch das Lieblings¬
wort und die letzte Pallisade der Bocökoroö noch in den Staub
sinken. In dem Augenblick, wo dies geschieht, geht der Tag des
Heils über Ungarn auf.

Daß aber der deutsche Journalist gar als Spion nach Ungarn
komme, dieser Vorwurf beweist, daß der Haß sich nicht auf Psycho¬
logie versteht. In wessen Solde sollte er spioniren? Vielleicht in
dem seines Buchhändlers? Verrätherische Absichten sollte er hegen?
Da erzeigt man ihm gar zu große Ehre. Bei uns kennt man noch


Erciizhvtm I«is. I. 6l
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269898"/>
          <p xml:id="ID_1338" prev="#ID_1337"> schlürfen begeistert von dem goldenen Saft unserer Reben und rufen<lb/>
ein mühsam hervorgebrachtes Eljen! Die ungarische Brust erschließt<lb/>
sich ihnen in Leid und in Freude und läßt sie in das Getriebe<lb/>
der tausend Uebel blicken, an denen der edle Leib des Vaterlandes<lb/>
krankt. Aber es wird ihr Undank zum Lohn; so ein deutscher Schrei¬<lb/>
ber ist doch im Grunde nur ein verkappter Spion, der die Schwa¬<lb/>
chen des Landes auszukundschaften kommt, um sie dann entstellt vor<lb/>
die Augen des Publicums zu bringen. Dieses Verfahren macht der<lb/>
gerühmten deutschen Ehrlichkeit keine Ehre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1339"> Die Magyaren nennen aber auch jeden Tadeleine Entstellung;<lb/>
und jedes freie Urtheil rechnen sie dem, der von ihren Neben geko¬<lb/>
stet, als Undank an. Wer Ungarn nicht für das erste Land der Welt<lb/>
erklärt, ist ein Verleumder. Glauben sie denn aber, daß das be¬<lb/>
kannte Sprichwort: exti-u, IIuiiAmiam non est vit», auch in andern<lb/>
Ohren als in denen der 6VVM0 Privilegirten gut klingt? Die<lb/>
Zeit dieses Sprichwortes ist vorüber. Diese blinde Apologie<lb/>
eines Landes, das in den Geburtswehen einer neuen Gestaltung liegt,<lb/>
verkehrt sich nachgerade in die bitterste Ironie. Wein, Tabak, Ge¬<lb/>
treide und Vieh in Ueberfluß besitzen, genügt nicht mehr diesen Un¬<lb/>
zufriedenen des 19. Jahrhunderts &#x2014; die Gesellschaft will auch ihre<lb/>
Rechte. Ob der norwegische Bauer mit seinen starre» Klippen, un«<lb/>
angelächelt von dem segnenden Strahl der Sonne, aber auf seine<lb/>
Rechte pochend, wo man sie anfechten will, sein Loos mit dem un¬<lb/>
garischen tauschen würde! Das eben ist die schwere Noth der Zeit,<lb/>
daß ihre Trommel den Sturmschritt schlägt und das Geschrei dieser<lb/>
dickköpfigen mittelalterlichen Jungen, wie etwa das erwähnte Sprich¬<lb/>
wort, in dem Gedrohne verhallen muß. Die Zeit kann auf sie keine<lb/>
Rücksicht nehmen, da sie auf die Zeit nicht achten, während doch alle<lb/>
Dinge eine andere Gestalt annehmen. So wird auch das Lieblings¬<lb/>
wort und die letzte Pallisade der Bocökoroö noch in den Staub<lb/>
sinken. In dem Augenblick, wo dies geschieht, geht der Tag des<lb/>
Heils über Ungarn auf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1340" next="#ID_1341"> Daß aber der deutsche Journalist gar als Spion nach Ungarn<lb/>
komme, dieser Vorwurf beweist, daß der Haß sich nicht auf Psycho¬<lb/>
logie versteht. In wessen Solde sollte er spioniren? Vielleicht in<lb/>
dem seines Buchhändlers? Verrätherische Absichten sollte er hegen?<lb/>
Da erzeigt man ihm gar zu große Ehre. Bei uns kennt man noch</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Erciizhvtm I«is.  I. 6l</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0483] schlürfen begeistert von dem goldenen Saft unserer Reben und rufen ein mühsam hervorgebrachtes Eljen! Die ungarische Brust erschließt sich ihnen in Leid und in Freude und läßt sie in das Getriebe der tausend Uebel blicken, an denen der edle Leib des Vaterlandes krankt. Aber es wird ihr Undank zum Lohn; so ein deutscher Schrei¬ ber ist doch im Grunde nur ein verkappter Spion, der die Schwa¬ chen des Landes auszukundschaften kommt, um sie dann entstellt vor die Augen des Publicums zu bringen. Dieses Verfahren macht der gerühmten deutschen Ehrlichkeit keine Ehre. Die Magyaren nennen aber auch jeden Tadeleine Entstellung; und jedes freie Urtheil rechnen sie dem, der von ihren Neben geko¬ stet, als Undank an. Wer Ungarn nicht für das erste Land der Welt erklärt, ist ein Verleumder. Glauben sie denn aber, daß das be¬ kannte Sprichwort: exti-u, IIuiiAmiam non est vit», auch in andern Ohren als in denen der 6VVM0 Privilegirten gut klingt? Die Zeit dieses Sprichwortes ist vorüber. Diese blinde Apologie eines Landes, das in den Geburtswehen einer neuen Gestaltung liegt, verkehrt sich nachgerade in die bitterste Ironie. Wein, Tabak, Ge¬ treide und Vieh in Ueberfluß besitzen, genügt nicht mehr diesen Un¬ zufriedenen des 19. Jahrhunderts — die Gesellschaft will auch ihre Rechte. Ob der norwegische Bauer mit seinen starre» Klippen, un« angelächelt von dem segnenden Strahl der Sonne, aber auf seine Rechte pochend, wo man sie anfechten will, sein Loos mit dem un¬ garischen tauschen würde! Das eben ist die schwere Noth der Zeit, daß ihre Trommel den Sturmschritt schlägt und das Geschrei dieser dickköpfigen mittelalterlichen Jungen, wie etwa das erwähnte Sprich¬ wort, in dem Gedrohne verhallen muß. Die Zeit kann auf sie keine Rücksicht nehmen, da sie auf die Zeit nicht achten, während doch alle Dinge eine andere Gestalt annehmen. So wird auch das Lieblings¬ wort und die letzte Pallisade der Bocökoroö noch in den Staub sinken. In dem Augenblick, wo dies geschieht, geht der Tag des Heils über Ungarn auf. Daß aber der deutsche Journalist gar als Spion nach Ungarn komme, dieser Vorwurf beweist, daß der Haß sich nicht auf Psycho¬ logie versteht. In wessen Solde sollte er spioniren? Vielleicht in dem seines Buchhändlers? Verrätherische Absichten sollte er hegen? Da erzeigt man ihm gar zu große Ehre. Bei uns kennt man noch Erciizhvtm I«is. I. 6l

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/483
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/483>, abgerufen am 22.07.2024.