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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Weiter meerwärtö kommt der Seesand immer offener zu Tage, die
ausgespülten Steine liegen eben nur noch als Blöcke im spärlicher
wachsenden Walde. Und hinter der dritten Dünemeihe wird der mit
Steingeröll übersäete Erdboden immer mehr dem Meergrunde ähn¬
lich, drauf ein kümmerliches Kiefern- und Tannengehölz mühsam fort-
vegetire, bis endlich die heutige Dünenreihe ihren todten Sand ver¬
nichtend aller Baumentwicklung entgegensetzt. -- Von den südlichen
Theilen des kurischen Dreiecks zwischen Ostsee und Rigischem Busen
laufen diese vier Dünenreihen, in ziemlich gleichförmiger Krümmung
convergirend, gen Domesnäs, bis sie, in einander verschmelzend, dort
sich zum Vorgebirge vereinen. --

Es ist ein langer beschwerlicher Weg, jener tiefsandige Pfad
am kurischen Ufer des Meerbusens. Und man muß bereits weit über
die Mitte der einwärtsgekrümmten Strecke gelangt sein, welche sich
von Riga bis Domesnäs hindehnt, ehe man die beiden Leucht¬
thürme der äußersten Spitze, aus den Wellen emportauchend, wie zwei
feine Schiffsmasten erkennt. Zur Linken verdecken die Dünen unun¬
terbrochen jeden Einblick in's Land und Nichts ragt darüber empor,
als die krüppelnde Waldvegetation, aus der nur selten, wie ein Fremd¬
ling in solcher Umgebung, ein alter hoher Fichtenbaum oder eine
dichtbelaubte Rüster frisch und frei dem Himmel entgegenstrebt. Zur
Rechten aber rauscht das Meer so nahe, daß dessen Brandung uns
bespritzt. Drüben in weiter Entfernung flattern die Schiffe, über
uns schwirren die Möven mit widerlich melancholischen Geschrei.
Höchst selten zieht ein thetlnahmloser Mensch des Weges, noch seltner
kommen wir an einem grabesstillen Fiscberhültchen vorüber, an welchem
die aufgespannten Netze einförmig im Seewind hin und wieder schau¬
keln. Aber desto häufiger muß unser Roß über Zeichen des Todes
hinwegsetzen: denn vermodernde Schiffstheile und drüben aus Liv
oder oben aus Finnland hierher gespülte Baumstämme versperren
nicht selten den Weg. Alles ist dabei still, außer den Möven und
dem Meer. Graue Wolken jagen und eine silbermatte Sonne hängt
am Himmel. -- Trauriger und einförmiger kann kaum eine Gegend
gedacht werden; menschenleerer keine. Nur wo irgend ein Flüßchen
aus der Tiefe des Landes zum Meere hinschleiche, erblickt man ge¬
wöhnlich ein wohnloses Häuschen. Und in dem Häuschen sitzen
russische Soldaten, die vielgenannten Strandreiter der baltischen Ku-


Weiter meerwärtö kommt der Seesand immer offener zu Tage, die
ausgespülten Steine liegen eben nur noch als Blöcke im spärlicher
wachsenden Walde. Und hinter der dritten Dünemeihe wird der mit
Steingeröll übersäete Erdboden immer mehr dem Meergrunde ähn¬
lich, drauf ein kümmerliches Kiefern- und Tannengehölz mühsam fort-
vegetire, bis endlich die heutige Dünenreihe ihren todten Sand ver¬
nichtend aller Baumentwicklung entgegensetzt. — Von den südlichen
Theilen des kurischen Dreiecks zwischen Ostsee und Rigischem Busen
laufen diese vier Dünenreihen, in ziemlich gleichförmiger Krümmung
convergirend, gen Domesnäs, bis sie, in einander verschmelzend, dort
sich zum Vorgebirge vereinen. —

Es ist ein langer beschwerlicher Weg, jener tiefsandige Pfad
am kurischen Ufer des Meerbusens. Und man muß bereits weit über
die Mitte der einwärtsgekrümmten Strecke gelangt sein, welche sich
von Riga bis Domesnäs hindehnt, ehe man die beiden Leucht¬
thürme der äußersten Spitze, aus den Wellen emportauchend, wie zwei
feine Schiffsmasten erkennt. Zur Linken verdecken die Dünen unun¬
terbrochen jeden Einblick in's Land und Nichts ragt darüber empor,
als die krüppelnde Waldvegetation, aus der nur selten, wie ein Fremd¬
ling in solcher Umgebung, ein alter hoher Fichtenbaum oder eine
dichtbelaubte Rüster frisch und frei dem Himmel entgegenstrebt. Zur
Rechten aber rauscht das Meer so nahe, daß dessen Brandung uns
bespritzt. Drüben in weiter Entfernung flattern die Schiffe, über
uns schwirren die Möven mit widerlich melancholischen Geschrei.
Höchst selten zieht ein thetlnahmloser Mensch des Weges, noch seltner
kommen wir an einem grabesstillen Fiscberhültchen vorüber, an welchem
die aufgespannten Netze einförmig im Seewind hin und wieder schau¬
keln. Aber desto häufiger muß unser Roß über Zeichen des Todes
hinwegsetzen: denn vermodernde Schiffstheile und drüben aus Liv
oder oben aus Finnland hierher gespülte Baumstämme versperren
nicht selten den Weg. Alles ist dabei still, außer den Möven und
dem Meer. Graue Wolken jagen und eine silbermatte Sonne hängt
am Himmel. — Trauriger und einförmiger kann kaum eine Gegend
gedacht werden; menschenleerer keine. Nur wo irgend ein Flüßchen
aus der Tiefe des Landes zum Meere hinschleiche, erblickt man ge¬
wöhnlich ein wohnloses Häuschen. Und in dem Häuschen sitzen
russische Soldaten, die vielgenannten Strandreiter der baltischen Ku-


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[0464] Weiter meerwärtö kommt der Seesand immer offener zu Tage, die ausgespülten Steine liegen eben nur noch als Blöcke im spärlicher wachsenden Walde. Und hinter der dritten Dünemeihe wird der mit Steingeröll übersäete Erdboden immer mehr dem Meergrunde ähn¬ lich, drauf ein kümmerliches Kiefern- und Tannengehölz mühsam fort- vegetire, bis endlich die heutige Dünenreihe ihren todten Sand ver¬ nichtend aller Baumentwicklung entgegensetzt. — Von den südlichen Theilen des kurischen Dreiecks zwischen Ostsee und Rigischem Busen laufen diese vier Dünenreihen, in ziemlich gleichförmiger Krümmung convergirend, gen Domesnäs, bis sie, in einander verschmelzend, dort sich zum Vorgebirge vereinen. — Es ist ein langer beschwerlicher Weg, jener tiefsandige Pfad am kurischen Ufer des Meerbusens. Und man muß bereits weit über die Mitte der einwärtsgekrümmten Strecke gelangt sein, welche sich von Riga bis Domesnäs hindehnt, ehe man die beiden Leucht¬ thürme der äußersten Spitze, aus den Wellen emportauchend, wie zwei feine Schiffsmasten erkennt. Zur Linken verdecken die Dünen unun¬ terbrochen jeden Einblick in's Land und Nichts ragt darüber empor, als die krüppelnde Waldvegetation, aus der nur selten, wie ein Fremd¬ ling in solcher Umgebung, ein alter hoher Fichtenbaum oder eine dichtbelaubte Rüster frisch und frei dem Himmel entgegenstrebt. Zur Rechten aber rauscht das Meer so nahe, daß dessen Brandung uns bespritzt. Drüben in weiter Entfernung flattern die Schiffe, über uns schwirren die Möven mit widerlich melancholischen Geschrei. Höchst selten zieht ein thetlnahmloser Mensch des Weges, noch seltner kommen wir an einem grabesstillen Fiscberhültchen vorüber, an welchem die aufgespannten Netze einförmig im Seewind hin und wieder schau¬ keln. Aber desto häufiger muß unser Roß über Zeichen des Todes hinwegsetzen: denn vermodernde Schiffstheile und drüben aus Liv oder oben aus Finnland hierher gespülte Baumstämme versperren nicht selten den Weg. Alles ist dabei still, außer den Möven und dem Meer. Graue Wolken jagen und eine silbermatte Sonne hängt am Himmel. — Trauriger und einförmiger kann kaum eine Gegend gedacht werden; menschenleerer keine. Nur wo irgend ein Flüßchen aus der Tiefe des Landes zum Meere hinschleiche, erblickt man ge¬ wöhnlich ein wohnloses Häuschen. Und in dem Häuschen sitzen russische Soldaten, die vielgenannten Strandreiter der baltischen Ku-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/464>, abgerufen am 22.07.2024.