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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Das Gesetz über die Verwaltung der Staatsschulden ist auf die
Organisation der Reichsstände basirt. Das Gesetz über die Provin-
zialstände verordnet ausdrücklich, daß die Entwürfe allgemeiner Ge¬
setze, welche Veränderungen in Personen- und Eigentumsrechten und
in den Steuern betreffen, den Provinzialständen vergelegt werden, -- "so
lange keine allgemein ständische Versammlungen statt¬
finden. Am Schlüsse wurde der königlichen Bestimmung vorbe¬
halten: "wann eine Zusammenberufung der allgemeinen Landstände
erforderlich sein wird." Durch das Gesetz über die Provinzialstände
war die königliche Verheißung keineswegs erfüllt. Es wurde dadurch
nur eine Provinzialvertretung angeordnet, nicht einmal, wie das Ge¬
setz vom 22. Mai 1815 vorschreibt, dem Bedürfniß der Zeit gemäß,
denn es werden nicht alle Klassen der Staatsbürger, nur die Grund¬
besitzer darin berücksichtigt. Deshalb können auch die "vereinigten
Ausschüsse" dieser Provinzialstände -- selbst wenn ihnen die von den
Ständen beantragten Rechte eingeräumt wären -- keinen Ersatz für
das Gesetz vom 22. Mai 1815 bieten.

Die königliche Verheißung ist also noch nicht erfüllt. Das Volk
hofft auf die Erfüllung; es vertraut, daß das Gesetz vom 22. Mai
1815, eine Wahrheit werde; es hofft, daß endlich die Zeit kommen
wird, "wo eine Zusammenberufung der allgemeinen Landstände erfor¬
derlich." An der Erfüllung der königlichen Zusage zweifeln wollen,
würde Frevel sein. Friedrich Wilhelm III. zürnte in dem KabinetS-
schreibcn vom 21. März 1818, als Stadt und Regierungsbezirk Koblenz
in Adressen an die Reichsstände erinnert hatten, weil man "fre¬
ventlich an der Unverbrüchlichkeit seiner Zusage zweifle." Der
Freiherr von Stein äußerte über die Heiligkeit dieser Zusage: "Im
Jahre 1815 versprach der König förmlich, seinem Volke eine reprä¬
sentative Verfassung zu geben, der Staatskanzler wiederholte es in
allen seinen, den Provinzialständen gegebenen Antworten, in dem
Staatsrathe ward ein eigenes Comite für ständische Angelegenheiten
bestellt. . . und diese Zusagen sollten ein bloßes Hazardspiel sein?...
Preußen ist ein protestantischer Staat, in welchem seit Jahrhunderten
sich ein großes, vielseitiges, geistiges Leben im Geiste der freien Un¬
tersuchung entwickelt hat. Dieser läßt sich weder unterdrücken, noch
durch elende Sophismen leiten, man wird auch nicht den Dümmsten
aus dem Volke glauben machen, daß eS von meiner Willkür abhänge


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Das Gesetz über die Verwaltung der Staatsschulden ist auf die
Organisation der Reichsstände basirt. Das Gesetz über die Provin-
zialstände verordnet ausdrücklich, daß die Entwürfe allgemeiner Ge¬
setze, welche Veränderungen in Personen- und Eigentumsrechten und
in den Steuern betreffen, den Provinzialständen vergelegt werden, — „so
lange keine allgemein ständische Versammlungen statt¬
finden. Am Schlüsse wurde der königlichen Bestimmung vorbe¬
halten: „wann eine Zusammenberufung der allgemeinen Landstände
erforderlich sein wird." Durch das Gesetz über die Provinzialstände
war die königliche Verheißung keineswegs erfüllt. Es wurde dadurch
nur eine Provinzialvertretung angeordnet, nicht einmal, wie das Ge¬
setz vom 22. Mai 1815 vorschreibt, dem Bedürfniß der Zeit gemäß,
denn es werden nicht alle Klassen der Staatsbürger, nur die Grund¬
besitzer darin berücksichtigt. Deshalb können auch die „vereinigten
Ausschüsse" dieser Provinzialstände — selbst wenn ihnen die von den
Ständen beantragten Rechte eingeräumt wären — keinen Ersatz für
das Gesetz vom 22. Mai 1815 bieten.

Die königliche Verheißung ist also noch nicht erfüllt. Das Volk
hofft auf die Erfüllung; es vertraut, daß das Gesetz vom 22. Mai
1815, eine Wahrheit werde; es hofft, daß endlich die Zeit kommen
wird, „wo eine Zusammenberufung der allgemeinen Landstände erfor¬
derlich." An der Erfüllung der königlichen Zusage zweifeln wollen,
würde Frevel sein. Friedrich Wilhelm III. zürnte in dem KabinetS-
schreibcn vom 21. März 1818, als Stadt und Regierungsbezirk Koblenz
in Adressen an die Reichsstände erinnert hatten, weil man „fre¬
ventlich an der Unverbrüchlichkeit seiner Zusage zweifle." Der
Freiherr von Stein äußerte über die Heiligkeit dieser Zusage: „Im
Jahre 1815 versprach der König förmlich, seinem Volke eine reprä¬
sentative Verfassung zu geben, der Staatskanzler wiederholte es in
allen seinen, den Provinzialständen gegebenen Antworten, in dem
Staatsrathe ward ein eigenes Comite für ständische Angelegenheiten
bestellt. . . und diese Zusagen sollten ein bloßes Hazardspiel sein?...
Preußen ist ein protestantischer Staat, in welchem seit Jahrhunderten
sich ein großes, vielseitiges, geistiges Leben im Geiste der freien Un¬
tersuchung entwickelt hat. Dieser läßt sich weder unterdrücken, noch
durch elende Sophismen leiten, man wird auch nicht den Dümmsten
aus dem Volke glauben machen, daß eS von meiner Willkür abhänge


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[0453] Das Gesetz über die Verwaltung der Staatsschulden ist auf die Organisation der Reichsstände basirt. Das Gesetz über die Provin- zialstände verordnet ausdrücklich, daß die Entwürfe allgemeiner Ge¬ setze, welche Veränderungen in Personen- und Eigentumsrechten und in den Steuern betreffen, den Provinzialständen vergelegt werden, — „so lange keine allgemein ständische Versammlungen statt¬ finden. Am Schlüsse wurde der königlichen Bestimmung vorbe¬ halten: „wann eine Zusammenberufung der allgemeinen Landstände erforderlich sein wird." Durch das Gesetz über die Provinzialstände war die königliche Verheißung keineswegs erfüllt. Es wurde dadurch nur eine Provinzialvertretung angeordnet, nicht einmal, wie das Ge¬ setz vom 22. Mai 1815 vorschreibt, dem Bedürfniß der Zeit gemäß, denn es werden nicht alle Klassen der Staatsbürger, nur die Grund¬ besitzer darin berücksichtigt. Deshalb können auch die „vereinigten Ausschüsse" dieser Provinzialstände — selbst wenn ihnen die von den Ständen beantragten Rechte eingeräumt wären — keinen Ersatz für das Gesetz vom 22. Mai 1815 bieten. Die königliche Verheißung ist also noch nicht erfüllt. Das Volk hofft auf die Erfüllung; es vertraut, daß das Gesetz vom 22. Mai 1815, eine Wahrheit werde; es hofft, daß endlich die Zeit kommen wird, „wo eine Zusammenberufung der allgemeinen Landstände erfor¬ derlich." An der Erfüllung der königlichen Zusage zweifeln wollen, würde Frevel sein. Friedrich Wilhelm III. zürnte in dem KabinetS- schreibcn vom 21. März 1818, als Stadt und Regierungsbezirk Koblenz in Adressen an die Reichsstände erinnert hatten, weil man „fre¬ ventlich an der Unverbrüchlichkeit seiner Zusage zweifle." Der Freiherr von Stein äußerte über die Heiligkeit dieser Zusage: „Im Jahre 1815 versprach der König förmlich, seinem Volke eine reprä¬ sentative Verfassung zu geben, der Staatskanzler wiederholte es in allen seinen, den Provinzialständen gegebenen Antworten, in dem Staatsrathe ward ein eigenes Comite für ständische Angelegenheiten bestellt. . . und diese Zusagen sollten ein bloßes Hazardspiel sein?... Preußen ist ein protestantischer Staat, in welchem seit Jahrhunderten sich ein großes, vielseitiges, geistiges Leben im Geiste der freien Un¬ tersuchung entwickelt hat. Dieser läßt sich weder unterdrücken, noch durch elende Sophismen leiten, man wird auch nicht den Dümmsten aus dem Volke glauben machen, daß eS von meiner Willkür abhänge 57»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/453>, abgerufen am 23.07.2024.