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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Im Grunde begreifen wir den Aerger nicht, der Herrn Lewald
gegen uns beseelt. Die Grenzboten haben nie den Ehrgeiz gehabt, der
"Europa" die Concurrenz zu machen; dafür möge uns der Himmel
bewahren! Mit Ausnahme des gleichen Formats, müssen wir gegen
die Ehre einer Parallele zwischen beiden Blattern entschieden protesti-
ren. Wir, die armen, "liberalen Proletarier", gehen unparfümirt
durch diese gemeine Welt, kein Modeschneider, kein Haarkräusler legt
die Hand an uns. Schon die zierlichen Bilder, welche die "Europa"
aus dem "Follet", aus dem "Charivari" und dem "Artiste" nach¬
druckt, sind mehr werth, als alles Material über deutsche Zustände,
das die "Grenzboten" bringen; jedes elegante Ladenmädchen, jeder ge¬
schmackvolle Handlungsdiener wird dieses einsehen. Und unser "Schlan¬
gengift", unsere polizeiwidrigen Meinungsäußerungen, müssen sie uns
nicht von selbst den Weg verschließen aus allen den aristokratischen
Salons, in welchen die ungiftige, pomadereiche, polizeigeregelte
"Europa" durch eine geraume Zeit ein heimischer Gast ge¬
wesen? Und wie langweilig sind wir! Nicht einmal alte Anekdoten,
nicht einmal französische Calembourgs, nicht einmal culinarische Zu¬
stände, nicht einmal Ordensverleihungen und Nekrologe bringen wir,
obschon wir letztere aus der Augsburger "Allgemeinen Zeitung" von
vierzehn Tage früher abschreiben könnten.

Ueberhaupt wie wenig verstehen die Grenzboten von dem, was
eine gescheidte Redaction zu thun hat. Wie klug weiß die Europa
unter den Tischen der französischen Journale zu kauern und den
herabfallenden Knochen in ein feines Ragout zu übersetzen. Das ist
so wohlfeil und schmeckt so gut! Und die Auswahl ist so groß! Diese
Grenzboten, die ihre Ehre in Originalbeiträgen, ihren Beruf in derDiscus-
sion deutscher Angelegenheiten suchen, wie unpraktisch sind sie. Deutsche
Schriftsteller haben in der Regel die widerwärtige Prätension, eine
entschiedene Meinung aussprechen zu wollen; damit stößt ein Blatt
bald dort, bald hier an, und mißfällt vor Allem den Reichen, der
Aristokratie, die das meiste Geld zum Avonniren hat! -- Und für


Wiener Korrespondent in der Europa, Rank habe sich beim Verhör sehr schlecht
benommen. Wir fragten: ob jener Korrespondent mit der Polizei so "ver¬
traut" sei, uni das zu wissen? und versicherten von Rank's Benehmen das
Gegentheil. Der Wiener ist nun so albern, durch eine Retourkutsche zu fra¬
gen, ob wir denn mit der Polizei in Verbindung stünden, um dies Gegentheil
zu wissen? Der Mann hat keine Ahnung, welch ein ehrenhaftes t"stimo"inn
l-su^öl^dis er sich selbst mit dieser Frage ausstellt. Daß ein junger Dich¬
ter von dem reinen, edlen Charakter Rank's sich nicht charakterlos benommen,
ist die moralische Ueberzeugung jedes Ehrenmannes; um das zu wissen, braucht
man die Polizei nicht. Wer davon aber laut das Gegentheil behaupten will,
hat es entweder blos aus seiner moralischen Ueberzeugung geschöpft --dann
>se er ein Verleumder -- oder er hat es auf polizeilichen Wegen erfahren, ^
dann ist und bleibt es "Vertrauten"-Gewäsch.

Im Grunde begreifen wir den Aerger nicht, der Herrn Lewald
gegen uns beseelt. Die Grenzboten haben nie den Ehrgeiz gehabt, der
„Europa" die Concurrenz zu machen; dafür möge uns der Himmel
bewahren! Mit Ausnahme des gleichen Formats, müssen wir gegen
die Ehre einer Parallele zwischen beiden Blattern entschieden protesti-
ren. Wir, die armen, „liberalen Proletarier", gehen unparfümirt
durch diese gemeine Welt, kein Modeschneider, kein Haarkräusler legt
die Hand an uns. Schon die zierlichen Bilder, welche die „Europa"
aus dem „Follet", aus dem „Charivari" und dem „Artiste" nach¬
druckt, sind mehr werth, als alles Material über deutsche Zustände,
das die „Grenzboten" bringen; jedes elegante Ladenmädchen, jeder ge¬
schmackvolle Handlungsdiener wird dieses einsehen. Und unser „Schlan¬
gengift", unsere polizeiwidrigen Meinungsäußerungen, müssen sie uns
nicht von selbst den Weg verschließen aus allen den aristokratischen
Salons, in welchen die ungiftige, pomadereiche, polizeigeregelte
„Europa" durch eine geraume Zeit ein heimischer Gast ge¬
wesen? Und wie langweilig sind wir! Nicht einmal alte Anekdoten,
nicht einmal französische Calembourgs, nicht einmal culinarische Zu¬
stände, nicht einmal Ordensverleihungen und Nekrologe bringen wir,
obschon wir letztere aus der Augsburger „Allgemeinen Zeitung" von
vierzehn Tage früher abschreiben könnten.

Ueberhaupt wie wenig verstehen die Grenzboten von dem, was
eine gescheidte Redaction zu thun hat. Wie klug weiß die Europa
unter den Tischen der französischen Journale zu kauern und den
herabfallenden Knochen in ein feines Ragout zu übersetzen. Das ist
so wohlfeil und schmeckt so gut! Und die Auswahl ist so groß! Diese
Grenzboten, die ihre Ehre in Originalbeiträgen, ihren Beruf in derDiscus-
sion deutscher Angelegenheiten suchen, wie unpraktisch sind sie. Deutsche
Schriftsteller haben in der Regel die widerwärtige Prätension, eine
entschiedene Meinung aussprechen zu wollen; damit stößt ein Blatt
bald dort, bald hier an, und mißfällt vor Allem den Reichen, der
Aristokratie, die das meiste Geld zum Avonniren hat! — Und für


Wiener Korrespondent in der Europa, Rank habe sich beim Verhör sehr schlecht
benommen. Wir fragten: ob jener Korrespondent mit der Polizei so „ver¬
traut" sei, uni das zu wissen? und versicherten von Rank's Benehmen das
Gegentheil. Der Wiener ist nun so albern, durch eine Retourkutsche zu fra¬
gen, ob wir denn mit der Polizei in Verbindung stünden, um dies Gegentheil
zu wissen? Der Mann hat keine Ahnung, welch ein ehrenhaftes t«stimo»inn
l-su^öl^dis er sich selbst mit dieser Frage ausstellt. Daß ein junger Dich¬
ter von dem reinen, edlen Charakter Rank's sich nicht charakterlos benommen,
ist die moralische Ueberzeugung jedes Ehrenmannes; um das zu wissen, braucht
man die Polizei nicht. Wer davon aber laut das Gegentheil behaupten will,
hat es entweder blos aus seiner moralischen Ueberzeugung geschöpft —dann
>se er ein Verleumder — oder er hat es auf polizeilichen Wegen erfahren, ^
dann ist und bleibt es „Vertrauten"-Gewäsch.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/45>, abgerufen am 22.07.2024.